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Kultur: Party auf der Intensivstation

Die Kunst, ja, der ganze Kunstbetrieb ist krank, todkrank. Darum: Es lebe die Kunst und ihr ganzes Drumherum.

Die Kunst, ja, der ganze Kunstbetrieb ist krank, todkrank. Darum: Es lebe die Kunst und ihr ganzes Drumherum. Vielleicht ließ es sich gerade deshalb noch lustiger feiern im Ehrenhof des Hamburger Bahnhofs, war die Atmosphäre bei der Verleihung des Preises der Nationalgalerie für Junge Kunst auf dem Vorplatz des Museums für Gegenwart umso lauschiger: Wie immer, wenn man sich den Spiegel vorhält und vor Schreck eher zu lachen beginnt. Folglich erhielt der Patient ns Kunst, eine Installation aus Wachsfigur und Krankenbett der beiden Skandinavier Michael Elmgreen & Ingar Dragset, den vom Verein der Freunde der Nationalgalerie ausgelobten Preis. 50 000 Euro für eine Selbsterkenntnis, die dennoch alles andere als vordergründig ist.

Zum zweiten Mal gibt sich der 1000 Mitglieder starke Förderverein die Ehre – und verbindet die Päppelung junger Kunst in Berlin mit einem gesellschaftlichen Ereignis. Das Vorbild liefert der von einem Medienspektakel begleitete Londoner Turner-Preis, der ebenfalls seine vier Finalisten aus einer longlist destilliert und den endgültigen Gewinner am Ende einer mehrwöchigen Ausstellung kürt. Wie bei den Briten wird auch in Berlin zwecks Erhöhung der Spannung der Sieger erst am Abend der Verleihung ausjuriert. Bei der winterlichen Premiere vor zwei Jahren war das alles noch sehr, sehr ernst: Smoking zum 250 Euro teuren Dinner war Vorschrift, dazu als Tischmusik Mauricio Kagel und am Ende ein Preisträger, dem die geringsten Chancen eingeräumt worden waren. Wir haben aus unseren Fehlern gelernt, erklärte der Vorsitzende Peter Raue nun von den Eingangsstufen des Hamburger Bahnhofs - und vor ihm nickte beifällig Berlins sommerlich gedresste Kulturschickeria. Der Auftritt der „Audio-Ballerinas“, die sich mit ihren Plexiglas-Tütüs und akustischen Verstärkern locker unter das Prosecco trinkende Publikum mischten, unterstrich die neue Leichtigkeit.

Davor aber öffnete „die Hand eines Ministers“, wie Generaldirektor Klaus Peter Schuster mit bebender Stimme angekündigt hatte, den entscheidenden Umschlag. Anders als bei der eisigen Stille vom letzten Mal brauste spontan Beifall auf, als Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin die Namen von Michael Elmgreen & Ingar Dragset verlas. Wenn auch als Favoriten gehandelt, fühlten sich die beiden Skandinavier von ihrem Glück offensichtlich dennoch überrumpelt. So erklärte Michael Elmgreen – mit seinem Partner nach vorne ans Mikrofon geholt – spontan, dass sie vom Preisgeld als erstes ihrem Stammclub in Mitte einen neuen Kühlschrank kaufen würden, um dort endlich kaltes Bier zu bekommen. Der Spender, die Volkswagen-artfoundation, dürfte das gar nicht gerne gehört haben. Aber schließlich hat auch der letztmalige Gewinner Dirk Skreber sein Geld verjubelt, wie er kürzlich bekannte. Wahrscheinlich erhalten auch deshalb die Sieger fortan nur die halbe Summe; die andere Hälfte soll für einen Ankauf des Hamburger Bahnhofs verwendet werden.

Bei Elmgreen & Dragset wäre die Erwerbung ihrer gezeigten Installation naheliegend, die sich intensiv wie keine der anderen Arbeiten mit dem Ort des Hamburger Bahnhofs, der Invalidenstraße und der gegenüber liegenden Charité auseinandersetzt, wie es in der Jury-Begründung heißt. Trotzdem hätten sie es sich nicht leicht gemacht, so Nationalgalerie-Direktorin Angela Schneider, die gemeinsam mit Ausstellungskurator Joachim Jäger und der Münchner Sammlerin Ingvild Goetz die Entscheidung zu treffen hatte. Die Nominierten-Jury hatte ihnen aber auch ein weites Feld geöffnet: Malerei von Daniel Richter, die allerdings dem vorherigen Sieger Dirk Skreber zu nahe kam, dann die Gattung Film, vertreten durch das von Tacita Dean vermeintlich auf Zelluloid gebannte „Grüne Leuchten“ des Sonnenuntergangs, schließlich Konzeptkunst in Gestalt von Maria Eichhorns kühlem Kinosaal und am Ende der Ausstellungsräume die Skulptur von Elmgreen & Dragset. Alle vier Nominierten spielen längst in der internationalen Liga, was auch dem Ansehen des zwar hoch dotierten, aber noch jungen Preises dient.

Genau das hatte der im vergangenen Jahr verstorbene Initiator des Preises, der Berliner Sammler Rolf Hoffmann, im Blick: Die Förderung junger Kunst ist am Ende förderlich für die Stadt – als Standort- und Wirtschaftsfaktor. Dass mit der Krankenbett-Installation ausgerechnet die Metapher des Patienten das Rennen machte, gehört zu den ironischen Brechungen des Kunstbetriebs, dem das skandinavische Duo hier den Spiegel vorhält. Der Titel ihrer Arbeit „Vorübergehend abgestellt“ lässt für den Genesungsprozess dennoch wenig hoffen; umso beschwingter wurde draußen beim sommerlichen Gartenfest darauf angestoßen. Nicola Kuhn

Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50-51, bis 7. Juli; Dienstag bis Fr. 10-18 Uhr, Sonnabend und Sonntag 11-18 Uhr.

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