zum Hauptinhalt

Kultur: "Passion": Griechischer Wein, tschechisches Bier

42 Jahre ließ sich Londons Covent Garden Oper Zeit, ihre größte Fehlentscheidung auszubügeln: Aus Rücksicht auf sein elitäres Publikum hatte das Management 1957 die Uraufführung von Bohuslav Martinus Oper "Griechische Passion" abgelehnt - erst 1961, zwei Jahre nach Martinus Tod wurde das Stück in einer stark veränderten Zweitversion in Zürich auf die Bühne gebracht. Die Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen, zugleich auch die Uraufführung der rekonstruierten Londoner Erstfassung, ist damit ein spätes Schuldeingeständnis - inzwischen hat die "Passion" auch in Deutschland (Hannover) ihre Bühnenwirksamkeit bewiesen.

42 Jahre ließ sich Londons Covent Garden Oper Zeit, ihre größte Fehlentscheidung auszubügeln: Aus Rücksicht auf sein elitäres Publikum hatte das Management 1957 die Uraufführung von Bohuslav Martinus Oper "Griechische Passion" abgelehnt - erst 1961, zwei Jahre nach Martinus Tod wurde das Stück in einer stark veränderten Zweitversion in Zürich auf die Bühne gebracht. Die Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen, zugleich auch die Uraufführung der rekonstruierten Londoner Erstfassung, ist damit ein spätes Schuldeingeständnis - inzwischen hat die "Passion" auch in Deutschland (Hannover) ihre Bühnenwirksamkeit bewiesen.

Skandal Libretto

Abgeschreckt hatte die Londoner Musikoberen wohl weniger die im Vergleich zu den Avantgardestücken eines Boulez, Nono und Bernd Alois Zimmermann traditionelle Musik Martinus als vielmehr das Skandalpotenzial des Librettos. Die Oper, formulierte einer der drei zur Beurteilung hinzu gezogenen Sachverständigen, sei wohl für breitere Schichten geeignet, nicht aber für das elitäre Publikum Covent Gardens. Aus Sicht des Opernhauses eine zwar nicht gerade mutige, doch nachvollziehbare Argumentation: Denn mitten in der Ära des Kalten Krieges hatte Martinu sich mit der Novelle "Christ recrucified" des Alexis-Sorbas-Autors Nikos Kasantzakis einen Stoff ausgesucht, der nicht nur für McCarthy-geschärfte Ohren stark nach Kommunismus-Propaganda roch: In einem griechischen Dorf wird ein Passionsspiel geplant. Die Rollen werden unter den Dorfbewohnern aufgeteilt: Die attraktive Witwe Katharina spielt die Maria Magdalena, der Hirte Manolis wird für den Christus ausgewählt. Zusehends identifizieren sich alle auch im Alltagsleben mit ihren Rollen - als eine Schar Flüchtlinge auftaucht, die von den türkischen Besatzern aus ihrem Dorf vertrieben wurde, kommt es zum offenen Konflikt. Manolis und seine Jünger setzen sich für die Entrechteten ein und stellen sich damit außerhalb der Dorfgemeinschaft. Am Ende wird der vom blassen Mitläufer zum charismatischen Kämpfer herangewachsene Manolis vom Dorfpriester exkommuniziert und in der Dorfkirche vom wütenden Mob erschlagen.

Diese Durchdringung von Spiel und Leben im Dorfmilieu malt Martinu mit emotional packenden ariosen Soloszenen (inklusive eines Liebesduetts zwischen Christus und Magdalena) und effektvollen Chortableaus aus: Orthodoxe Männerchöre und volkstümliche Tanzweisen sorgen für Lokalkolorit. Freilich weiß man nie so genau, ob man sich dazu Sirtaki tanzende Männerriegen oder tschechische Dorfmusikanten vorstellen soll - die Musik bleibt bei aller Folkloristik immer ureigener Martinu. In ihrer sorgfältig gewahrten Tonalität und melodischen Zugänglichkeit klingt die "Passion" für heutige Ohren weit eher wie ein Nachzügler der Verismo-Reißer "Cavalleria rusticana" und "Bajazzo" als wie ein Stück der fünfziger Jahre - eine Volksoper im besten Sinn.

Auf dem Mitschnitt aus dem Bregenzer Festspielhaus vom Juni letzten Jahres streicht Ulf Schirmer gerade diese direkten rhythmischen und melodischen Qualitäten heraus, die Live-Spannung der Aufführung, das für Oper so wichtige Gefühl des Um-Leben-und-Tod-Singens, ist auch via CD spürbar. Und mit seiner Einsicht nach 42 Jahren ist Covent Garden im Grunde gar nicht so spät dran - die katholische Kirche hat zum Bereuen der Hexenverfolgung schließlich zehnmal so lange gebraucht.

Jörg Königsdorf

Zur Startseite