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Passionsspiel: Oberammergaudi

Christian Stückl inszeniert in München Hans Pfitzners Oper "Palestrina“. Auf der Bühne passiert so viel wie – nichts.

Mir san mir, und wer Oberammergau sagt und Passionsspiel, der hat mit Hans Pfitzners Männeroper „Palestrina“ kein Problem. Der entfesselt ein bisschen klerikale Pop-Art auf der Bühne, schreiende Farben, flatternde Englein, den Papst mit Wasserkopf und eine XXXL-Stretchlimousine für Giovanni Morone, den bösen Legaten, setzt außerdem auf den Lokalpatriotismus des Publikums, die eigene musikalische Unschuld und die Demut vor der Kunst – und verbeugt sich am Ende, wie Karl Valentin es linkischer nicht vermocht hätte. Der Stückl Christian, sagt man in München, sei eben ein Original.

Wer an diesem wohlwollend beklatschten Premierenabend an der Bayerischen Staatsoper das Privileg hatte, relativ weit vorne im Parkett zu sitzen, der konnte Stückl dreieinhalb Stunden lang beobachten. Wie einen Tanzbären trieb es ihn hinten in der Intendantenloge um, mitsingend, Kaugummi kauend. Kommt im ersten Akt der musikalischen Legende der erste moosgrüne Engel aus dem Schnürboden geflogen, um dem Komponisten Palestrina die fehlende Inspiration für ein letztes Meisterwerk, eine Messe, einzuhauchen, lugt Stückl grinsend in den Saal – auf einen kollektiven Lacher bedacht oder wenigstens ein „Ah!“ und „Oh!“. Die Münchner tun ihm den Gefallen. Und zieht Kardinal Borromeo heftige Grimassen (leider auch stimmlich: Falk Struckmann), um Palestrina die versprochene Messe abzutrotzen, dann schlägt Stückl oben in der Loge dem Intendanten Nikolaus Bachler auf die Schulter und dieser sich prustend auf die Schenkel.

Eine Gaudi, dieses weinerlich-pathetische Künstlerdrama von 1917, diese Pfitznersche Generalabrechnung mit Gott und Busoni und dem feindlichen Rest der „futuristischen“ Musikwelt. Und eine Super idee, den gebürtigen Oberammergauer und Intendanten des Münchner Volkstheaters Christian Stückl mit der Regie zu betrauen. Anfangen habe er mit dem kruden Stoff nichts können, so Stückl im Vorfeld, aber der Bachler sei stur geblieben.

Auf der Bühne passiert demnach mit der Stückl eigenen Vitalität so viel wie – nichts. Der zweite Akt, das nicht enden wollende, auch musikalisch nur mäßig spritzige Konzil von Trient, findet sich in grelles Kardinals pink getaucht, die Gottesdiener tragen heitere Roben, alles scherenschnittartig (Ausstattung: Stefan Hageneier, noch ein Oberammergauer). Die Wasserköpfe sowohl des Papstes im dritten wie von Palestrinas verstorbener Gattin Lukrezia im ersten Akt mögen an Katharina Wagners Bayreuther „Meistersinger“-Inszenierung erinnern (und daran, dass es in Pfitzners Partitur mächtig wagnert, nicht nur im verhinderten Walküren-Ritt oder in der Prügelszene im zweiten Akt).

Am Ende ist der Künstler Palestrina, dem Hageneier ein autobiografisches Pfitzner-Bärtchen angedeihen lässt, rehabilitiert: Seine Messe wird gefeiert, die Zweckfetischisten und Altvorderen finden sich mit den Neutönern und Autonomen versöhnt, das „Erdenpensum“ ist getan. „Evviva Palestrina! Evviva der Retter der Musik!“ schallt es aus dem Off, während der Komponist vor einem Jesus mit-Dornenkrone-Triptychon (in Grün und Pink) erschöpft zusammensinkt. Die Orgel stiehlt sich auf leisen Sohlen davon, die Streicher leitmotivisch hinterdrein, Palestrinas Kopf kippt, sein Arm fällt. Sterben auf dem Altar des Abendlandes, eichblattumkränzt – ist es das, wovon der militante Genie- und Einfalls-Ästhetiker Hans Pfitzner geträumt hat? Ironisch kann dieser Schluss kaum gemeint sein.

Die „Palestrina“-Uraufführung 1917 im Münchner Prinzregententheater unter Leitung von Bruno Walter hat zwischen Stadt und Stück eine Patenschaft gestiftet, die bis heute erstaunlich naiv ist. Zur Erinnerung: In Berlin führt Ingo Metzmacher 2007 am Tag der deutschen Einheit Pfitzners Eichendorff-Kantate „Von deutscher Seele“ auf, in München selbst setzen die Philharmoniker wenig später das Pfitznersche Sextett aufs Programm eines Kammermusikabends ausgerechnet im neuen Jüdischen Gemeindezentrum. Beide Male entbrennt eine hitzige Debatte über die Freiheit der Kunst und die Unfreiheit der Gesinnung.

Jetzt, an der Bayerischen Staatsoper, ist Pfitzners nationalsozialistische Verstrickung und Halsstarrigkeit über 1945 hinaus nicht einmal dem Programmheft eine Erwähnung wert. Weil nur das Unpolitische im 21. Jahrhundert noch politisch ist? Weil alle Aschekübel ausgeleert sind? Mit dem Pfitzner, so heißt das in Stückls Sprache, hätt’ er kein Bier nicht trinken wollen.

Die Frage, ob diese große Münchner Oper gelungen sei, teilt „Palestrina“ mit vielen Stücken seiner Zeit. Simone Young am Pult des Bayerischen Staatsorchesters beantwortet sie mit einer feinnervigen, eher flächigen Lesart der Partitur (das Ganze ist eine Koproduktion mit der Hamburgischen Staatsoper). Dramatisch, vor allem sprachlich, in Pfitzners eigenem Libretto, mag hier einiges entglitten sein – der hybride zweite Akt mit seinem Pfaffenpersonal, das Monologisieren und Salbadern con sordino im ersten. Atmosphärisch aber und aus dem Eros der Verweigerung heraus hat diese Musik Reize: in ihrer bohrenden Leitmotivik, den kirchentonartlichen Farben, dem mephistophelischen Wühlen im großen Apparat. Christopher Ventris in der Titelpartie mag nicht überall den Inbegriff lyrischen Wohllauts entfalten, schlägt sich aber tapfer. Ansonsten ist das Riesenensemble exzellent besetzt – bis zu Christiane Kargs Ighino, der Entdeckung des Abends. Was für ein strahlend leichter, natürlich-präziser Sopran, welche Ausdruckslust!

Und 2010 ist dann wirklich wieder Oberammergau.

Christine Lemke-Matwey

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