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Kultur: Passwort: Leben

Der deutsche Film macht dieses Jahr keinen großen Stich an der Kinokasse. Vielleicht, weil er zu kleine Geschichten erzählt. Aber wenn sie doch wahr sind, oder wenigstens wahrhaftig? Rückblick auf die 36. Hofer Filmtage

Was haben so konträre deutsche Filme wie „Lola rennt“, „Knockin’ on Heaven’s Door“ und „Der Schuh des Manitu“ gemeinsam? Erstens kümmern sie sich nicht besonders um die sogenannte Realität, sondern erfinden ihr pathetisches, dramatisches oder sturzblödelkomisches Universum munter drauflos. Zweitens sind sie das, was der Chef der Filmförderanstalt, Rolf Bähr so gern „Besuchermillionäre“ nennt. Drittens ist ihr jeweiliger Erfolg schon ein bisschen her. Gerade so, als wollten sie von ihren sachte angestaubten Thronen mahnend daran erinnern, dass nur der das Zeug zum legendären Erfolg hat, wer auch mal was Verrücktes wagt.

Und viertens? Alle drei Filme dienen als Rohmaterial für einen witzig und schnell geschnittenen Trailer, mit dem ab Mitte November wieder Dampf gemacht werden soll in deutschen Kinos fürs deutsche Kino. „Vorhang auf für deutsche Filme“ – in diese ebenso schlichte wie anfeuernde Losung mündet das Zweieinhalbminuten-Werk nach einer Idee von Alfred Holighaus, dem Chef der neuen Berlinale-Reihe „Perspektiven Deutsches Kino“. Logisch, dass der Trailer soeben bei den Hofer Filmtagen Premiere hatte, deren Leiter seit 36 Jahren, Heinz Badewitz, sich so liebevoll wie kein zweiter in Deutschland um den deutschen Film kümmert. Logisch auch, dass diese Bilder ein bisschen wehtun, weil sie die Branche an einen vergangenen Boom erinnern – aber das sollen sie wohl auch, als Herausforderung. Denn der deutsche Film, der in diesem Jahr bisher mit „Knallharte Jungs“ und „Bibi Blocksberg“ gerade mal zwei knallhart zielgruppenorientierte Besuchermillionäre hervorbrachte, wird im Kino längst wieder links liegen gelassen.

Auch die knapp 30 in Hof präsentierten deutschen Langfilme, darunter viele Erstlingswerke, stehen nicht gerade für einen Aufbruch, der fröhlich und vital gleich Richtung Lola rennt; dafür sondieren sie Milieus, erforschen den Alltag und die Träume kleiner Leute namens Ich, Du, Wir – und sie tun dies überwiegend mit einer Ernsthaftigkeit, die zumindest viel verspricht. Die Beziehungskomödie ist mausetot, dafür dominierte in Hof so etwas wie die neue deutsche Beziehungslosigkeitstragikomödie. Männer rennen weg und, wie sich bald zeigt, im Kreis. Frauen lassen eine Verstörung beiseite und gehen tapfer auf ein Ziel los, so kurios und beschwerlich der Weg auch sein mag. Und fast immer treibt diese vereinzelten Heldinnen und Helden, auf deren Schicksal die Regisseure ihre ganze Aufmerksamkeit fokussieren, die Sehnsucht nach Läuterung, Durchblick oder zumindest: Peilungkriegen. Als wollten sie alles im Leben, bloß kein falsches Happy End.

Peter (Stefan Kampwirth) ist so ein Single-Nomade. In seiner Zweierbeziehungswohnhölle hat er sich so unterm Headset und vorm Computer eingemottet, dass er gar nicht merkt, wie seine Freundin vor die Hunde geht. Als sie eines Nachts tot in der Badewanne liegt, haut er ab, mit Laptop im Rucksack und sonst gar nichts. Jetzt geht es – abgesehen von einem letzten Hacker-Job in Köln – unplugged ins Leben, nur hat Peter das Passwort vergessen. Also hackt er Wohnungen, knackt die Zugangscodes, beschafft sich Schlüssel, haust mal bei einem altmodischen Drehbuchautor (mit fein berlinischer Lakonie: Thomas Kapielski), mal bei einem Nachtschichtarbeiter (wurde als Kartenabreißer in Hof entdeckt: Sven Pippig). Schließlich findet er, sehr sachte, in der Nachbarin Paula (Doris Schretzmayer) eine neue Liebe. Oder besser: überhaupt erst wieder die Fähigkeit zum Fühlen.

Ein bisschen dick trägt Sven Ottiker in „Halbe Miete“ manchmal auf. Vor allem der Abschied vom totalvernetzten Semikriminellenleben gerät seinem Helden arg pathetisch. Dafür überrascht der Film, der in Hof zu Eröffnung präsentiert wurde, immer wieder durch einen sehr eigenen, kühlen Charme. Wie souverän Ottiker seinen Stoff denn doch im Griff hat, zeigt – in unfreiwillig grausamem Vergleich – Hanno Hackforts „Junimond“. Auch hier macht sich ein immerhin zum Firmen-Sicherheitsberater aufgestiegener Hacker aus Berlin auf und davon, diesmal nach Paderborn, auch hier gibt’s eine neue Liebe unter Nachbarsleuten (Laura Tonke und Oliver Mommsen). Aber bis zur hohen Mitte des Films, in der entweder bedeutungsarm im Off geraunt wird oder banale Annäherungsversuche so breit wie langsam ausgewalzt werden, gibt es nicht das leiseste Zeichen für jenes fundamentale Gefühlsmotiv, das dem Film seine Tiefe geben soll. Eine Wucht, die so spät kommt, arbeitet gewöhnlich mit dem Holzhammer, und so kommt’s denn auch.

Nun würde Heinz Badewitz niemals so gemein sein, derart im Ansatz ähnliche Filme aufeinander zu hetzen. Es sind die Produzenten selbst, Road Movies Factory und der WDR, die die beiden ersten Ergebnisse ihrer „radikal digital“-Reihe gemeinsam vorstellten, jeweils in kinotauglichen 35-mm-Fassungen. Nur: Werden diese und so manche andere TV-(Ko-)Produktionen eine Chance im Kino bekommen, bevor sie sich eines Tages im WDR oder sonstwo versenden – als „Quotenmillionäre“ oder auch nicht? Bis Sonntag gab es in Hof kein Projekt dieser Art, das sich zwingend als Kino-Entdeckung angeboten hätte; auch die durchaus zahlreich angereisten Verleiher schienen nicht eben eilig zugreifen zu wollen.

Zwei Filme immerhin haben vielleicht jenes nie verlässlich prognostizierbare Potenzial, das Zuschauer auch ins Kino zu ziehen vermag: Sülbiye Günars in Hof in 35mm- Cinemascope präsentierter „Karamuk“ und „Geht nicht gibt’s nicht“ von René Heisig. Beide Male geht es um junge Mädchen, die gegen alle Widrigkeiten in ihr eigenes Leben hineinwollen, und beide Male gelingt es ihnen auch, irgendwie. Die 29-jährige Berliner Studentin an der Berliner Film- und Fernseh-Akademie erzählt in ihrem ersten Langfilm vom großen Mädchen Johanna ( Julia Mahnecke), das die Schule schmeißen und eine teure Mode-Ausbildung in Paris anfangen will – und als sie bei ihrem geschiedenen Papa anklopft, sagt der ihr, dass er gar nicht ihr Vater ist. Johannas Vater Cumhur (Adnan Maral) ist Türke. Also bricht sie auf, jobbt zunächst inkognito in seiner Kölner Kneipenküche – und erobert sich stark und störrisch eine Vergangenheit zurück, die sie erst frei für ihre Zukunft macht.

„Karamuk“ mag dramaturgisch arg vorhersehbar sein; dafür entschädigt Günars Film mit dem Blick auf ein Pubertätsgewitter, wie man es so unmittelbar im Kino und erst recht im Fernsehen selten sieht – und das auch noch in einem türkischdeutschen Milieu, das weitgehend auf Folkloristisches verzichtet. Peter Przybylski, der schon dem unterschätzten „Helden wie wir“ eine unverwechselbare visuelle Sprödigkeit gab, hat für diese Mädchengeschichte kongenial raue Bilder gefunden. René Heisigs „Geht nicht gibt’s nicht“ mag, damit verglichen, viel routinierter erzählt sein. Andererseits setzt er nicht allein auf den vitalen Eigensinn, mit dem die junge Conny (Bernadette Heerwagen) an ihrem Wunsch festhält, ein Kind auszutragen, sondern bettet ihn in ein exakt skizziertes soziales Umfeld ein. Der junge Vater (Sebastian Ströbel) ist ein sympathischer Nichtsnutz, der Conny immer tiefer in Schulden zieht, aber zum Glück gibt’s ihren eigenen Stiefvater (Axel Prahl), der alles zumindest seelisch wieder ins Lot bringt. Filme mit Axel Prahl – man denke nur an „Halbe Treppe“ – dürfen, so weh das Leben tut, einfach nicht böse ausgehen.

Und doch: Sind so kleine Filme dies Jahr gewesen in Hof. Da wird Dominik Grafs TV-Auftragswerk „Hotte im Paradies“, sein dritter mit DigiCams gedrehter Film, automatisch zum Top-Ereignis. Hotte (Misel Maticevic) ist ein Berliner Zuhälter der ziemlich mittelständischen Art: Eine Favoritin beschäftigt er und zwei „Partien“ – genug, um sich ein Jaguar-Cabrio, eine echte Rolex und eine arg flüssige Wettleidenschaft zu leisten. Aber dann will eine der Partien nicht mehr, die andere wird ihm von einem russischen Konkurrenten weggelockt, und damit fangen Hottes Probleme erst an. Die vorzüglich gearbeitete Milieustudie lief in Hof auf einem digitalen Projektor – und das Ergebnis, verwaschen in den Farben und vor allem in den Totalen von bestürzender Flächigkeit, lässt einen vor der Zukunft des Kinos schaudern. Total digital? Dann doch lieber Fernsehen.

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