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Patti Smith im Pierre Boulez Saal.

© Peter Adamik

Patti Smith in Berlin: Liebe ist größer als der Tod

Patti Smith gibt zusammen mit Tony Shanahan ein berührendes Akustik-Konzert. Es steht im Zeichen der Erinnerung an Fred „Sonic“ Smith und Robert Mapplethorpe.

Als Patti Smith im Jahr 1987 hochschwanger in ein New Yorker Studio kam, um „The Jackson Song“ aufzunehmen, war nicht nur ihr Mann Fred „Sonic“ Smith dabei, mit dem dem sie das Lied geschrieben hatte, sondern auch ihr einstiger Geliebter und lebenslanger Freund Robert Mapplethorpe. Der Fotograf war damals schon sehr geschwächt von der Aids-Erkrankung, der er im Jahr darauf erliegen sollte.

Trotzdem wollte er zuhören, wie Patti Smith das Stück einsang. Es war als Schlaflied für ihren und Freds Sohn Jackson gedacht. Nach dem zweiten Take ging die Sängerin in den Kontrollraum und erkannte, dass die Aufnahme gelungen war: Mapplethorpe war eingeschlafen, ihr Mann weinte.

Patti Smith erzählt diese Geschichte im ausverkauften Berliner Pierre Boulez Saal an einem Abend, der den Titel „Erinnerung“ trägt und vor allem diesen beiden Männern gewidmet ist. Es ist ein ganz besonderer Tag, denn vor genau 25 Jahren starb Fred „Sonic“ Smith, bekannt geworden als Gitarrist der Detroiter Rockband MC 5.

Gleichzeitig ist der 4. November auch der Geburtstag von Robert Mapplethorpe. Er wäre 73 Jahre alt geworden. Und so beginnt Patti Smith, die am Mittag ein von ihm aufgenommenes Porträt ihrer Familie bei Instagram geteilt hatte, ihren Auftritt mit einem Auszug aus „Just Kids“. In dem 2010 veröffentlichte Buch erinnert sie sich an ihre Anfangszeit mit Mapplethorpe in New York. Sie lernte ihn 1967 kennen, im summer of love, dem Sommer, der ihr Leben für immer veränderte, wie es in dem Kapitel heißt.

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Patti Smith hat sich in den letzten Jahren stärker aufs Schreiben, denn aufs Musikmachen verlegt. Mit „Banga“ kam zuletzt vor sieben Jahren ein neues Album von ihr heraus, Bücher veröffentlicht sie hingegen regelmäßig. Gerade ist „Year of The Monkey“ erschienen, das bald auf Deutsch erhältlich sein soll, wie Smith vor einer kleinen Textprobe verspricht.

Glücklicherweise singt die 72-Jährige dann aber auch in diesem so wunderbar klingenden ovalen Saal, der sie allerdings ein wenig irritiert, weil sich stets ein Teil des Publikums in ihrem Rücken befindet. „Die Leute können meinen Hintern sehen, wenn ich mein Glas nehme – daran bin ich nicht gewöhnt“, bemerkt sie einmal lachend.

Begleitet von Tony Shanahan an der Akustikgitarre und am Klavier spielt sie eine feine Auswahl eigener und gecoverter Songs, beginnend mit „Wing“ vom Album „Gone Again“, das nach Fred Smith’ Tod die zweite Phase ihrer Karriere nach einer langen Familienpause eröffnete.

Auch an Lou Reed wird erinnert

Patti Smith’ Stimme kommt in den reduzierten Arrangements gut zur Geltung. Sie klingt kraft- und gefühlvoll. Gelegentlich greift die New Yorkerin auch zur Akustikgitarre, etwa wenn sie bei „Beneath The Southern Cross“ das Zwei-Akkord-Pattern mitschlägt. Tony Shanahan streut hier und da ein kleines Solo ein und singt immer wieder sehr schön die zweite Stimme. Einmal darf er die Hauptrolle übernehmen und erinnert an Lou Reed, dessen Todestag sich gerade zum sechsten Mal jährte. Aus seinem Album „Berlin“ spielt Shanahan „How Do You Think It Feels“, woran Patti Smith mit Reeds „Perfect Day“ anschließt.

Ihr Tag in Berlin sei in der Tat ein guter gewesen, erzählt sie. Sie habe im Café Pasternak vorbeigeschaut und sei dann lange auf ihrem Lieblingsfriedhof gewesen. Ein bisschen zu lange, wie sie zugibt: „Ich bin deshalb nicht mehr dazu gekommen, meine Haare zu waschen.“ Macht nichts, die lockeren Zöpfchen in der weiße Mähne sehen prima aus. Und sie passen zu ihrem Standard-Outfit, bestehend aus halboffenen Stiefeln, schwarzen Jeans, weißem T-Shirt, schwarzer Weste und Sakko. Ganz die coole Kaffeehaus-Literatin, als die sie auf dem Buchcover von „M Train“ zu sehen ist.

Ihr Enkelsohn hat Geburtstag

Patti Smith hat viel Erfahrung mit Tod und Trauer, weshalb es ihr gelingt, diesem Abend neben der würdevollen Erinnerung eine freudige Leichtigkeit zu verleihen. Bei „Dancing Barefoot“, einem weiteren Liebeslied für Fred Smith, kommt sogar kurz Rockkonzert-Stimmung auf, als sie die Fans zum Mitklatschen animiert. Die rund 80 extrem schnell vergehenden Minuten sind auch eine Feier des Lebens. Denn der 4. November ist für Patti Smith noch aus einem weiteren Grund von Bedeutung: Vor sechs Jahren wurde an diesem Tag ihr Enkelsohn geboren. Nach seinem Großvater heißt er Frederick, wie die Sängerin im Boulez Saal erzählt.

Fredericks Vater Jackson war etwa in dessen Alter, als seine Eltern das Schlaflied für ihn aufnahmen. Am Ende gibt ihm seine Mutter mit auf den Weg, dass er sich an die beiden erinnern möge: „And in your travels you will see warrior wings remember Daddy/ And if a mama bird you see/Folding her wings will you remember me/ As you go, as you go, as you go, as you go“. Patti Smith, die am 5. November einen weiteren Berlin-Auftritt in der Gethsemanekirche hat, singt diese Zeilen zur schlichten Klavierbegleitung so beseelt, dass sie zum anrührendsten Moment des emotionalen Abends werden.

Ihren größten Hit „Because The Night“ hätte es als Zugabe gar nicht mehr gebraucht. Doch weil sie vorab gesagt hat, sie fühle sich beim Singen noch immer, als sei Fred ihr neuer Boyfriend, sind schließlich alle auf den Beinen und besingen mit ihr die Nacht, die den Liebenden gehört. Und so bringt Patti Smith ihre Botschaft noch einmal auf den Punkt: Liebe ist größer als der Tod.

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