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PAUKEN & Trompeten: 75 und kein Ende

Jörg Königsdorf über eine unverwüstliche Opern-Oma

Während ihre ehemaligen Konkurrentinnen längst in der Casa Verdi sitzen, hat Montserrat Caballé im Rentenalter noch mal richtig losgelegt. Auch zu ihrem 75. Geburtstag gönnt sich die Spanierin eine große Tournee, am Donnerstag steigt sie auch in der Philharmonie ab. Dabei hätte wohl niemand, der die Diva in ihrer Glanzzeit um 1970 herum erlebt hat, ihr eine solche Spätkarriere zu prophezeien gewagt. Denn anders als Maria Callas und Renata Scotto war „Montse“, wie sie ihre Fans zärtlich nennen, nie eine Ausdruckssängerin, sondern eher eine Belcanto-Artistin, die durch die makellose Schönheit ihres Gesangstons faszinierte. Doch nachdem ihre Töne immer größeren Schwankungswerten unterworfen waren, gelang Caballé ein Imagewechsel: Aus der Diva wurde die leutselige Opern-Oma, die ihr Publikum durch launige Moderationen unterhält und zwischendurch romantische Canzonetten und schmissige Zarzuela-Nummern zum Besten gibt.

Freilich ist Caballé nicht nur ein unverwüstliches Unikum, sondern markiert auch einen Trend: Waren Karrieren in den hochgezüchteten Edellagen Sopran und Tenor früher oft mit Mitte vierzig schon vorbei, scheint heute mit der allgemeinen Lebenserwartung auch die Halbwertszeit der Stimmen gestiegen zu sein: Placido Domingo beispielsweise ist, ebenfalls im Rentenalter, gerade erst seine erste Barockopernrolle (den Bajazet in Händels „Tamerlano“) angegangen, und Edita Gruberova, Caballés Nachfolgerin als Belcanto-Queen, hat erst letzten Monat in Berlin vorgeführt, dass man auch mit einundsechzig noch Bellinis Norma singen kann. Zumindest so lange, bis jemand besseres auftaucht.

Jörg Königsdorf

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