zum Hauptinhalt
Sting und Paul Simon bei ihrem Berliner Auftritt.

© Britta Pedersen/dpa

Paul Simon & Sting live in Berlin: Goldene Felder, rauschendes Wasser

Die Mythen und die Hits: Paul Simon und Sting spielen in Berlin ein großartiges Konzert.

In Newcastle, im Norden Englands, gibt es wunderschöne Brücken über den River Tyne. Sie überspannen ein gutes Jahrhundert Architektur- und Industriegeschichte. Dort wurde der Musiker Sting 1951 in recht einfachen Verhältnissen geboren. Auch Paul Simon, zehn Jahre älter, stammt aus einer industriell geprägten Gegend, aus Newark in New Jersey. Seine Familie bot ihm einen akademisch-musischen Hintergrund. Paul Simon sagt: „Wir werfen hier zwei Bands, zwei Repertoires, zwei Persönlichkeiten zusammen, und das gibt schon mal ein kleines Durcheinander.“

Zwei Riesenkarrieren: Sieht man sie da stehen, den Großen und den Kleinen, denkt man unwillkürlich an Art Garfunkel, mit dem Paul Simon einst das berühmteste Duo des Pop bildete. Aber das ist so unfassbar lange her. Als Simon and Garfunkel sich trennten, anno 1970, war Sting noch Student. Simon hat ein Dutzend Grammy Awards gewonnen, Sting sogar noch ein paar mehr. Es sind eine Menge Brücken zu überqueren an diesem Abend in der mit 12500 Besuchern ausverkauften O 2 World in Berlin. Aber Sting und Simon sind befreundet, haben schon etliche Konzerte zusammen gespielt, und auch Sting erreicht, ohne Art Garfunkel kopieren oder ausstechen zu wollen, gewaltige Höhen.

Und weil Paul Simon gleich „The Boy in the Bubble“ bringt, kann man ruhig sagen: Es wird, wie es im Refrain heißt, einige „miracle and wonder“ geben in diesem Solo-Duo-Auftritt der beiden Stars, die bewacht, begleitet, befeuert werden von bald 15 Musikern. Und auch gleich „Fields of Gold“, Simon singt mit Sting, der dann für eine Weile die Bühne übernimmt. „So Lonely“, „Englishman in New York“, „Walking on the Moon“: Die Halle springt auf, klatscht mit. Der Gipfel der einvernehmlichen Begeisterung wird mit „Roxanne“ erreicht, dem alten Police-Song, in den Sting eine zartes „Ain’t No Sunshine“ von Bill Withers einbaut. Fantastisch, diese Übergänge. Kaum ist die treulose Roxanne verschwunden, biegt „The Boxer“ um die Ecke, die tröstlichste aller traurigen Balladen. Man spürt auch nach Jahrzehnten noch den kalten New Yorker Winter, der hier besungen wird, selbst im sich ankündigenden Berliner Frühling, leileilei ...

Sting strotzt vor Kraft, strahlt helle Spielfreude aus. Er trägt Vollbart, ein hautenges T-Shirt und Jeans, seine Bass-Gitarre ist voller Schrammen. Immer wieder breitet er die Arme aus, als wollte er die Menge mit diesen Windmühlenflügeln umarmen und seinem Partner Rückenwind geben. Simons Gestik wirkt unbeholfen, aber seine Stimme hat nichts von ihrer weichen Melancholie und intellektuellen Klarheit verloren. Bei „50 Ways to Leave Your Lover“ genießt man immer noch den erwachsenen Humor und denkt sich: Das ist viel besser als „50 Shades of Grey“.

Paul Simon und Sting verbindet die Neugier auf Neues

Paul Simon war einer der ersten weißen Musiker, die Reggae spielten. Und als er in den achtziger Jahren nach Südafrika ging und den Boykott gegen das Apartheid-Regime durchbrach, wurde er scharf kritisiert. Aber was für ein Album kam dabei heraus, „Graceland“, und wie viel hat er für die afrikanische Pop-Musik bewegt! Ein warmes Gewitter zieht auf und entlädt sich: „Diamonds On The Soles Of Her Shoes“ und „You Can Call Me Al“.  Ein nostalgischer Senioren-Abend klingt anders. Oder genau so. Es ist ein Phänomen, wie viele Pop- und Rockmusiker dieser Generation ihr Material frisch halten. Und wie das Material sie vor Ermüdung schützt. Das verbindet Sting und Simon: die Lust und Neugier auf musikalische Einflüsse. Bei Paul Simon ist es bis heute die afrikanische Verbindung, bei Sting ist es der Jazz. Alt-Englisches gibt es diesmal nicht, keine Laute. Und seltsam: Ein Cello steht die ganze Zeit auf der Bühne und bleibt ungespielt. Dahinter stehen drei Schlagzeug- und Percussionsbatterien, die werden scharf abgefeuert. Wenn freilich bei dieser „Together on Stage“-Tournee das alles zusammenkommt, wirkt die Melange dann auch mal überorchestriert.

Cool sind sie auch. „Cecilia“ singen sie gemeinsam als lustige Reminiszenz an alte, junge Zeiten mit Sex am Nachmittag und wechselnden Partnern, um sich – wieder so ein atemberaubender Übergang – in die ultimative Eifersuchtshymne werfen, „Every Breath You Take“. Ja, und es gibt dann noch eine weitere Brücke, die da auf die beiden wartet. Da kann man schön abstürzen und sich den Hals brechen. Doch sie gehen, geleitet von nervigem Klaviergeklimper, langsam und sicher hinüber, einer nach dem anderen. „Bridge Over Troubled Water“: Sting schießt hoch mit der Stimme, er trifft. Er freut sich. Paul Simon lächelt ohnehin fast nie. „Sail On Silver Girl ...“ Und als letzte Zugabe kommen noch einmal, akustisch, nur Simon und Sting mit „When Will I Be Loved“, einem alten Song der Everly Brothers. Sie waren Simon and Garfunkels Idole. Da ächzt die Brücke in die Jugend doch ein wenig, kommt die Reise an ein Ende.

Jeder für sich hat so viele Melodien gepflanzt, Bilder und Texte dem Pop-Bewusstsein eingeprägt. Sting hat etliche Hits im Repertoire, Paul Simon nicht weniger. Doch bei Simon kommt noch etwas hinzu. In seinen Songs stecken Mythen. Dafür muss man vielleicht aus den Sechzigern kommen, als die Weichen gestellt wurden. Ein feines Arrangement, am Ende: Wenn sich die Mythen und die Hits umarmen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false