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Viererbande. Sophie von Kessel, Ulrich Matthes, Maren Eggert und Norman Hacker spielen Schimmelpfennig.

© Eventpress Hoensch

"Peggy Pickit" im Deutschen Theater: Heillose Heiler

Wie Martin Kusej und sein Ensemble Roland Schimmelpfennigs "Peggy Pickit" im Deutschen Theater Berlin als Seifenblasenoper erzählen.

Ein Abend, meisterlich gespielt. Tolle Akteure. Aber fast völlige Leere. Die intelligenteste Geistlosigkeit seit langem. Am Ende dann Jubel und Buhs. Ein Triumph. Ein Desaster. Also: einfach kompliziert.

Ein zum schwarzen Hintergrund offener metallischer Lichtkubus füllt die Bühne, und in der gleißenden Helle, die der eines Operationssaals oder eines Schauraums (für Kunst oder Leichen) gleicht, treten zwei Frauen und zwei Männer in heutiger Freizeitkleidung auf.

Die Konstellation wirkt zunächst vertraut. Zwei befreundete Ehepaare, sie besuchen einander, ein Wiedersehen nach langer Zeit, alle vier sind Mediziner und Anfang vierzig, es fließt viel Alkohol, ein paar dunklere Konflikte kommen erst feucht fröhlich ans Licht und jäh so verletzend, wie es fast nur unter Menschen mit nahen Beziehungen geschieht. Szenen zweier Ehen.

Aber für einen so schlauen Autor wie Roland Schimmelpfennig, auch er ein Anfangsvierziger, ist das nicht einfach kompliziert genug. Zumal es um keinen Aufguss von Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ geht und keine Konkurrenz zu Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“, zwei Rennern im selben Theater.

Schimmelpfennigs neues Stück „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“, dessen Erstaufführung jetzt Martin Kusej am Deutschen Theater Berlin inszeniert hat, war ursprünglich eine Auftragsarbeit für das Volcano Theatre (schöner Titel!) im kanadischen Toronto. Zusammen mit einer amerikanischen Autorin und einem kenianischen Schriftsteller sollte Schimmelpfennig zu einer „Afrikanischen Trilogie“ beitragen: zu einer dramatischen Auseinandersetzung mit Hunger, Aids, Postkolonialismus und möglichen westlichen Klischees über den schwarzen Kontinent. Um nun all diese Klischees zu vermeiden und sie trotzdem nicht zu ignorieren – weil Klischees ja meist auch ein Stück Wahrheit enthalten –, hat Schimmelpfennig seine Geschichte mit einem Gestus des Geheimnisvollen aufgeblasen und sie zugleich völlig minimalisiert. Das geht so: Kaum ein Satz wird zu Ende gesagt, jede Wendung nur angedeutet, kein Dialog dauert länger als eine Minute; die Begriffe Afrika, Aids oder HIV werden regelmäßig ausgespart, und die Figuren fallen sich immerzu selbst oder dem/der anderen ins Wort und treten als epische Erzähler kurz aus ihren Rollen.

So zieht der Gastgeber Frank, den Ulrich Matthes spielt, mit langer Bedeutungspause schon im ersten Satz die Bilanz des folgenden Geschehens: „Es war eine komplette Katastrophe.“ Diese Methode ist natürlich eine Masche des neualten „postdramatischen“ Theaters, sie ist die allervertrauteste Verfremdung. Aber hier wird sie schnell zur Manier, zum schieren Manierismus. Dazu gehört auch, die halb ausgesprochenen Sätze und nur angedeuteten Gedanken wie musikalische Motive ständig zu wiederholen. Ein Meister darin ist der US-Dramatiker David Mamet, aber der macht daraus noch Stücke. Nicht Stückwerk. Oder eine Seifenblasenoper.

Im unverrätselten Klartext geht es um das: Carol und Martin haben einige Jahre als Ärzte in einer von HIV und Terror versehrten Region in Afrika gearbeitet und hatten dort offenbar ein erkranktes Waisenmädchen wie eine Tochter aufgenommen. Jetzt sind sie zurückgekehrt, haben den zu Wohlstand und einer eigenen Tochter gekommenen Medizinerfreunden Liz und Frank als Geschenk eine afrikanische Kinder-Skulptur mitgebracht. Die Tochter von Liz und Frank ist jedoch nicht da, sie schläft bei einer Freundin, so steht nun ihre rosa Barbie-Puppe, die den Namen Peggy Pickit trägt, neben der kleinen schwarzen Afrika-Skulptur. Und die Heimkehrer gestehen, dass sie das afrikanische Kind zurückgelassen haben. Ohne Medikamente und Betreuung wird es wohl sterben, das Mädchen mitzunehmen sei leider unmöglich gewesen. Das ist der moralische Konflikt. Heillos auch für die westlichen Heiler?

Darüber hinaus ist immer mal wieder von Carols und Martins afrikanischen Affären die Rede und von den möglichen Ansteckungen; doch einen Test haben die beiden noch nicht gemacht. An diesem Punkt könnte die Geschichte interessant werden. Schimmelpfennig, Deutschlands meistgespielter Gegenwartsdramatiker, ist ein Könner darin, scheinbar unverbundene Figuren durch ein mysteriöses oder kurioses Motiv wie durch ein Virus anzustecken und miteinander zu verspinnen. Das hat er zuletzt wieder wunderbar in seinem 2010 zum Stück des Jahres gewählten „Goldenen Drachen“ gezeigt. Bei „Peggy Pickit“ aber bricht das nur ab.

Jede Infektion haben auch Martin Kusej, der kommende Intendant des Münchner Residenztheaters, und seine Bühnenbildnerin Annette Murschetz gescheut. Maren Eggert als Liz, Ulrich Matthes, Sophie von Kessel (Carol) und Norman Hacker (Martin) agieren im aseptisch leeren Zimmer. Man besäuft sich bloß trocken, kein Requisit, alles ist Rede im abstrakten Gedankenraum. Nur gibt es darin kaum einen Gedanken, weil die 90-minütige Geschichte nach einer Viertelstunde restlos begriffen ist.

Die einzige Spannung liefern die Spieler – indem sie all die Handlungslöcher mit brillanten Nuancen füllen: ein Augenblitzen, ein schiefes Lächeln, ein kurzer Schüttelfrost, ein Hüftschwenk oder ein luftmalerischer Fingerzeig. Maren Eggert und Sophie von Kessel spielen als Engelsrabenmütter immer mal wieder ein Sekundendrama, und Ulrich Matthes, der Virtuose des Minimalismus, wirkt wie ein Ferrari. Ein Ferrari, der auf der Autobahn im zweiten Gang mit Handbremse fahren muss.

Am Ende hat Martin Kusej, der geschickte Arrangeur, dem ganzen Understatement wohl nicht mehr getraut und einen Knalleffekt vom schwarzen Bühnenhimmel bemüht. Eine Plastikmüll-Lawine. Und auf dem Müll landet auch Peggy Pickit. Ob sie das hier im Dunkel gebliebene „Gesicht Gottes“ je sieht, kann Roland Schimmelpfennig als Regisseur seines Textes dann im Dezember im Wiener Akademietheater zeigen.

Wieder am 23., 26. 11. und 1., 9., 13., 16. 12.

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