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Eine Friedenstaube ist am 26.01.2015 an der Kuppel der Frauenkirche nahe der Bühne während eines Konzerts für Weltoffenheit und Toleranz auf dem Neumarkt in Dresden (Sachsen) zu sehen.

© Soeren Stache/dpa

Pegida: Ein Gefühl von Verbitterung wird bleiben

Am Staatsschauspiel Dresden spricht Heinz Bude über die Spaltung der Angst-Gesellschaft. Pegida habe sich zerbröselt, die Stimmung aber bleibe.

Für den Soziologen ist die Sache klar. „Sie alle wissen, dass die Zeit von Pegida vorbei ist“, sagt Heinz Bude im Dresdner Schauspielhaus. Langer, einhelliger Applaus. Eine Dame in den vorderen Reihen flüstert ihrem Sitznachbarn zu, dass dies hoffentlich nicht nur Wunschdenken sei.

Die Fraktion der Weltoffenen stellt die überdeutliche Mehrheit an diesem Sonntag im Dresdner Theater. Für Budes Vortrag – eine „Pegida“-Analyse vor dem Hintergrund seiner 2014 erschienenen Schrift „Gesellschaft der Angst“ – hätte das Schauspielhaus seine 800 Plätze wahrscheinlich doppelt verkaufen können; die Tickets waren lange im Voraus vergriffen. Trotzdem drängen sich die Leute im Foyer nach faktisch nicht vorhandenen Restkarten.

Auf den Heimweg durch die Demo

Rein geografisch betrachtet, stehen sie dabei auf der Schnittstelle von „Pegida“ und „Nopegida“. Das Schauspielhaus, direkt gegenüber der Touristenhochburg um den Dresdner Zwinger und keinen Steinwurf von der Semperoper entfernt, liegt unmittelbar an der Marschroute der Pegidisten. Wer an einem Montagabend zu einer Vorstellung ins Schauspielhaus will, muss sich durch die Deutschlandfahnen-Träger durchkämpfen. Macht man sich dann nach dem „Don Carlos“ oder der „Schönen neuen Welt“ wieder auf den Heimweg, hat man gute Chancen, sich inmitten einer bunten Ansammlung Besen schwenkender Warnwesten-Träger wiederzufinden.

Das sind die Gegenprotestler, die einer optischen Spontanschätzung zufolge deutlich unter dem Altersdurchschnitt von „Pegida“ liegen und zum Kundgebungsplatz ziehen, um ihn symbolisch von den dort artikulierten „Vorurteilen zu reinigen“, wie die Pressesprecherin des Dresdner Staatsschauspiels Martina Aschmies sagt.

Ein Aufruf zu mehr Weltoffenheit

Wilfried Schulz, der Intendant des Hauses, ist überzeugt, dass es generell in der Stadt mehr „Pegida“-Gegner als Befürworter gebe. Allerdings besteht auch kein Zweifel, dass sich Pegida ungleich lauter artikuliert. Deshalb haben Dresdner Kulturschaffende „#WOD“ ins Leben gerufen, die „Initiative für ein weltoffenes Dresden“ unter der Schirmherrschaft der sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Eva-Maria Stange und der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz. Neben dem Staatsschauspiel gehören alle namhaften Dresdner Kulturinstitutionen, vom Kreuzchor über die Staatlichen Kunstsammlungen bis zur Palucca-Schule, zu den Unterzeichnern.

Im Theater, erzählt Intendant Wilfried Schulz, verlesen die Schauspieler zurzeit nach jeder Vorstellung eine Resolution: einen Aufruf zu Weltoffenheit. Die Publikumsresonanz sei überaus ermutigend und die Verbindung zu 1989 natürlich nicht zufällig. Damals stand das Ensemble des Dresdner Staatsschauspiels Anfang Oktober auch nach jeder Vorstellung vor dem Vorhang, um unter dem Motto „Wir treten aus unseren Rollen heraus“ öffentlich das „Recht auf Widerspruch“, auf Freiheit und auf "Pluralismus im Denken" einzufordern.

Panik als ein Grundgefühl

Eine Friedenstaube ist am 26.01.2015 an der Kuppel der Frauenkirche nahe der Bühne während eines Konzerts für Weltoffenheit und Toleranz auf dem Neumarkt in Dresden (Sachsen) zu sehen.
Eine Friedenstaube ist am 26.01.2015 an der Kuppel der Frauenkirche nahe der Bühne während eines Konzerts für Weltoffenheit und Toleranz auf dem Neumarkt in Dresden (Sachsen) zu sehen.

© Soeren Stache/dpa

Dass auch die „Pegida-Spaziergänger“ bewusst mit der 1989er-Symbolik arbeiten, ist klar. Der Ruf, den sie skandieren – „Wir sind das Volk" – ist der Identifikationsslogan der friedlichen Revolution schlechthin. Um diesen Punkt kreist auch Heinz Budes kluge, sachlich-erhellende und im Übrigen auch ziemlich unterhaltsame Analyse. In seiner kürzlich erschienenen „Gesellschaft der Angst“ analysiert der Soziologe das titelgebende Panik-Gefühl – vor sozialem Statusverlust, vor der vermeintlich falschen Berufs- oder auch Partnerwahl oder eben vor Konkurrenz etwa durch Einwanderer – als Grundprinzip moderner Gesellschaften. Davon ausgehend, unterscheidet Bude nun in seiner „Dresdner Rede“ drei Gruppen von Islamgegnern.

Das seien zum Ersten „die Selbstgerechten“ mit mittlerer Bildung und ebensolchem Einkommen, die einfach „nicht gestört“ werden wollten, und das seien zum Zweiten „die Übergangenen“: ein in den letzten Jahren entstandenes und stetig wachsendes „Dienstleistungsproletariat“ etwa im Pflege- oder Gebäudereinigungssektor, das sich schlichtweg vor Job-Konkurrenten fürchte.

Die Gruppe der Verbitterten

„Interessant ist die dritte Gruppe“, sagt Bude: „die Verbitterten“. Der typische Vertreter dieser Fraktion sei höher bis hochgebildet, reise gern auch mit seinem nicht ganz billigen Wagen durch die Welt und zeige generell eine „hohe Bereitschaft“, sich zu engagieren. Allerdings dominiere bei den Verbitterten trotz seines mehr als respektablen Jobs die Wahrnehmung, aufgrund von Bedingungen, die er selbst nicht kontrollieren könne, unter seinen Möglichkeiten geblieben zu sein.

Deutschlandweit, hat Bude in einer Untersuchung mit Kollegen 2011 herausgefunden, machen die drei Gruppen zusammen dreißig Prozent der Bevölkerung aus. Von der dritten Fraktion allerdings, den „Verbitterten“, gebe es im Osten des Landes mehr als im Westen. Bude hat zwischen 2007 und 2010 zusammen mit anderen Sozialwissenschaftlern exemplarisch den Umbruch in der ostdeutschen Stadt Wittenberge untersucht, mithin deren Wandel vom „Industrie- zum deindustrialisierten Gartenort“ in der Folge des Systemwechsels. Ihm sei dabei klar geworden, sagt Bude, dass es „Ostdeutschland gar nicht mehr gibt“. Sondern eine „fragmentierte Gesellschaft“, in der diejenigen, die "Angela-Merkel-mäßig eine Raketenkarriere hingelegt haben, diejenigen, die es vor Ort und diejenigen, die es gar nicht geschafft haben, nichts mehr miteinander zu tun hätten.

Die Bewegung zerbröselt sich

„Die Chancenstruktur der Wende“ war um 2000 vorbei, erklärt Bude. Wer es bis dahin nicht geschafft habe, sei ins Stadium des ewigen Wartens eingetreten und könne „nur noch Inventur machen.“ Wann also, fragt Heinz Bude rhetorisch in den Dresdner Theatersaal, bekommen Ostdeutsche eine Gänsehaut? Genau, bei dem Satz: „Wir sind das Volk“. Bei diesem wahnsinnig „einsamen und verlorenen“ Satz, in dem die Frage stecke: Warum wird meine Leistungsbereitschaft nicht mehr abgerufen?

Klar: Pegida habe sich zerbröselt, das Gefühl allerdings nicht. Einige werden vermutlich NPD wählen, prophezeit Bude, einige AfD, viele sich ins Lager der Nichtwähler einreihen und „im Gefühl eines verbitterten Verstummens böse Mails schreiben“.

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