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Ultimative Party: Die Performance "Menge"

© Estelle Hanania / Volksbühne

Performance an der Volksbühne: Euphorie und Erschöpfung

Willen zur Entgrenzung: Gisèle Vienne inszeniert an der Volksbühne eine Tanzperformance über die Rave-Szene in den 90ern.

Von Sandra Luzina

Die Bühne ist mit Abfall übersät, und als die Party losgeht, kommt noch mehr Müll dazu. Durchaus ein vertrauter Anblick für die Berliner unter den Zuschauern. Die Choreografin und Regisseurin Gisèle Vienne knüpft in dem Gruppenstück „Menge“, das in der Volksbühne gezeigt wird, an ihre Berlin-Erfahrungen aus den frühen Neunzigern an: Damals stürzte sich die Französin kopfüber ins Clubleben der Stadt. Auf einer Berliner Bühne 15 junge Leute zu zeigen, die sich zu einem Rave verabreden, ist aber natürlich so, als trage man Eulen nach Athen. Beim Betrachten von „Menge“ beschleicht einen irgendwann das Gefühl: Es sind die anderen, die feiern. Nun hat Gisèle Vienne keine Verklärung der Techno-Kultur im Sinn. Sie zeigt den unbedingten Willen zur Entgrenzung, aber auch die Ernüchterung und Erschöpfung.

Gisèle Vienne ist eine ästhetische Grenzgängerin. In ihren Inszenierungen verbindet sie Choreografie und Puppenspiel, Theater und bildende Kunst. Ihre Bildwelten haben oft etwas Düsteres. Für „Menge“ konnte sie einen kompetenten Partner gewinnen. Die Playlist hat Peter Rehberg zusammengestellt, der 1994 in Wien das Label Mego gegründet hat, das für die Weiterentwicklung von elektronischer Musik zwischen Noise und Ambient steht. Auf dem Programmzettel sind die Tracks einzeln aufgeführt: überwiegend Klassiker des Detroit-Techno wie Jeff Mills, Underground Resistance und Drexciya, die auch den Sound in Berliner Clubs geprägt haben. Mit Manuel Göttsching ist auch ein Berliner Pionier der elektronischen Musik dabei.

Irgendwann beginnt die Menge auf- und abzuwogen

Doch um eine historische Aufarbeitung der Rave-Kultur geht es Vienne nicht. Sie verfremdet das Geschehen mit einem Kunstgriff: Die Bewegungen der Feierwütigen sind extrem verlangsamt und zerdehnt. Hier geht nicht etwa die Post ab, anfangs sieht man eine junge Frau in gelber Regenjacke, die sich wie in Zeitlupe über die Bühne schiebt. Die Jungs vergraben sich in ihren Kapuzenjacken. Die 15 Performer stehen zunächst unentschlossen herum. Erst wird nur vereinzelt ein Arm in die Höhe gereckt, irgendwann beginnt die Menge auf- und abzuwogen. Momente einer quasi-religiösen Ekstase, die Körper scheinen zu verschmelzen. Die Sehnsucht nach einer temporären Gemeinschaft blitzt auf, nach einer nicht-alltäglichen Erfahrung. Doch in „Menge“ sind nicht etwa die Unterschiede aufgehoben in einer kollektiven Trance. Die Choreografin arbeitet auch mit Verzerrungen, dann geht ein kollektives Ruckeln durch die Körper. Manchmal zeigen die Tanzenden eine schöne Durchlässigkeit und interagieren miteinander, oft hat man aber auch den Eindruck, als tanze jeder für sich. Die Anmachen laufen meist ins Leere, bald weicht der Rausch der Erschlaffung. Immer wieder kippt einer der Raver aus dem Latschen, sinkt zu Boden. Doch es wird weitergefeiert bis zum Kollaps.

Die Musikauswahl und die Lichtgestaltung erzeugen ganz unterschiedliche Stimmungen. Der Autor Dennis Cooper hat sich Geschichten für die einzelnen Figuren ausgedacht, sie bilden den Subtext. Gesprochen wird in „Menge“ nicht. Einzelne Typen sind erkennbar, andere bleiben eher blass. Die bekannten Codes und Rituale der Rave-Kultur werden in der Choreografie seziert, doch einen wirklich kritischen Blick auf diese Jugendkultur wirft Vienne nicht. Die Stilmittel erschöpfen sich mit der Zeit. Ihre erotische Desillusionierung überrascht nie wirklich, in komplexe Gefühlswelten taucht das Stück kaum mal ab. Es zeigt nur die Leere nach der Euphorie. Ein Phänomen, dass man in Berlin auch im Alltag hinlänglich studieren kann.

Volksbühne, nächster Termin: 15. 6., 19.30 Uhr

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