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Auf der Flucht vor sich selbst. Sabrina Strehl glänzt unter der Regie von Shlomo Lieberman in der schönen Solo-Show „Blanche“, in der eine Mitdreißigerin dem Älterwerden, ihrer Einsamkeit und Angst zu entfliehen versucht.

© Özgür Erkök-Moroder

Performing Arts Festival Berlin: Bühne frei!

Die zweite Ausgabe des Performing Arts Festivals Berlin präsentierte die Vielfalt der freien Szene. Noch größer, eingespielter und mit einigen spannenden Entdeckungen.

Die Weltläufigkeit der freien Szene Berlins hat hier und jetzt ihren Höhepunkt erreicht. In der Alten Münze, dieser schwer begehrten Immobilie in Mitte, steht Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert am Mikrofon und verkündet in den vollen Saal: „Berlin plays an important role in the international performing arts“. Bitte geben Sie diesen Satz bei Bedarf in eines der gängigen Übersetzungsprogramme ein. Man kann ihm jedenfalls kaum widersprechen. Und außerdem, so Wöhlert weiter, gibt es in der „independent scene“ die „stars of tomorrow“ zu entdecken. Wenn das keine Verheißung ist!

Die zweite Ausgabe ist bereits ordentlich gewachsen

Eröffnet wird an diesem Abend das Performing Arts Festival Berlin (PAF), der Nachfolger des 100-Grad-Festivals, das jahrelang eine so schöne Mischung aus Entdeckungen, Unfug und Wunderlichkeiten bot. Unterdessen sind die Ansprüche der freien Szene aber gestiegen, also will man sich der Stadt und vor allem den internationalen Fachbesuchern lieber gänzlich professionell und weniger als Allianz von Rimini Protokoll und Hobbykabarettisten präsentieren. Dazu passt, dass das PAF in seiner zweiten Ausgabe schon ordentlich gewachsen ist. An fünf Tagen werden über 120 Performances an über 60 Spielorten gezeigt, wozu natürlich die vormaligen 100-Grad-Ausrichter HAU, Sophiensäle, Ballhaus Ost und Theaterdiscounter zählen. Die jeweiligen Institutionen bestimmen selbst über ihr Festivalprogramm, gemeinschaftlich kuratiert wird die Nachwuchssparte „Introducing“, für die sich alle Künstlerinnen und Künstler bewerben können, die auch mal eine important role spielen wollen.

In der Alten Münze ist erstmals ein Festivalzentrum

Die erste Ausgabe des Festivals wirkte noch ein bisschen verkrampft, etwas angestrengt um Schaufensterglanz und selbst erteilte Gütesiegel bemüht. Die zweite – wiederum getragen vom Landesverband freie darstellen Künste Berlin (LAFT) und verantwortet von den Festivalleitern Janina Benduski und Stefan Sahlmann – erscheint schon eingespielter. Sie hat in der Alten Münze erstmals ein Festivalzentrum. Und sie bietet ein wirklich gutes Programm.

Im Theater im Aufbau Haus Kreuzberg (TAK) läuft beispielweise „Your Love Is Fire“, ein Stück des syrischen Dramatikers Mudar Alhaggi. Der übersetzt die Ausweglosigkeit der Kriegssituation und die damit einhergehende Deformation der Lebens- und Liebesverhältnisse in ein Kammerspiel, in das er sich als Autor auch selbst mit einschreibt. Immer wieder hadern die Figuren mit ihrem Schöpfer, der seine Schreibblockade nur schulterzuckend entschuldigen kann – ein treffendes Bild für die Fremdbestimmtheit der Existenz, nicht nur in granatenumtosten Zimmern in Damaskus. „Your Love Is Fire“, betitelt nach einer ägyptischen Herzschmerz-Schnulze aus den 60ern, erzählt von Hala, Rand und Khaldoun, die jeweils vor der Frage stehen, ob und wie sie den Verhältnissen entrinnen können. Durch den Gang ins Exil? Durch die Desertion von der Armee? Derweil hadert der Autor in einem Auffanglager in Thürigen mit der eigenen Hilflosigkeit und bekennt: „Ich habe vergessen, warum ich überhaupt hierher gekommen bin“.

Regisseur Rafat Alzakut inszeniert in „Your Love is Fire“ ein bildstarkes Kammerspiel über die Deformation der Lebens- und Liebesverhältnisse im Exil.
Regisseur Rafat Alzakut inszeniert in „Your Love is Fire“ ein bildstarkes Kammerspiel über die Deformation der Lebens- und Liebesverhältnisse im Exil.

© Mohammad Badran

Regisseur Rafat Alzakout, ein syrischer Theater- und Filmemacher, der seit 2015 in Berlin lebt, bringt das Stück bildstark und mit höchster Sensibilität für die zwischenmenschlichen Spannungen auf die Bühne. Premiere hatte „Your Love Is Fire“ bei den Ruhrfestspielen. Und es ist hocherfreulich, dass die Arbeit in Berlin nun in einem Kontext gezeigt wird, der nicht das Label „Flüchtlingskunst“ trägt. Von Alzakout, der in Syrien im regelmäßigen Kampf gegen die Zensur Tschechow und Heiner Müller inszeniert hat und mit der verdeckt agierenden Puppentheater-Kompanie Masasit Mati das Satire-Format „Top Goon“ erfunden hat, würde man gern mehr in Berlin sehen. Das wäre mal ein star of towmorrow.

Überhaupt ist erfreulich, dass diese PAF-Ausgabe auch Premieren zeigt, nicht nur Showcase-mäßig zusammengesuchtes Repertoire. Im Theaterdiscounter bringen Verena Unbehaun, Cornelius Schwalm und Georg Scharegg zum Festival eine performative Lesung von Thomas Melles Wuchtroman „Die Welt im Rücken“ heraus, die ebenfalls großartig gelungen ist. Statt sich an einer Übersetzung ins Einfühlungsspiel zu versuchen, halten die drei Performer stets Distanz zum Text, in dem Melle ja seine manisch-depressive Erkrankung mit staunenswerter Sprachkraft umkreist. Diesen Gestus der permanenten Selbstbeobachtung bewahren Unbehaun, Schwalm und Scharegg – und gerade dadurch dringen sie zum Kern des Romans vor.

Der Besucher kämpft mit der Gleichzeitigkeit der Ereignisse

Ein Wermutstropfen bleibt aber auch. Wie schon beim seligen 100-Grad-Festival kämpft man als Besucher mit der Gleichzeitigkeit der Ereignisse. Während man etwa im HAU in die musikalische Installation „Evros Walk Water 1&2“ von Rimini Protokoll eintaucht, die sehr klug Fluchtgeschichten mit der Performance „Water Walk“ von John Cage verschränkt, muss man sich im Ballhaus Ost die hoch gelobte Arbeit „Conversion / nach Afghanistan“ von costa compagnie entgehen lassen. Während man im Ding Dong Dom – einem tollen neuen Spielort auf dem Holzmarkt-Gelände – der schönen Solo-Show „Blanche“ von Sabrina Strehl zuschaut, verpasst man in den Sophiensälen die mehr als vielversprechende Performance „Erotische Außenreinigung ihres PKWs ohne Trocknung“. Wie schade!

Aber das ist nun mal die Natur eines Festivals, das laut Torsten Wöhlert so „diverse“ ist wie die „independent scene itself“.

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