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"Global Belly" heißt der Performance-Parcours der Gruppe Flinn Works in den Sophiensälen.

© Alexander Barta/Sophiensäle

Performing Arts Festival: Immer weiter wachsen

Das Berliner Performing Arts Festival bietet zum dritten Mal einen Überblick über die vielfältigen Produktionen der freien Szene.

„Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie es zu tun haben?“, fragt der Mann mit einem gewissen Bedrohlichkeitssound. Er ist ja schließlich nicht irgendwer. Zumindest galt er mal als ganz große Nummer. Dirk Leisensee war Theaterkritiker und als solcher gefürchtet, ein federführender Vernichter. Schon früh hat er sein Talent für die scharfsichtige Analyse entdeckt, hat als Kind das mütterliche Essen bemäkelt und dem Lehrer die deutschen Klassiker um die Ohren gehauen („Schiller, was will er?“). Gut, nach einer berufstypischen Alkoholkarriere („Drei Gläser Wein in der Pause“) hat der Weg des Kunstrichters schließlich in die Nervenklinik geführt. Wo er nun selbst sein Publikum findet, für einen galligen Monolog in Thomas-Bernhard-Manier.

„Der Theaterkritiker“ heißt das Stück von Tobias Schwartz, das im Theater unterm Dach in der Regie von Mareile Metzner zur Premiere gekommen ist, mit einem vorzüglichen Christoph Schüchner als bizarr bestrapstem Theater-Vampir im zerschlissenen Morgenmantel. Wie schön, dass die freie Szene sich auch mal der Sorgen und Psychopathologien der Kritikerzunft annimmt, statt immer nur um das eigene Befinden zu kreisen.

Zu sehen ist diese zwar nicht ganz klischeefreie, aber doch sehr unterhaltsame Produktion jetzt noch einmal im Rahmen des Performing Arts Festivals (9. und 10. Juni, 20 Uhr). Dieses PAF, das nunmehr zum dritten Mal stattfindet, bietet ja in der Nachfolge des legendären „100°“-Festivals einen Überblick über die weitverzweigten Umtriebe der freien Szene. Mit „150 Künstlern an 60 Orten“ (Kultursenator Klaus Lederer), respektive „176 Produktionen an 90 Orten“ (Sandra Klöss vom Landesverband freie darstellende Künste Berlin), oder auch „140 Produktionen an 60 Orten“ (Festivalleiterin Janina Benduski). Okay, da muss irgendwer noch mal nachzählen.
Nachdem im letzten Jahr das Festivalzentrum in der Alten Münze angedockt war, findet das „Open up!“ diesmal im Kreuzberger Punkladen SO36 statt. Cool. Bestimmt wird 2019 das Berghain gemietet.

Das PAF jedenfalls beweist, dass „Kunst und Kultur nicht nur im Innenstadtring“ anzutreffen sind, wie Lederer in seiner Rede als peripheriebewusster Mensch betont. Sondern zum Beispiel auch im Garten der Dadaistin Hannah Höch in Heiligensee, oder im ehemaligen jüdischen Waisenhaus in Pankow. Überhaupt lässt ein Blick auf Spielorte und Programm erahnen, woher die Freie Szene ihre Behauptung nimmt, sie stelle 95 Prozent der Künstlerinnen und Künstler Berlins. Da lässt sich erstaunlich viel eingemeinden, was jenseits von HAU, Sophiensälen, Ballhaus Ost oder Theaterdiscounter stattfindet.

Was darf's sein: Rio Reiser oder der Klang der Stadtautobahn?

Obwohl das PAF sich vom Wildwuchs-Image befreit hat und über eine sorgsam kuratierte Nachwuchsplattform namens „Introducing“ verfügt, ist das Angebot doch sehr bunt. Es reicht von Jérémie Pujaus Neun-Stunden-Performance mit dem Titel „Manifesto“ (nicht zu verwechseln mit Julian Rosefeldts gleichnamiger Filminstallation mit Cate Blanchett) über die Soundinstallation „A100. Der Klang der Stadtautobahn“ bis zur Rio-Reiser-Hommage „De Janeiro – Ein Punk ertrinkt in Weißensee“.

Natürlich, das sollte man bei all dem nicht vergessen, gibt es auch in der Innenstadt gutes Theater zu sehen. Zum Beispiel im Theater Aufbau Kreuzberg (tak), wo die Regisseurin Lydia Ziemke mit ihrer Gruppe suite42 die Uraufführung des Textes „Yousef war hier“ von Mohammed Al Attar inszeniert hat. Mit einem überwiegend deutschen Ensemble, ohne dokumentarischen Anspruch, erzählt Ziemke von einer Odyssee im Syrien des Jahres 2013; eine Geschichte in Splittern, zerrissen wie das Land zwischen den Fronten von Al Nusra, Assad und Rebellen.

"Global Belly": Leihmutterschaft als Performance-Parcours

Bestürmend ist auch das Stück „Global Belly“, das die Gruppe Flinn Works in den Sophiensälen zeigt. Sie beleuchtet das Phänomen der Leihmutterschaft in Form eines Performance-Parcours, in aller Widersprüchlichkeit und auf der Basis einer hervorragenden Recherche. Die beste Nachricht fürs PAF gab es schon vor der Eröffnung. Es findet sich im Festivalfonds wieder, den der Senat jüngst mit 3,5 Millionen Euro aufgelegt hat. Die Ausgabe 2019 ist gesichert. Dann bestimmt mit 250 Produktionen an 150 Orten. Der Theaterkritiker freut sich.
Noch bis 10. Juni, Weitere Informationen: www.performingarts-festival.de

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