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Naturerlebnis. Der Künstler Yao Liao schickt Besucher auf die Reise.

© Festival

Performing Arts Festival: Von Pilzen und Pornos

Das Berliner Performing Arts Festival demonstriert die geballte Kraft der freien Szene. Auf der Agenda ganz oben steht der Kampf um Wohnraum.

Bestimmt haben Sie sich auch schon oft gefragt, wie sich ein Pilz fühlt. Klar, letztgültig werden wir es nie erfahren. Aber dem Künstler Yao Liao gebührt Dank, dass er zumindest den Versuch unternimmt, uns die Erlebniswelt der Bodengewächse zu erschließen. Im Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld setzen sich die Interessierten Kopfhörer auf und stülpen sich große Pilzhüte aus Schaumstoff über. Ein etwas verwaschenes Sichtfenster lässt gerade noch so viel Umgebung erkennen, dass man dem startenden Audiowalk durch den Schillerkiez folgen kann.

Man hört Anwohnerinnen und Anwohner, mit denen der Künstler Interviews geführt hat, über die Gentrifizierung ihres Kiezes klagen. Man vernimmt Lobpreisungen der sozialen Wesensart des Pilzes, irgendwo muss da ein Zusammenhang bestehen. „By Mushrooms“ nennt sich Yao Liaos Aktion. Sie lief zum Auftakt des diesjährigen Performing Arts Festivals (PAF), mit dem die freie Szene Berlins ihre geballten künstlerischen Kräfte demonstriert und ihre dringlichsten Anliegen formuliert. Auf der Agenda ganz oben steht dabei, wen wundert’s, der Häuserkampf. Die Autorin und Theatermacherin Simone Dede Ayivi verwies in ihrer Eröffnungsrede zu Recht darauf, dass den stadtweiten Protesten gegen Verdrängung fast schon ein konservatives Moment anhaftet – überall schallt es „Erhalt!“, aber „gerade ist wenig Raum für Utopie“.

Man will die freie Szene abbilden

Damit sich das ändert, wurde als Festivalzentrum der aktuellen PAF-Ausgabe das Haus der Statistik am Alexanderplatz gewählt, neben der Alten Münze eins der wenigen verbliebenen Areale, die noch Potenzial für Kunst- und Kulturzuwachs bieten. Wobei im Haus der Statistik, das Berlin vom Bund zurückerworben hat, ein Kombi-Nutzungs-Modell aus Verwaltung, Wohnen und Kultur realisiert werden soll. Die Erdgeschossflächen des komplett sanierungsbedürftigen Gebäudekomplexes werden jetzt schon mal für Veranstaltungen erprobt. Wie die Zukunft aussehen könnte, das zeigt dort bald die Ausstellung „Haus der Statistik – Modell kooperativer Stadtentwicklung“, die am 8. Juni eröffnet.

Freilich verfügt Berlins freie Szene auch heute schon über eine stattliche Reihe bereits besuchbarer Spielorte, deren Bandbreite das PAF abbilden möchte, vom Acud bis zur Zitadelle, wie die ästhetische Vielfalt, die vom Tanz über Objekttheater und Neuen Zirkus bis zur Impro-Show reicht.

Das Festival selbst hat ja in den vier Jahren seines Bestehens ziemlich beachtliche Dimensionen angenommen, mit einer wachsenden Zahl von Kiez-Dependancen, Diskurs- und Workshop-Programmen oder dem „PAF Campus“, der Studierende von Berliner Hochschulen mit der freien Szene verbandelt. Jüngst ist es deshalb auch in die vierjährige Festivalförderung der Stadt aufgenommen worden, mit 350 000 Euro pro Jahr.

Feministische Porno-Clips

Von Wert ist das PAF sicher, nicht zuletzt wegen seiner Reihe „Introducing“, die Nachwuchstalenten eine gut ausgeleuchtete Plattform im Dickicht des prallen Angebots schafft – am HAU zum Beispiel dem ziemlich vielversprechenden Künstler Jan Rozman, der in seiner Performance „Thinging“ eine Sternstunde der Vergeblichkeit im Kampf mit Wasserflaschen, Schläuchen und stockenden Sätzen inszeniert.

Für die meisten Häuser, darunter Sophiensäle, Ballhaus Ost, Theaterdiscounter, Thikwa oder Theater o.N., bietet das PAF indes vor allem Gelegenheit, strahlkräftige Produktionen ins Schaufenster zu stellen. In den Sophiensäle etwa die Arbeit „Oh My“ des Performerinnen-Kollektivs Henrike Iglesias. Die Künstlerinnen inszenieren feministische Porno-Clips, reden frei über sexuelle Vorlieben und ziehen dem Ganzen noch eine ironische Betrachtungsebene ein. Es kommt jedenfalls nie das Verlangen auf, sich vor Scham einen großen Pilz überzustülpen.

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