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Gedanken müsste man lesen können. Szene aus "Real Magic".

© Hugo Glendinning

Perfromance: Choreografie des Scheiterns

„Real Magic“: eine Stand-up-Tragedy der britischen Truppe Forced Entertainment im HAU2.

Von Sandra Luzina

Das Setting auf der Bühne des HAU2 erinnert an Trash-TV. Ein Stück Kunstrasen, ein Mikro und Stühle, im Hintergrund liegen verschlissene Kostüme und quietschgelbe Küken-Overalls herum. „Real Magic“, die neue Performance der britischen Künstlergruppe Forced Entertainment, beginnt als Parodie auf Game-Shows. Unter der Regie von Tim Etchells bilden Richard Lowdon und Claire Marshall, beide feste Ensemblemitglieder, sowie Jerry Killick ein fatales Trio von Showmaster, Kandidat und Gegenspieler. Freilich wird hier nicht die Welt des nützlichen und unnützen Ratewissens durchmessen, die Spieler verharren im Tal der Ahnungslosigkeit. Denn sie werden vor eine unlösbare Aufgabe gestellt: Der Kandidat soll erraten, was der jeweils andere denkt. Drei Versuche hat er, sonst fliegt er. Die Zuschauer können den zu erratenden Begriff auf einem Pappschild lesen.

Wenn sich Lowdon in Boxershorts hinsetzt und mit einem schwarzen Schal die Augen verbindet, sieht er aus, als wollte er sich einer freiwilligen Tortur unterwerfen. Peinigend die immer wieder eingespielten Lacher, der Retorten-Applaus und die immergleichen Floskeln des Moderators, dem Jerry Killick die nötige Penetranz verleiht. Mit ausgebeulten Hosen und Perücke sieht er wie ein zerrupfter Clown aus. „Electricity“, „Hole“ und „Money“ rät Lowdon und liegt drei Mal falsch. Sofort werden die Rollen gewechselt – und die Prozedur beginnt von vorn. Aus dieser Game-Show gibt es kein Entrinnen. Vorgeführt wird eine Choreografie des unablässigen Scheiterns.

Forced Entertainment haben offenkundig Zweifel an der Lernfähigkeit des Menschen. Selbst auf wohlmeinende Einflüsterungen reagiert Claire nicht: Sie beharrt auf falschen Antworten und bringt damit ihre Mitspieler auf die Palme. Und gegen die blöden Regeln lehnt sich hier auch keiner auf. Eine Endlosschleife, doch deutet sich jedes Mal eine etwas andere Geschichte an. Die Performer variieren das Tempo, sie spielen wie im Zeitraffer oder zerdehnen das Geschehen. Und sie wechseln ständig die Stimmung.

Mal aufgekratzt, mal resigniert

Die Kandidaten sind mal aufgekratzt, mal resigniert. Der Showmaster gibt sich mal einfühlsam, mal kickt er den Kandidaten ruckzuck raus. „Real Magic“ mit seinen sinnlosen Wiederholungen, seinen absurden Aufgaben atmet zusehends den Geist von Samuel Beckett. Aus der Rate-Show wird ein existentialistisches Endspiel. Mit einer Dauer von 75 Minuten ist diese „Stand-up-Tragedy“ eine vergleichsweise kurze Arbeit – das 1984 gegründete Theaterkollektiv aus Sheffield hat sich mit Performances einen Namen gemacht, die zwischen sechs und zwölf Stunden dauern.

Seit mehr als 30 Jahren mischen Forced Entertainment die britische Szene auf. Ihre Performances sind regelmäßig im Hebbel am Ufer zu sehen. Schon in sechs Wochen werden die famosen Briten wieder in Berlin gastieren – dann bei „Foreign Affairs“ im Haus der Berliner Festspiele. Diese vierte Ausgabe des Festivals wird auch die letzte sein: Ab 2017 wollen die Festspiele ein neues Format anbieten. Zukünftig sollen neben Kunst und Performance auch „immersive arts“ thematisiert werden. Eine Ankündigung, die erst mal für eine gewisse Ratlosigkeit sorgte. Matthias von Hartz wird den Kurs nicht mehr mitbestimmen, er wird als Berater des Athens & Epidaurus-Festivals arbeiten.

Der Fokus von Foreign Affairs liegt diesmal auf den Bühnenarbeiten des großen südafrikanischen Künstlers William Kentridge, dem schon eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau gewidmet ist. Doch ansonsten mutet das Programm wie eine Verlängerung des HAU-Spielplans an. Eine Abstimmung zwischen den Veranstaltern hat es anscheinend nicht gegeben.

Mehrere Veranstalter buhlen um dieselben Künstler: Das wird sich in Berlin noch zuspitzen, wenn Chris Dercon an der Volksbühne anfängt. Forced Entertainment wurde von „Foreign Affairs“ immerhin ein Privileg zugestanden: Ihnen gehört die allerletzte Nacht. Mit „From the Dark“ zeigen sie eine einmalige Variation ihrer ersten großen Durational Performance aus dem Jahr 1999. Vom Sonnenuntergang bis zur Morgendämmerung wird gespielt: Die Zeit braucht es, denn die elf Performer wollen all ihre großen und kleinen, privaten und politischen Ängste aussprechen – und sich damit von inneren Dämonen befreien.

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