zum Hauptinhalt

Pergamonaltar: Das Glück des archäologischen Amateurs

Eigentlich war Carl Human überhaupt kein Archäologe. Er war Vermessungsingenieur und litt an Tuberkulose. Warum Berlin auch seiner Krankheit die Rettung des Pergamonaltars zu verdanken hat.

Ein Alptraum für einen Kulturinteressierten. Da erklimmt ein Reisender im 19. Jahrhundert die Akropolis von Pergamon, marschiert durch die Trümmer und „daneben rauchte der Kalkofen, in den jeder Marmorblock ... zerkleinert wanderte. Das war also übrig geblieben von dem stolzen uneinnehmbaren Herrschersitz der Attaliden!“, schreibt Carl Humann in sein Tagebuch. Das war 1864/65. Humann gelang es, die osmanischen Behörden davon zu überzeugen, die Zerstörung der Bestandteile des Pergamonaltars zu stoppen. Eine großartige Tat, ohne die heute der Pergamonaltar im gleichnamigen Museum nicht zu bewundern wäre.

Dabei war Carl Humann überhaupt kein Archäologe und dennoch war die Rettung Pergamons seine größte Tat. Nach der Schulzeit bekam der 1839 in Steele bei Düsseldorf Geborene eine Anstellung als Ingenieur-Aspirant bei der Eisenbahnstrecke Essen-Bochum. Ein Jahr später schrieb er sich an der Königlichen Bauakademie in Berlin ein. Da er an Tuberkulose litt, empfahl ihm sein Hausarzt eine Tätigkeit im Süden. Sein Bruder war inzwischen Vermessungsingenieur im Osmanischen Reich und lud Carl ein, in die heutige Türkei zu kommen. Vor 150 Jahren, am 15. November 1861, ist er im Orient eingetroffen und hat sich gleich an einer Grabung auf Samos als Vermessungsingenieur beteiligt. Er gründete auch ein Import-Export-Unternehmen für Schmirgel in Istanbul und war damit finanziell recht erfolgreich.

Ähnlich wie Baron von Oppenheim nutzte Carl Humann seinen Aufenthalt im Osmanischen Reich zu ausgedehnten Reisen, begleitete seinen Bruder beim Straßenbau und „meist unter der Ägide des mir persönlich sehr zugetanen Großwesirs Fuad Pascha“, ein nicht unwichtiger Freund in jenen Zeiten. Als er sich an der Küste von Äolien aufhielt, war es für ihn klar, der Akropolis von Pergamon einen Besuch abzustatten, zumal er sich ja bisher auch schon mit antiken Altertümern beschäftigt hatte. Die Reste des antiken Pergamon sind seit dem 15. Jahrhundert aus Reiseberichten bekannt.

Humann war erschüttert von der Zerstörung der Marmorplatten durch die Kalkbrenner, seinem Einfluss war es zu verdanken, dass dies gestoppt wurde. Schwieriger war es für den Nicht-Akademiker, Berlin davon zu überzeugen, eine Grabungslizenz zu beantragen. Humann lud den Archäologen Ernst Curtius ein, Pergamon zu besichtigen, führte ihn „wie ein Pascha“ – so erinnert sich Curtius – durch die Ruinen, doch ohne Ergebnis. Die Schenkung von zwei Tafeln des Altars beantworten die Königlichen Museen nicht.

Das ändert sich, als Alexander Conze Direktor der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen wird. Er setzt sich für Humanns Idee ein und so bekommt dieser endlich am 17. August 1878 die Grabungslizenz und am 9. September begannen die Grabungen, die die erfolgreichsten der Königlichen Museen werden sollten. Wieder hatte ein engagierter Laie durch seine Beharrlichkeit und seinen Idealismus entgegen der Skepsis der Fachwelt Großes geleistet und Pergamon der Weltöffentlichkeit erschlossen. „Wir haben nicht ein Dutzend Reliefs, wir haben eine ganze Kunstepoche...gefunden“, notierte er kurze Zeit später. Er sichert innerhalb kürzester Zeit eine unvorstellbare Menge an Funden, Tafeln mit Inschriften, Skulpturen, Büsten, Bruchstücke des Frieses. Sein Erfolg verschafft ihm eine zweite Grabung von 1880-1881 und eine dritte von 1883 bis 1886. Pergamon war im 3. und 2. Jahrhundert vor Christus Hauptstadt eines bedeutenden Reiches in der heutigen Türkei.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Pergamon heute weiter erforscht wird.

Humann gelang es auch in einer logistischen Meisterleistung, die tonnenschweren Objekte in den Hafen von Dikeli zu transportieren, wo drei deutsche Kriegsschiffe vor Anker lagen, um die spektakulären Funde nach Berlin zu bringen. Über die Rechtmäßigkeit der Fundteilung herrscht kein Zweifel. Die Funde der beiden ersten Kampagnen wurden den Berliner Museen auf Basis eines Erlasses des Sultans überlassen, bei der dritten Kampagne kam es zu einer Fundteilung. Spätere Funde blieben im Land. Humann starb 1896 – er hatte das Fundament des Pergamonaltars freigelegt, die Oberstadt mit Palästen, Theater, Markt, Trajaneum und Athenaheiligtum – für einen Laien eine beachtliche Leistung. „Carl Humann war eine sehr interessante Figur, ein wilhelminischer Tatmensch mit einer Mischung aus Organisationstalent, Durchhaltevermögen, Bildung und Patriotismus. Und er verstand es, sich im Lande sehr souverän zu bewegen, auch Dank der Freundschaft zu dem einflussreichen Juristen und Maler Osman Hamdi Bey“, erzählt Felix Prison, Direktor der Abteilung Istanbul des deutschen Archäologischen Instituts.

1927 nahm Humanns ehemaliger Assistent Theodor Wiegand für das Deutsche Archäologische Institut (DAI) die Ausgrabungen auf dem Burgberg von Pergamon wieder auf. Weitere bedeutende Grabungen wurden von 1957 bis 1968 von Erich Boehringer, dem Präsidenten es DAI übernommen, das seit 1900 für Pergamon verantwortlich zeichnete. Er widmete sich auch dem Umland Pergamons. Von 1971 bis 2005 leitete Wolfgang Radt die Arbeiten, der sich vor allem der Wohnstadt Pergamon widmete und wichtige Bauwerke etwa die Rote Halle restaurierte und ein kleines Museum errichtete.

Seit 2005 erforscht Felix Pirson mit seinem Team die Siedlungsgeschichte Pergamons. „Man wollte immer die ganze Stadt Pergamon ausgraben, aber bisher ist gerade einmal ein Viertel ausgegraben“, sagt Pirson. Die Archäologen des DAI versuchen nun, den Straßenverlauf zu rekonstruieren, den Boden geophysikalisch zu untersuchen und mittels Keramiksurveys sich über die Lebensverhältnisse und Handelsbeziehungen klar zu werden. „Wir können zeigen, dass der architektonische Entwurf der Stadt eine Ausnahme von der Regel war. Er orientierte sich am Gelände und sah kein traditionelles Straßenraster à la New York vor.“ Bis 2014 soll der Plan der Stadt rekonstruiert sein. Pirsons Mitarbeiter untersuchen auch das Gelände außerhalb der Stadtmauer mit der Nekropole und der Vorstadt. Gerade haben sie ein Grab aus der Römerzeit entdeckt.

In einem Radius von 30 Kilometern gehen sie über die Vorstadt hinaus und untersuchen den ländlichen Raum und kleinere Städte wie etwa den Hafen von Pergamon oder einen Stützpunkt am Ausgang des Tales. „Wir können zeigen, dass die aufstrebende Residenzstadt Pergamon auch das Umland positiv verändert hat. So können wir größere Zusammenhänge erkennen.“

Zur Startseite