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Ronson Culibrinas Gemälde „Hence let us atone from ignorance to knowledge“ (2016)

© Galerie Michael Janssen

Kultur: Perlen im Müll

Historienmalerei von Ronson Culibrina in der Galerie Michael Janssen.

Ungestüm und erfrischend frech eignet sich der philippinische Maler Ronson Culibrina klassische Themen der mythologischen und der Historienmalerei an und schlägt dabei mühelos Brücken in die popkulturelle Welt der digitalen Gegenwart. Die Styx-Überquerung vom Diesseits zum Jenseits aus Dantes achtem Kreis der Hölle gerät bei dem 1991 in Manila geborenen, dort lebenden Maler zum Massenspektakel mit irrwitzigen Bezügen. In dem „Rebuttal without a few days in misery“ betitelten Gemälde (8800 $) sieht der Fährmann Phlegias eher aus wie Godfather höchstselbst, während eine von dunklen Gestalten umgebene Maria als illuminierte Keuschheit andächtig betend im Boot kniet. Schwimmer am Rand der Fähre bieten statt Münzen Eis im Plastikbecher als Gaben an, um sich damit den Zutritt zur Fähre und den Zugang zum Paradies zu erkaufen.

Reloaded: Motive aus dem 19. Jahrhundert

Die gesamte Ausstellung in der Galerie Michael Janssen ist von Ronson Culibrina als Hommage an seinen großen, gefeierten Vorgänger Felix Resurrección Hidalgo aus dem 19. Jahrhundert gedacht. Dessen noch zu Hidalgos Lebzeiten in Spanien mit Preisen ausgezeichnetem Werk huldigt Culibrina, indem er bestimmte Szenen im Sinne der „Resurrección“ buchstäblich wiederauferstehen lässt, um sie mit Chuzpe und fantasievoller Aneignung fit für das 21. Jahrhundert zu machen. Handwerklich bravourös erschafft Culibrina seine Motive auf den großen und mittelgroßen Leinwänden und vermag es ebenso gut, Landschaften zu imaginieren wie Getümmel von Menschen, Fabelwesen, Comicfiguren als spannungsgeladene Geschichten zu konstruieren.

Im Zentrum der mittelalterlich anmutenden Szene von „Secrecy, Conspiracy“ (12 000 $) steht eine Revolte samt einem Denkmalsturz. Die meisten der bewaffneten und gegnerischen Kombattanten haben sich mit anonymen Todes- und Tiermasken camoufliert. Dabei dienen ihre Speere nicht unbedingt dem körperlichen Angriff: In der von Culibrina gemalten Wirklichkeit werden Selfiesticks mit montierten Smartphones zu Waffen im Kampf gegen die Egomanie.

Soldaten kämpfen mit Selfie-Sticks

Der Spruch auf einem der Banner, „Together is the best place to be“, ist die höhnische Bestätigung einer vollkommen individualisierten Gesellschaft, die Menschen bloß noch als Verbreitungsinstrumente einer Facebook-Community braucht. Der Denkmalsturz erinnert auch an Bagdad, als US-Soldaten die Statue Saddam Husseins vom Sockel holten. Dank der schamlosen Zitierfreudigkeit Culibrinas tickt am Rande des Geschehens eine surreal dahinschmelzende Uhr im Stil von Salvador Dalí vor einer Wand mit Keith-Haring-Motiven. Das Gesicht eines Rückenakts (3800 $) hat der Maler so zergliedert, dass es wirkt, als habe er sich am späten Kubismus eines Peter Saul abgearbeitet. Auch hier gibt die Kamera am Selfie-Stick den erleuchtenden Hinweis: Die digitale Nabelschau mündet letztendlich in einer Fratze.

Genüsslich zitiert Culibrina auch Werke europäischer Meister und übersetzt ihre Sujets in die Gegenwart. In der idyllischen Urwaldszene „Hence let us atone from ignorance to knowledge“ (8400 $) wird Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrring in einer Barke chauffiert, die mit schwarzen Müllsäcken beladen ist. Auf einem Hügel thront Maria, während hinter der Szenerie das Emblem von McDonald’s durch die Baumkronen leuchtet.

Galerie Michael Janssen, Potsdamer Str. 63; bis 3. 9., Di–Sa 11–18 Uhr

Matthias Reichelt

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