zum Hauptinhalt
Scheu – das aber öffentlich. Peter Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen in Kärnten geboren.

©  Antonio Cotrim/dpa

Peter Handke: Am nächsten Morgen in Kalifornien

Peter Handke wird 70. Er sorgte für einen Eklat bei der Gruppe 47, war der erste Popstar der deutschsprachigen Literatur und später umstrittener Serbien-Liebhaber. Gratulation an einen Unberechenbaren.

Keinen anderen europäischen Schriftsteller umfängt bei uns, seit Samuel Beckett tot ist, eine ähnliche Aura. Beckett war freilich scheu und der großen Öffentlichkeit entrückt. Ein Scheuer ist Peter Handke im Grunde auch, obwohl viel offensiver und öffentlicher in seinem Stolz. Auch im Eigenmaß, das bei anderen nur als leicht lachhafte Anmaßung durchginge. Handke zitiert beispielsweise Goethe ganz selbstverständlich von gleich zu gleich. Warum nicht, wie denn sonst?, würde er über jeden Einwand lachen.

Er geht (und wandert) oft ins Einsame, ins Innere, in seine Pilzwälder hinter Paris oder in die Weite. Der istrische Karst, Amerikas Prärien, die spanische Meseta. Aber er sucht auch die Gemeinschaft, wenngleich er dort – in Kneipen, Cafés beim Trinken, Träumen, Sinnieren – gerne für sich ist. Bei sich und dem eigenen Bleistift. Sein jüngstes Buch ist der „Versuch über den Stillen Ort“, den er dagegen verteidigt, ein „Abtritt“ oder gar nur „Abort“ zu sein. Die Toilette, das Klo, ob auf einem Kärtner Bahnhof oder in japanischen Tempeln, würdigt Handke als universelle Rückzugstätte der Menschheit.

Das zeigt seinen stillen Witz. Nachdem sein Zorn oder sein Aberwitz ihn durch zwei Jahrzehnte, seit den Balkankriegen, oft zum Objekt schier todernster Auseinandersetzungen gemacht haben. „Objekt!“, würde Handke dagegen gleich höhnen mit seinem wortbewussten Sprachverstand – und auf sich, also dem Subjekt, auf seiner maßgeblichen Subjektivität bestehen. Die „Bundesrepublik Jugoslawien“, auf ihr hat er, der geborene Kärntner mit slowenischen Vorfahren, noch im Zerfall bestanden. Sie war sein Wunschland. Im Streit mit allen Separatisten – und besonders mit der Nato, der Uno und selbst seinen gutwilligsten Freunden – hat er mit oft zweideutigen Worten sich eher einem Milosevic oder auch dem blutigen Nebenberufspoeten Karadzic genähert als deren Opfern.

Und wenn er 2011 in der „Geschichte des Dragoljup Milanovic“ (2011 im Salzburger Verlag Jung und Jung) sich nochmal nach Serbien begibt, dann verrät der sonderbar verquälte Stil die Selbstqual auch des großen, gefährdeten Stilisten. Dabei ist es, neben der Wut über die Bombardierung von Belgrad im Jahr 1999, Handkes Schmerz und sein in diesem Fall sehr gerechter Zorn, der ihn zur Verteidigung eines zu 10 Jahren Haft Verurteilten bewegt. Eines Belgrader Fernsehjournalisten, der das Opfer einer tragisch-grotesken Selbstjustiz in Serbien ist.

Nur zur Erinnerung, vor einem halben Jahrhundert hatte Peter Handke in Graz mal Jura studiert. Und: Am 3. Dezember 1967, beflügelt vom Sensationserfolg seines im Rhythmus einer Beatband skandierten Stücks „Publikumsbeschimpfung“, erhielt Peter Handke den von der damaligen Freien Volksbühne in West- Berlin gestifteten Gerhart-Hauptmann- Preis. Den allerersten von vielen Preisen, und in seiner ersten Dankrede widmet sich der junge Dichter und nun abgebrochene Jurastudent dem gerade ergangenen Freispruch für den Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras. Ein halbes Jahr zuvor hatte Kurras den Studenten Benno Ohnesorg erschossen. Handke, gegen die Empörung seiner eigenen Generation, verteidigte Kurras zur allgemeinen Verblüffung, er „begrüßte“ den so eiligen, fadenscheinigen Freispruch. Kein Angeklagter sei jemals ganz schuldig. Immer müsse ein letzter Zweifel auch für ihn sprechen. Und so forderte Handke gleich noch die Abschaffung aller Gerichte und Gefängnisse.

Ein Autorenleben später sagt Peter Handke im sehr entspannten, schönen Gespräch mit den österreichischen Journalisten Hubert Patterer und Stefan Winkler, das gerade in der Edition der Grazer „Kleinen Zeitung“ publiziert wurde: „Ich bin kein humanitärer Schriftsteller, der Gutes tun möchte. Aber ich möchte Gutes schaffen. Das ist universeller, als Gutes tun.“ Was davon bleibe? „Alles.“

Handke ist kein politischer Schriftsteller, obwohl er sich gelegentlich ins Politische einmischt. Er ist Zeitgenosse und zugleich Gegenzeitgeist, ein Unzeitgemäßer. „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“ hieß seine vor 40 Jahren erschienene Aufsatzsammlung, die auch zuerst in der „Zeit“ veröffentlichte, äußerst wirkungsvolle Überlegungen zum politischen Straßentheater enthielt oder seine berühmte Abrechnung mit Brecht (Motto: „Horváth ist besser als Brecht“).

Natürlich war schon die Kurras-Rede eine kalkulierte und bei allem Ernst zugleich spielerische Provokation. Darauf versteht er sich bis heute, und das verschaffte ihm seine frühe Aura. Hatte Handke doch im Frühjahr 1966 bereits mit seinem legendären Auftritt bei der Jahrestagung der Gruppe 47 im amerikanischen Princeton die deutsche Autorengemeinde samt mitgereister Kritikerprominenz verblüfft: durch eine improvisiert wirkenden Zwischenrufzornrede gegen die „Beschreibungsimpotenz“ der gerade etablierten deutschen Literatur.

Grass fand vor allem Reich-Ranicki langweilig

Der 24-jährige Österreicher, der in jenem Jahr ’66 mit seiner Freundin und ersten Frau, der Schauspielerin Libgart Schwarz, von Graz nach Düsseldorf gezogen war (vor den Stationen Paris, Kronberg, Paris, Salzburg und wieder Paris), er trug damals eine sanfte schicke Beatles-Frisur. Und erschien schnell als der erste deutschsprachige Popliterat. Was dann wie ein Hammerschlag ins Porzellan bei der Tagung in Princeton geschah, ist jetzt nochmals anschaulich nachzulesen in Helmut Böttigers gründlicher, soeben erschienener Studie „Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb“. Als Handke, eben noch fast unbekannt, in Princeton etwas aus seinem gerade im Entstehen begriffenen zweiten Roman „Der Hausierer“ vorgelesen hatte, fand das Marcel Reich-Ranicki (später Handkes Lieblingsfeind) langweilig. Und „Grass fand vor allem Reich-Ranicki langweilig, Handke aber auch“ (Böttiger), Walter Jens sprach immerhin von einer verheißungsvollen „Fingerübung“, während Reinhard Baumgart nur eine „Art erzählerischer Sekundärliteratur“ zu erkennen glaubte.

Dass Handke in seiner noch sperrigen Anfangsprosa dem selbstreflexiven Gestus des französischen Nouveau Roman à la Robbe-Grillet nahe war und gar nicht mit dem epischen Realismus eines Böll oder mit dem Fabulierer Grass konkurrieren wollte, wurde völlig übersehen. Dabei suchte Handke einen neuen, von Popmusik und Filmbildern inspirierten „Sound“. Am Tag nach seiner schnell abgeschmetterten Lesung stand er plötzlich auf und redete sich erst leise, scheinbar noch schüchtern gegen die Literatur der Älteren und gegen die Kritik („ebenso läppisch wie diese läppische Literatur“) in Rage – und an die Rampe der großen Bühne. Peter Handke wurde, auch in Frankreich oder Italien, zu einer Kultfigur. Wie sonst nur ein Kerouac als Beatpoet in den USA oder in Paris der junge Camus. Dieser Ruhm hält an. Aber wohl nur wenige erinnern noch, dass Peter Handke, der Drehbücher für seinen Freund Wim Wenders schrieb („Der Himmel über Berlin“), auch selber Kinofilme machte und mit der „Linkshändigen Frau“ 1977 Deutschland im Wettbewerb von Cannes vertrat.

Handkes Fußballer Josef Bloch spielte mit seinem Namen auf Kafka und den Philosophen des utopischen „Prinzips Hoffnung“ an – und „Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter“ wurde zum geflügelten Wort. Wie der Titel des vor 40 Jahren erschienenen Amerika-Romans „Der kurze Brief zum langen Abschied“, in dem Mexikaner mit Rasierklingen zwischen den Fingern auftreten und die Geliebte des Erzählers den Hahn eines Revolvers spannt. Nach dem fast tödlichen Countdown zwischen ihr und dem Erzähler besteigen die beiden nachts einen Greyhound-Bus. Wohin der fahre? „Nach Süden“, sagt der Driver. „Wir stiegen ein, und schon am nächsten Morgen waren wir in Kalifornien.“ Auf Besuch dann beim alten Western-Regisseur John Ford.

Das alles scheint eine Ewigkeit her. Und stammt doch vom selben großen Schriftsteller, der inzwischen auch viele handlungsarme Nichtgeschichten zu seiner langen Geschichte erklärt. Befreit hat er sich freilich aus dem oft nur noch Staffagehaften mit seinem letzten Stück „Immer noch Sturm“: einem von der eigenen Familiengeschichte inspirierten Requiem auf die slowenische Minderheit in Österreich und eine vergessene Historie des Naziweltkriegsunrechts, mit Folgen bis heute. Da ist: immer noch Sturm. Und von Anfang an hat an ihn sein Verleger Siegfried Unseld geglaubt.

Der heute zu Handkes 70. Geburtstag erscheinende Briefwechsel zwischen Autor und Suhrkamp-Chef ist auf fast 800 Seiten ein grandioses Zeugnis: wie ein eben noch Unscheinbarer wächst. Wie der junge Mann aus der Provinz ein Großdichter wird, aus eigenem Genius, aber auch mit Hilfe eines welterfahrenen, für jedes literarische (und geschäftliche) Detail aufmerksamen und instinktsicheren ersten Lesers und Buchmachers. Ähnlich wie der Briefwechsel Unselds mit Handkes Landsmann Thomas Bernhard ist dieser Band ein Ereignis. Ein Roman eigentlich, des Schreibens, Lesens und Lebens.

Zur Startseite