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Hass auf Andersartige. Der Dresdner Staatsopernchor spielt eine zentrale Rolle Konwitschnys Inszenierung.

© Semperoper/Ludwig Olah

Peter Konwitschny inszeniert an der Semperoper: Rückkehr des Provokateurs

Peter Konwitschny inszeniert nach langer Pause wieder an der Dresdner Semperoper: Meyerbeers Grand Opéra „Die Hugenotten“

Es ist fast 20 Jahre her, da wurde Peter Konwitschny, der mit seinen heute 74 Jahren nicht mehr als Enfant, sondern als Rentier terrible gelten darf, mit Buhrufen aus der silvesterlichen Semperoper gejagt: Seine Deutung der „Csárdásfürstin“ auf dem Schlachtfeld des Ersten Weltkrieges trieb das Publikum, das am Partyabend nicht mit zeitrealen Warnungen konfrontiert werden wollte, auf die Barrikaden. Konwitschny war schon immer ein Provokateur, aber einer, der seine streitbaren Interpretationen klug aus der Musik entwickelt – und es ist beileibe keine Selbstverständlichkeit, dass ein Opernregisseur Noten lesen kann.

Nach zwei Jahrzehnten hat es Peter Theiler als neuer Intendant der Semperoper wieder mit Konwitschny versucht – und der provoziert noch immer, diesmal aber in entgegengesetzte Richtung: Seine nicht mal vierstündige Fassung der „Hugenotten“ von Giacomo Meyerbeer, die in voller Länge fast sechs Stunden dauern können, zeigt die Geschichte des Glaubenskrieges zwischen Protestanten und Katholiken im Paris des 16. Jahrhunderts zunächst so konventionell, dass man sich die Augen reibt: Das soll Konwitschny sein? Es gibt keine Videos, keine Aktualisierungen, keine Überstülpung. Meyerbeer reicht zum Nachdenken.

Das Angenehme und Überraschende an Konwitschnys Inszenierung ist zugleich, dass er vollständig der Wirkung des Werkes vertraut. Wie sich aus einem dramaturgisch mageren Missverständnis nicht nur ein Bürgerkrieg, sondern ein erbarmungsloser Massenmord entwickelt, ist großes Regietheater ohne Kinkerlitzchen. Als prägend erweist sich da Vincis „Letztes Abendmahl“. Das Gemälde der christlichen Urmahlzeit, aus der letztlich Hass und Mord erwächst, wird im Laufe der fünf Akte immer kleiner, als ob das verbindende Element schwinde, das Humane des Christentums verdorre. Auf der Bühne findet sich die lange Tafel immer wieder: Wird zunächst noch mit Weintrauben geworfen, sind es später Stühle, schließlich fallen Gewehrsalven.

Erst werden Weintrauben geworfen, später sind es Stühle, schließlich fallen Gewehrsalven

Dabei wird auch klar, dass es – religiös motiviert oder nicht – nur die Abgrenzung zum Andersartigen, Fremden braucht, und schon hat man Vorwand genug, seinesgleichen auf grausamste Art und Weise niederzumetzeln. Schon Meyerbeer legte beide Streitparteien auf Augenhöhe an – sie agieren blind als Täter wie Opfer, überbrückt von einer fast shakespearschen Liebe, die nur im Tod Glück verheißt. Das eigentliche Verbrechen, den Mord an den Hugenotten, ordnet indes die Königinmutter Katharina von Medici an, eine Szene, die zu Meyerbeers Lebzeiten der Zensur zum Opfer fiel und erst jetzt am Dresdner Theaterplatz wiedererweckt wurde: Der Fanatismus der Allianz aus Pöbel und Adel festigt die Macht der Obrigkeit.

Dies alles ergibt sich logisch aus dem Fluss der Erzählung, an keiner einzigen Stelle braucht die Regie irgendeine Zeigefinger-Denkhilfe. Das Bühnenbild des Konwitschny-Jüngers Johannes Leiacker erweist sich als ebenso zeitlos dienstbar. Es entwickelt sich vom Idyll gallischer Landschaft zum düstren Bunker, in dem das UV-Licht nur noch die Liebenden erhellt. Nachdem das berühmte klagend- fragende Bassklarinettensolo, aus Wirkungsgründen an den Schluss verfrachtet, verklungen ist, herrscht völlige Finsternis. Was kann da noch folgen?

Am eindrucksvollsten gerät die Personenführung des riesigen Staatsopernchores, der gerade in Gestalt der praktisch pausenlos geforderten Männer eine komplexe Masse voller Individualisten erscheint, die sich dann zusammenrottet, wenn sie einen gemeinsamen Feind erkannt hat. Dass dies metrisch nicht immer mit der stellenweise bemerkenswert unkonzentriert aufspielenden Staatskapelle unter dem Dirigat des Meyerbeer-Spezialisten Stefan Soltész zusammenpasst – geschenkt. Die Wirkung der Chorszenen ist berückend erdrückend.

Kapellmeister Stefan Soltész betont die Härten des auftrumpfenden Rumtata

Demgegenüber wirken manche Solisten eher hölzern, was auch an ihren Partien liegt, die ganz den Gesetzen der Grand Opéra folgen. Irrlichternde Koloraturen auf schier endlos sequenzierten Akkordfolgen nähren das Klischee Meyerbeers vom belanglosen Komponisten, der konsequent von seinen Sängern her denkt. Dieses Vorurteil macht sich stets der antisemitischen Verteufelung Meyerbeers durch seinen teutonischen Konkurrenten Wagner verdächtig. Aber gerade in den ersten beiden Akten ist nicht zu verhehlen, dass trotz erheblicher Kürzungen Meyerbeers Vorgeschmack auf die Belcanto-Ära nicht ohne Längen auskommt, ja selbst in dramatischen Szenen voll lärmender Naivität fröhlich dahinopert. Das wirkt fast selbst wie eine Provokation. Aber Meyerbeer war ein absoluter Theatermann, und Kapellmeister Soltész duldet keine unechten Lyrismen und betont durchaus die Härten des auftrumpfenden Rumtata, das zur gewalttätigen Geschichte teils in so krassem Widerspruch steht. Auch der ist gewollt und durchaus spannungsvoll.

Dass es da nicht immer gelingt, virtuos perlende Arien mit glaubwürdigen Affekten zu paaren, liegt auf der Hand. Am überzeugendsten gelingt es Jennifer Rowleys Hauptfigur Valentine, deren Liebe die unversöhnlichen Glaubensgräben überspringt, ausdrucksvolle Stimme und nachvollziehbares Spiel mit großer Haltung zu verbinden. Mit Abstand folgen ihr hugenottischer Geliebter John Osborn, dessen Höhe sich erst im Laufe des Abends aus ihrer Enge befreit, und John Relyea als sein Diener Marcel, der seinen handfesten Choralbass-Lutheraner ordentlich grundiert. Daneben wird das Solistenniveau in der Sphäre gehalten, die man von der Semperoper erwarten darf. Nicht unbedingt ein Stück für die Lieblingskiste, aber ein sehenswerter Blick in die rohe Anfälligkeit jedweder Art von Gesellschaft, sich selbst abzuschaffen.

(Weitere Vorstellungen am 4., 10. und 13.7.)

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