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Kultur: Peter Konwitschny und Ingo Metzmacher deuten Bartok in Hamburg als Konfliktbeschreibung

An der Hamburgischen Staatsoper hat einmal mehr Peter Konwitschny Regie geführt, und herausgekommen ist "Herzog Blaubarts Burg" als eine Konfliktbeschreibung. Auf eigenen Wunsch gibt Konwitschny vor der Premiere eine Einführung in Béla Bartóks Oper, und selbst hier zeigt er sich als ein Theatermann, dem es vor allem darum geht, verstanden zu werden.

An der Hamburgischen Staatsoper hat einmal mehr Peter Konwitschny Regie geführt, und herausgekommen ist "Herzog Blaubarts Burg" als eine Konfliktbeschreibung. Auf eigenen Wunsch gibt Konwitschny vor der Premiere eine Einführung in Béla Bartóks Oper, und selbst hier zeigt er sich als ein Theatermann, dem es vor allem darum geht, verstanden zu werden. Beim Einfachsten fängt er an, bei Bartóks Lebensdaten - 1881 bis 1945 -, und kommt über dessen Sammlungen von Musikmaterial seiner Heimat und den Blaubartmythos zum Zentrum seiner Gedanken. Hier weise der Kampf zwischen Mann und Frau über die gewöhnliche Problematik hinaus: wegen der hohen Stellung eines Herzogs. Blaubart - ein Macher, ein Verantwortlicher in der vergifteten Welt des patriarchalischen Systems.

Theorie ist gut, sehen ist besser. Und hören! Denn Ingo Metzmacher am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters steht dafür ein, dass seine Wahl zum "Dirigenten des Jahres" auch in dieser Saison nicht ohne Qual abgehen wird. Vom Blutsymbol der keinen Sekund über die warmen Passagen mit Begleitung des Solohorns, Illustration durch Xylophon und sprechende hohe Holzbläser, das Glitzern der Harfen und Celesta, die Wellen des Tränenadagios, den Ausbruch des großen Orchesters lässt Metzmacher die expressionistische Musik mit ihrer Reizharmonik als eine "symphonische Bilderreihe" aufblühen und zugleich des Dramas gehorsame Tochter sein.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist das wissenschaftliche Interesse am Phänomen des Frauenmörders angewachsen und auf die Kunst übergesprungen. Da Bartóks Librettist Béla Balász sein grausames Märchen sowohl kriminalhistorisch als auch symbolistisch begründet, findet sich für einen Phantasten wie Peter Konwitschny ein weites Feld. Judith hat Eltern, Heimat und ihren Verlobten verlassen, um dem düsteren Herzog Blaubart anzuhängen. In seiner Burg liefert sie sich ihm aus, weil sie ihn liebt: Finsternis und Kälte die dort herrschen, will sie besiegen. Erlösen will sie den Geliebten wie Senta und "des Gatten Art" erschauen wie Elsa, die beiden somnambulen Wagnergestalten.

Die ganze Handlung von "Herzog Blaubarts Burg" besteht darin, dass nacheinander sieben Türen geöffnet werden. Zwei Personen sind dafür auf der Bühne. Das ist eher eine erfolgreiche Höroper oder eben ein meistens langweiliges Theater-Duodram. Versteht sich, dass Konwitschny, der Umstrittene, der Verstörer um der Wahrheit willen, der Entdecker des neuen im scheinbar Vertrauten, von solcher Genügsamkeit weit entfernt ist. Seine Judith, Ildiko Komlosi, die sich mit faszinierendem Temperament in das Abenteuer stürzt, betritt die Burg als eine moderne Frau, den Lackmantel über das rote Kleid geworfen. Indem sie Schriftstücke verbrennt, zieht sie den Schlussstrich unter ihre Vergangenheit. In hoher Backsteingotik lebt der Herzog zwischen Messingbett und Schreibmaschine nebst billiger Bürolampe, während sein Kühlschrank die nötigen Bierbüchsen enthält. Das macht den blutbefleckten Reichtum, den er Judith vorführt, umso grausiger: die Einblicke in die Seelenkammern, herbeigeführt von Gespenstern, sind Kopfgespinste: Folterkammer, Waffenlager, Schatzkammer - wobei der ganze Zuschauerraum von Lichtspielen des Designers Konrad Lindenberg flimmert - und Blumengarten.

Höhepunkt ist die Öffnung der fünften Tür: die vermeintlich wunderschöne Landschaft, die Blaubarts Machtgehege bietet, gleicht in Wahrheit einem Bild der Zerstörung, Müll von blauen Tüten, der Himmel weißgrau von Smog und Klimaveränderung, ein Environment des Ausstatters Helmut Brade, das die Warnzeichen der Partitur beim Wort nimmt. Krass und handgreiflich gehen Judith und Blaubart, der ausdrucksmächtige Bariton Robert Hale, miteinander um. Die Vergewaltigung der Frau erscheint als natürliches Verhalten des Mannes, ehe die Blühende ihren Vorgängerinnen, den Verblühten, in die siebente Kammer folgen muss. Die Begegnung der unheimlichen Art ist in jeder Facette spannend inszeniert. Blaubart, der einsame, setzt sich wieder an seine Schreibmaschine, um eine weitere Elegie für eine junge Liebende zu schreiben.

Nach dem hochgestimmten Beifall dürfen die Zuschauer dabei bleiben, wenn die Bühnenarbeiter den Schutt abtragen: offene Szene, offenes Ende.Weitere Aufführungen am 30. Mai und am 3. und 6. Juni.

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