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Kultur: Pflegeversicherung: Jürgen Borchert: "Kinderlose könnten 15 Milliarden mehr für Rente zahlen"

Jürgen Borchert (51) ist Richter am hessischen Landessozialgericht in Darmstadt. Er war als Sachverständiger des Deutschen Familienverbandesan dem Verfahren beteiligt.

Jürgen Borchert (51) ist Richter am hessischen Landessozialgericht in Darmstadt. Er war als Sachverständiger des Deutschen Familienverbandesan dem Verfahren beteiligt.

Sind Sie als der wissenschaftliche Urheber der Klage gegen die Pflegeversicherung zufrieden mit dem Urteil?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein deutlicher Schritt nach vorn im Sinne der Familien. Aber ganz eindeutig haben es die Richter auch dieses Mal nicht gemacht. Karlsruhe hat versucht, das Ruder der Titanic vor dem demografischen Eisberg herumzureißen. Das Urteil wirft aber viele Fragen auf, auf die es noch keine Lösungen gibt.

Wo?

Die Richter sagen, dass Kindererziehung für die umlagefinanzierten Systeme unserer sozialen Sicherung ein konstitutiver und gleichwertiger Beitrag neben den Beitragszahlungen ist. In der Pflegeversicherung muss jetzt ein Ausgleich zugunsten der Familien auf der Beitragsseite stattfinden. Aus dem Urteil ergeben sich aber auch Auswirkungen auf die Rentenreform.

Was heißt das denn für die Rentenreform?

Die Reform hat Elemente, die Kindererziehung stärker zu berücksichtigen, die aber erst in ferner Zukunft wirksam werden. Die Höherbewertung der Kindererziehung gilt erst für ab 1992 geborene Kinder. Erst ab 2030 wird die Erziehungsleistung damit in nennenswertem Umfang berücksichtigt. Das ist zu wenig. Karlsruhe verlangt für die umlagefinanzierten Systeme der Absicherung gegen Altersrisiken eine sofort wirksame Entlastung. Ich gehe davon aus, dass der Gesetzgeber selbst merkt, dass er sich mit der Reform vergaloppiert hat, weil die Ungleichverteilung nicht berücksichtigt wird. Das Verfassungsgericht hat festgestellt, der Gesetzgeber hätte das 1994 bei Einführung der Pflegeversicherung bereits tun müssen. Für 2001 gilt das erst recht.

Wie könnte das aussehen?

Ich persönlich hätte eine Regelung nach dem Muster des Solidaritätsbeitrags vorgezogen. Karlsruhe hat diese Frage aber offen gelassen. Formulierungen im Urteil legen es allerdings nahe, die Beiträge in Zukunft unter Abzug von Kinderfreibeträgen vom Bemessungsentgelt zu erheben. Diese Lösung wäre auch für die Rentenversicherung sicher tolerabler als eine Beitragsstaffel nach Kinderzahl, weil eine gleiche Entlastung je Kind erreicht würde.

Ist das überhaupt bezahlbar?

Für die Rentenversicherung wäre das aufkommensneutral. Was erreicht werden soll, ist ein relativer Ausgleich zwischen Familien und Kinderlosen. Für Kinderlose hätte es eine höhere Belastung zur Folge, wenn das Rentenniveau unverändert bleiben soll.

Sagen Sie mal, was das in Zahlen bedeutet?

Nur um einmal überschlägig die Größenordnungen zu umreißen: Wenn wir davon ausgehen, dass ein Drittel der Haushalte Kinder hat, ein Drittel Rentner sind und ein Drittel Kinderlose, käme es darauf an, ob nur die Kinderlosen oder auch die Rentner belastet werden sollen. Für jede Mark, die wir den Eltern mehr lassen, müssten dann entweder die Kinderlosen um eine Mark belastet werden oder Kinderlose und Rentner zu je 50 Pfennig. Bei 15 Millionen Kindern, die mit, sagen wir, 10 000 Mark beitragsfrei gestellt würden, wären das 150 Milliarden Mark und bei einem Beitragssatz von hälftig zehn Prozent Arbeitnehmeranteil 15 Milliarden Mark, die zu Lasten Kinderloser gingen.

Sind Sie als der wissenschaftliche Urheber der Kla

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