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Kultur: Phädra bei den US-Open

High-Tech-Klassik der Wooster Group mit Willem Dafoe in Berlin: „To You, The Birdie! (Phèdre)“

Es ist inzwischen die leichteste Übung der Welt, Pathos herunterzuspielen und ein klassisches Drama zu zersetzen. Im internationalen Theater der letzten Jahrzehnte finden sich dafür etliche (hervorragende) Beispiele. Und dann kam Patrice Chéreau. Der Franzose glänzte in der Phase der notwendigen Dekonstruktion durch Theater-Abstinenz – und präsentierte Anfang des Jahres seine umwerfende Pariser „Phèdre“, die klassisch ist und zeitgenössisch zugleich; ohne Tricks und Mätzchen, im Vertrauen auf Racine, der seine hohen Worte im 17. Jahrhundert auch schon aus einer Distanz von zweitausend Jahren zur Antike setzte.

Die legendäre Wooster Group um die Regisseurin Elizabeth LeCompte geht bei „To You, The Birdie (Phèdre)“ den offenkundig bequemeren Weg als Chéreau. Man könnte auch sagen: Die New Yorker Avantgardisten haben sich überhaupt nicht verändert. Sie scheinen gefangen in ihrem High-Tech-Labor. Auf Einladung des Berliner Hebbel-Theaters gastieren sie jetzt wieder, wie schon 1994 und 1997 (mit „Frank Dell’s The Temptation of St. Anthony“ und „The Hairy Ape“) am Halleschen Ufer. Wieder sieht die Bühne aus wie ein Gerüst oder ein Folterkäfig, bestückt mit Videomonitoren und einer Tonanlage, die ihresgleichen sucht. Racine, in Soundgewittern! Nur ein weißer Säulenstumpf erinnert an vergangenes, verschüttetes Drama – das die Wooster Group mit neuen Schichten überzieht und überblendet.

Und zerfetzt: Es ist Elizabeth LeComptes bizarre Grundidee, dass die in Urwaldröckchen gewandeten Akteure Badminton spielen. Aufschlag, Return oder gleich der Schmetterball. Bumm, zack, crash – wie Blitzeinschläge knallen die federleichten Bälle zu Boden. Die am Körper getragenen Mikros machen die Schauspieler zu hypersensitiven Kampfmaschinen. Jede Bewegung produziert ein solch gewaltiges Echo, als lägen Nervenenden frei und explodierten bei der kleinsten Berührung. Zong, klirr, kreisch.

In dieser uralten Geschichte liebte einst Phädra ihren Stiefsohn Hippolytos bis zum Wahnsinn. Und weil sie ihn nicht haben kann und nicht lieben darf, lässt sie ihn bei ihrem Mann Theseus denunzieren: Hippolytos sei ihr zu nahe getreten. Theseus verflucht seinen Sohn, und der Meeresgott Poseidon treibt den Unschuldigen in den Tod. Von alldem sehen wir bei der Wooster Group nichts – und hören bloß einen unendlich weit entfernten Widerhall. Nicht nur, weil wie in einer Seifenoper mit diesem cool-echauffierten New Yorker Akzent gesprochen wird. Sondern weil die Regie die wenigen übrig gebliebenen Monologe und Dialoge den handelnden Personen wegnimmt und von Unbeteiligten einsprechen lässt, ähnlich wie im japanischen Theater. Dazu winden sich die (Badminton-)Spieler in Figuren des neoklassischen Balletts.

Ein verkopfter Stil-Mix, der sich auf brutale Art an sich selbst berauscht: Nach achtzig Minuten ist dies Sportstück vorbei. Wenn sie hier überhaupt je anfängt, die Tragödie von Inzest, Stolz, rasender Blindheit. Auf die Provokation des Mythos weiß die Wooster Group nur eine ausweichende Antwort: Parodie! Und das zynische Achselzucken der Performer. Man erkennt es am plastischsten beim späten Auftritt von Willem Dafoe, des Wooster-Group-Stars. Sein König Theseus schleppt sich mit Donnerhall heran, ein Untoter, ein Comic-Schmerzensmann, der die narzisstischen Verformungen seines Körpers mit stählernem Grinsen genießt. Da ist die Phädra der Kate Valk schon unzählige Male wie ein ausgeknockter Boxer zu Boden gegangen, sprachlos, ferngesteuert, platt.

Oberflächlichkeit kann man der Wooster Group nicht vorwerfen, das ist ihr Prinzip. Doch mit dem Elektronik-Wust wirkt die – ausverkaufte – Show so penetrant modern, dass sie schon wieder von gestern ist.

Rüdiger Schaper

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