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Kultur: Phallische Türme, weibliche Möbel

Das Londoner Design Museum mit Sitz in den Docklands begibt sich mit der Ausstellung "The Power of Erotic Design" ins Reich der SinneVON JÖRG VON UTHMANNWird man sich in hundert Jahren noch an Yves Kleins monochrome Leinwände, Cy Twomblys Kinderkritzeleien und die Fett- und Filz-Objekte des Gurus von Düsseldorf, Joseph Beuys, erinnern? Oder werden in den Kunstgeschichten vielmehr die Namen von Ludwig Hohlwein, Raymond Loewy und Dieter Rams zu finden sein - von Designern also, denen wir Werbeplakate, Zigarettenschachteln und die Braun-Haushaltsgeräte verdanken.

Das Londoner Design Museum mit Sitz in den Docklands begibt sich mit der Ausstellung "The Power of Erotic Design" ins Reich der SinneVON JÖRG VON UTHMANNWird man sich in hundert Jahren noch an Yves Kleins monochrome Leinwände, Cy Twomblys Kinderkritzeleien und die Fett- und Filz-Objekte des Gurus von Düsseldorf, Joseph Beuys, erinnern? Oder werden in den Kunstgeschichten vielmehr die Namen von Ludwig Hohlwein, Raymond Loewy und Dieter Rams zu finden sein - von Designern also, denen wir Werbeplakate, Zigarettenschachteln und die Braun-Haushaltsgeräte verdanken.Marcel Duchamp jedenfalls versank, als er mit seinem Freund Constantin Brancusi 1911 eine Industriemesse besuchte, beim Anblick eines Flugzeugs in tiefes Sinnen und sagte schließlich: "Die Kunst ist am Ende.Wer kann etwas Schöneres schaffen als diesen Propeller?" Für Roland Barthes waren die Automobile "unsere Kathedralen". Auch die Museen haben die künstlerische Seite der industriellen Massenproduktion längst entdeckt.Im Londoner Victoria and Albert Museum, im Pariser Musée des Arts Décoratifs und im New Yorker Cooper-Hewitt Museum fehlt es nicht an einschlägigen Beispielen.Das 1989 gegründete Londoner Design Museum unterscheidet sich von diesen illustren Vorgängern insofern, als es sich ganz auf das Design des 19.und 20.Jahrhunderts spezialisiert.Hier sind die Kochtöpfe, Füllfederhalter, Staubsauger und Telefone nicht ein amüsanter Schnörkel am Rande, sondern Mittelpunkt der Sammlung.Das Museum ist Teil der Docklands am südlichen Ende der Tower Bridge, wo die Londoner das Kunststück fertiggebracht haben, die finsteren Speicherhäuser der viktorianischen Zeit in schicke Wohnungen, Boutiquen und Galerien zu verwandeln. Mit seiner jüngsten Sonderausstellung ("The Power of Erotic Design") hat das Museum ein gewaltiges Thema ausgepackt.Wer wollte bestreiten, daß die Erotik in der Werbung eine große, manchmal auch beunruhigende Rolle spielt? Erst vor kurzem mußten die New Yorker Busse Plakate entfernen, die für Unterwäsche warben: die Modelle waren vielen zu jung und zu aufreizend gewesen.Daß Frauen von der Werbebranche zum Sexobjekt herabgewürdigt werden, ist nicht nur eine Provokation für Feministinnen. Was man in London zu sehen bekommt, ist freilich nur eine sehr kleine Provinz im Reich der Sinne und dafür vieles, was nicht dazugehört.Was haben Autos, Salvador Dal¿¤s Hummertelefon und ein Modell von Erich Mendelsohns Einstein-Turm mit Erotik zu tun? Autos, erklärt uns eine Inschrift an der Wand, symbolisierten "Schnelligkeit und Kraft", und vom Einstein-Turm behauptet eine andere: "Er suggeriert männliche und weibliche Genitalien." Hier handelt es sich wohl um einen Fall von Autosuggestion.Da helfen auch die schwarzen, Verworfenheit insinuierenden Schleier nicht, in die Kurator Nigel Ocates einige vollkommen harmlose Gegenstände hüllt. Dem Thema näher sind die erotischen Schmuckstücke und antiken Kleinplastiken aus dem Londoner Freud-Museum; auch der Sessel fehlt nicht, auf dem der Archäologe des Unterbewußtseins seine horizontale Kundschaft zum Sprechen brachte.Wer zu political correctness ein entspanntes Verhältnis hat, wird schmunzelnd die leichtgeschürzte Maid betrachten, die kniend einen Glastisch auf dem Rücken trägt.Rundum von weiblichen Kurven inspiriert sind die Möbel des italienischen Designers Carlo Mollino.Dem gleichen Macho-Geist entsprungen ist das weiblich geformte, allerdings nie in Serie produzierte Motorrad, das dem Fahrer das aufregende Gefühl vermitteln sollte, mit seiner Maschine zu kopulieren.Die Erotik als Werbemittel wird hauptsächlich auf Video vorgestellt. Den Vorwurf, den Mund zu voll genommen und dabei das Thema aus den Augen verloren zu haben, wird man der zweiten Sonderausstellung eine Etage höher nicht machen können.Hier geht es ohne falsche Prätention um die Entwicklung der Coca-Cola-Flasche vom ursprünglich viereckigen Modell mit Gummistöpsel bis zu der bekannten, 1915 patentierten Form.Für den Herbst ist eine Ausstellung über Fahrräder geplant. Design Museum, London, bis 12.Oktober.

JÖRG VON UTHMANN

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