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Philharmonie: Mit Pauken und Propheten

Daniel Barenboim, das Chicago Symphony Orchestra und Cecilia Bartoli lassen die Berliner Philharmonie erzittern

Berlin braucht mehr Kulturtouristen! So freundlich das hauptstädtische Klassikpublikum jeden Künstler auch empfängt – zum Sturm steigert sich der Jubel erst, wenn südländisches Temperament hinzukommt. So wie jetzt bei den Festtagen der Staatsoper Unter den Linden. Was an den drei Abenden mit dem Chicago Symphony Orchestra und Daniel Barenboim in der Philharmonie los war, ist auch den vielen internationalen Gästen zu verdanken, die das Festival stets anzieht. Heftig wie ein April-Schauer prasselt der Beifall auf die Instrumentalisten nieder, gemischt mit Bravo-Rufen in spanischer und italienischer, französischer und amerikanischer Sprachfärbung, orkanartig aufbrausend, wenn Barenboim das Podium betritt.

Es gab allen Grund zur Begeisterung. Die Aufführung von Tschaikowskys „Pathétique“ am Karfreitag beispielsweise war wohl eine der besten, die dieses Stück je erlebt hat. Aber der Reihe nach: Zum sechsten Mal hat Daniel Barenboim das Chicago Symphony Orchestra, dem er seit 1991 als Chefdirigent vorsteht, nach Berlin geholt, um hier, an seiner zweiten Hauptwirkungsstätte, den österlichen Festtagen der Staatsoper zusätzlichen Glanz zu verleihen. Glänzender nämlich als die Musiker vom Michigansee spielt derzeit wohl kein Orchester weltweit. Die Streichergruppe klingt wie ein einziges, herrliches Instrument, an allen Pulten der Holzbläser sitzen Spitzensolisten – und das Blech ist sowieso konkurrenzlos: Oh land of horn and glory!

In den Tutti-Passagen entwickelt das Ensemble eine Brillanz, die das Auditorium atemlos lauschen lässt (um so heftiger entladen sich die Huster in den Satzpausen). Wo die auf traditionellen „deutschen Klang“ eingeschworenen Orchester – wie Barenboims Staatskapelle – stets die emotionale Tiefe ergründen, mit dunklem Ton und intensivem Bogenstrich am Gefühlsleben der Komponisten Anteil nehmen, da streben amerikanische Spitzenorchester wie die Chicagoer in die Höhe, stülpen alles Bekenntnishafte gewissermaßen nach außen, lassen Lust und Leid im blank polierten Spiegel der Perfektion schillern. Das ist zwar stets auf Überwältigung durch den spectacular sound angelegt, muss aber nicht zwangsläufig zur Oberflächlichkeit führen.

Wer erlebt, wie viel Spaß es allen Beteiligten macht, wenn Barenboim in den drei letzten Tschaikowsky-Sinfonien dem Affen tonnenweise Rohzucker gibt, wenn Trompeten und Posaunen schmetternd auftrumpfen, sich die Geigen im Sentiment aalen, der Klarinettist mit hochrotem Kopf eine süße Melodie so fein zwirbelt wie Silberdraht, wenn sich also die Qualen der geschundenen Komponisten-Seele in ein Kaleidoskop herrlicher musikalischer Momente verwandeln, dann lässt man jeden interpretatorischen Zweifel fahren und sich einfach mitreißen.

So, wie man spätestens am dritten Abend auch nicht mehr zu ergründen sucht, welcher Sinn wohl hinter der merkwürdigen Programmzusammenstellung lauern möge: Je ein Werk von Arnold Schönberg und Peter Tschaikowsky zu kombinieren, ist als Parallele zu den beiden, ebenfalls von Barenboim geleiteten Festtags-Opernproduktionen „Moses und Aron“ respektive „Pique Dame“ zu entschlüsseln (auch wenn sich kaum gegensätzlichere Künstlercharaktere denken lassen). Als Dritter im Bunde tritt Johann Sebastian Bach hinzu – und bleibt eine Randerscheinung: Am besten gelingt die b-Moll-Orchestersuite dank des exquisiten, außergewöhnlich samtigen Flötentons von Mathieu Dufour. Das 3.Brandenburgische Konzert klingt so weichgezeichnet, als habe es in den vergangenen Jahrzehnten keinerlei Fortschritt in Sachen historische Aufführungspraxis gegeben; und das C-Dur-Doppelkonzert schließlich ist – mit Barenboim und Peter Serkin an zwei Steinways! – allenfalls eine konservative Kuriosität.

Überraschend-überwältigend gerät dagegen der Arnold-Schönberg-Schwerpunkt. Selten wird Zwölftonmusik dem Zuhörer so attraktiv nahe gebracht. Liegt es am glatten Klangideal der Chicagoer, wenn die Orchestervariationen Opus 31, das Klavier- (Peter Serkin) und das Violinkonzert (Nikolaj Znaider) gar nicht querständig und scharfkantig wirken wie sonst, sondern impressionistisch-klangmalerisch? Ist es Daniel Barenboims Deutung der Partituren aus dem Geist des Wiener Jugendstils? Oder schlicht die Tatsache, dass man die aus dem tonalen System befreiten und zur Selbständigkeit gezwungenen Töne von einem Orchester aus der Neuen Welt leichter akzeptiert?

Wie auch immer – das packende Plädoyer für diese Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts jedenfalls macht den Triumph der drei Abende vollständig.

Kein Platz mehr, nirgends. Am Karfreitag Nachmittag regiert Cecilia Bartoli in der Philharmonie, und das Fan-Publikum umgibt sie auf dem Podium wie ein Hofstaat. Der Saal, voller besetzt denn je, wird verfinstert, so dass die Programme nicht zu entziffern sind. Die Stücke von Antonio Salieri, Beethoven, Delibes, Bizet und Rossini haben ihren Reiz als Preziosen abseits vom Standardrepertoire. Und die Sängerin scheint wie eine Puppe Olympia von bester Fertigung zu funktionieren. Keine Höhe zu hoch, keine Tiefe zu tief, kein Stakkato zu schnell, keine Verzierung zu diffizil, keine Koloratur zu gewagt. Es ist ein Girren und Flüstern, Kokettieren und lyrisches Schmeicheln, mit dem sie die Begeisterung schäumen lässt.

Und doch hinkt der Vergleich mit maschinellem Funktionieren. Das zeigt sich gerade, wenn der Text nicht mitzulesen ist. Denn das Phänomen Bartoli hat damit zu tun, dass sie jedem Affekt musikalische Gestalt gibt. Sie ist (bei Salieri) verwirrt über den Zauber, den ihr Geliebter ausstrahlt, und man meint zu hören, wie sie errötet. Sie beginnt zu seufzen und verwandelt den Seufzer in eine schöne musikalische Linie. In „La regata veneziana“ von Rossini treibt sie einen Gondoliere mit vokaler Geläufigkeit zum Rudern an. Bei solchen Steigerungsattacken seiner Muse kann er nicht anders, als Sieger zu werden. Als Rossinis „Giovanna d’Arco“ durchlebt sie Einsamkeit, Sehnsucht, Freude. Und wo die Musik mit „La danza“davonflitzt, behauptet Daniel Barenboim am Flügel seinen pianistischen Feinschliff noch in der Andeutung. Sybill Mahlke

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