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Kultur: Philharmonisches Orchester: Zwillingshochzeit - Der Blick in die Zukunft

Leise Töne sind in der Ära Abbado zu einem Markenzeichen des Berliner Philharmonischen Orchesters geworden. Ob es sich um Werkdeutungen oder um die Besetzung des Chefdirigentenpostens geht, in der Philharmonie geht man sensibel zur Sache.

Leise Töne sind in der Ära Abbado zu einem Markenzeichen des Berliner Philharmonischen Orchesters geworden. Ob es sich um Werkdeutungen oder um die Besetzung des Chefdirigentenpostens geht, in der Philharmonie geht man sensibel zur Sache. Ganz ohne den öffentlichen Lärm, mit dem Daniel Barenboim in den vergangenen Monaten seine (inzwischen gescheiterten) Bleibeverhandlungen orchestrierte, arbeiten die Philharmoniker derzeit an ihrer Zukunft. Nach der extremen Verjüngung des Musikerstamms in den letzten Jahren tritt nun Phase zwei des Erneuerungsplans ein: Der Wechsel von Claudio Abbado zu Simon Rattle soll nach dem Willen der Musiker mit einer Reform der Organisationsstruktur des Orchesters einhergehen.

Basisdemokratisch, wie es Tradition ist, diskutiert man intern mutige Modelle, und auch von Rattles Erfahrungen im angelsächsischen Musikleben will man profitieren. Der unschöne Streit um eine Übernahme des Spitzenorchesters durch den Bund, in dem letztlich die Berliner Lokalpatrioten den Sieg davontrugen, hat den Reformprozess glücklicherweise nur unwesentlich verzögert. Jetzt verhandelt man eben wieder mit der Kulturverwaltung.

Grundlage aller Reformpläne ist die Umwandlung des Orchesters in eine Stiftung öffentlichen Rechts. Bei diesem Modell wäre der Staat weiterhin Hauptgeldgeber, doch das Orchester könnte endlich so flexibel arbeiten, wie es sich die Musiker seit langem wünschen - nicht nur, was die Beschaffung von Sponsorengeldern betrifft. Auch die lästigen Verwendungsnachweise über jeden Kugelschreiber gegenüber der Dienstaufsichtsbehörde, also der Berliner Kulturverwaltung, fielen dann weg.

Zwei Seelen in der Brust

Die Stiftungs-Lösung könnte auch das Ende der zwei Seelen in der Brust des Orchesters bedeuten. Ein geschickter Schachzug des wirtschaftlich gewitzten Herbert von Karajan hatte einst aus demselben Stamm der Musiker zwei Ensembles gemacht: einen staatlichen Teil (das Berliner Philharmonische Orchester) und einen privatwirtschaftlichen Teil (die Berliner Philharmoniker, die von Intendant und Orchestervorstand unabhängig agieren). Während bei den Konzerten in der Philharmonie das Berliner Philharmonische Orchester auf dem Podium sitzt, trifft man im Aufnahmestudio stets auf die Berliner Philharmoniker. Von der Besetzung her sind beide Orchester identisch, die Einnahmen der Berliner Philharmoniker aber fließen bisher direkt auf die Konten den Musiker. Früher hat sich das finanziell wirklich gelohnt, nach dem weitgehenden Zusammenbruch der CD-Industrie wirft diese Konstruktion allerdings kaum noch Geld ab. Da fällt es leichter, über Simon Rattles Wunsch nach einer Auflösung der Verwertungsgesellschaft "Berliner Philharmoniker" nachzudenken. Damit würde allerdings auch bedeuten, dass die Musiker sich in ihrer Freizeit nicht mehr für Projekte "einkaufen" lassen können, die Intendanz und Chefdirigenten wenig behagen, wie zuletzt beim Expo-Konzert mit den Scorpions.

Die Gäste selber aussuchen

Mehr Gestaltungsfreiheit wünscht sich das Orchester bei der "Bespielung" der Philharmonie-Säle. Obwohl Scharouns genialer Bau in aller Welt mit dem Berliner Philharmonischen Orchester identifiziert wird, haben die Musiker derzeit faktisch keinen Einfluss darauf, wer neben ihnen in dem Haus auftritt. Weil kein eigener Etat vorhanden ist, mit dem man beispielsweise während Tournee-Abwesenheiten des Orchesters Gäste nach eigenem Gusto einladen kann, stellt sich das Programm nach dem Zufallsprinzip zusammen: Jeder, der sich die Miete leisten kann, darf in der heiligen Halle auftreten - egal, ob die Art oder Qualität seiner Darbeitung dem Image des Hauses und letztlich auch des Hausorchesters schaden könnte. Damit soll Schluss sein.

Doch schon regt sich Widerstand: Berlins wichtigster Konzertveranstalter Adler befürchtet, die Philharmoniker könnten ihm die Preise verderben, wenn sie einen eigenen Etat für Einladungen erhielten. Bislang war allerdings eher das Gegenteil der Fall: In ihrer eigenen, höchst erfolgreichen Reihe "Sonntag um vier - Klavier" laden die Philharmoniker junge, interessante Pianisten ein, die zu präsentieren für private Veranstalter (noch) ein zu großes finanzielles Risiko bedeutete. Wenn sich diese Fragen lösen lassen und sich auch noch Geld findet für Jugendprogramme und die ganztägige Öffnung der Philharmonie, wären alle Bedingungen Simon Rattles erfüllt. Dann wird der Maestro auch endlich seinen Vertrag unterschreiben.

Bleibt nur noch die Frage, wer neuer Intendant des "neuen" Berliner Philharmonischen Orchesters werden soll, wenn sich Elmar Weingarten im Sommer kommenden Jahres vorzeitig von seinem Posten zurückzieht. Da sich das Orchester ausdrücklich zum Triumvirat aus Chefdirigenten, basisdemokarisch organisiertem Orchester und Intendanten bekennt, wird eine "gestaltenden" Persönlichkeit gesucht, die auch Geschäftsführer der Philharmoniker-Stiftung sein würde. Allerdings haben die Philharmoniker auch in diesem Fall nicht vor, in üblicher Berliner Manier die möglichen Kandidaten durch eine verfrührte Diskussion in der Öffentlichkeit zu "verheizen", bevor man überhaupt in konkrete Verhandlungen treten konnte.

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