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Schluss mit falschen Dualismen. Philippe Descola.

© Collège de France

Philippe Descolas Anthropologie: Geister und Naturgesetze

Philippe Descola skizziert in seinem Essay "Die Ökologie der Anderen" eine neue Anthropologie jenseits von Natur und Kultur

Von Gregor Dotzauer

Das menschliche Denken lebt von Dualismen. Es unterscheidet den Körper vom Geist, die Ordnung vom Chaos, das Helle vom Dunklen, das Weibliche vom Männlichen. In anderen Weltgegenden spielt, wie der Anthropologe Claude Lévi-Strauss in seiner Analyse südamerikanischer Mythen gezeigt hat, auch der Gegensatz zwischen dem Rohen und dem Gekochten eine bedeutende Rolle – eine ebenso empirische wie symbolische Trennung, hinter der sich nichts anderes verbirgt als die Unterscheidung von Natur und Kultur. Ihre Sinnhaftigkeit – und ihre Sinnlosigkeit – ist das Leitthema von Lévi-Strauss’ berühmtestem Schüler Philippe Descola. In seinem Hauptwerk „Jenseits von Natur und Kultur“ untersucht er die Nützlichkeit dieser Begriffe, um sie in ihrer Grundopposition gleich wieder zu verwerfen.

„Die Ökologie der Anderen“ ist nun Extrakt und Fortführung der darin entwickelten Motive. Es liegt ihm wenig daran, die „zwei Seiten der Welt mit groben Stichen wieder zusammenzunähen, die unsere dualistische Kosmologie aufgetrennt hatte“. Denn „die von der Naht zurückgelassene sichtbare Narbe“ würde die Spaltung eher betonen statt sie verschwinden zu lassen. Für ihn sind Natur und Kultur vielmehr Pole auf einer Achse fließender Übergänge, die sehr verschieden interpretiert werden können – und auch vermeintlich feststehende Begriffe wie das Belebte und das Unbelebte infrage stellen. In der ausdrücklichen Nachfolge von Gregory Bateson schwebt ihm eine „Ökologie der Beziehungen“ vor, die „die Organismen, die Werkzeuge, die Artefakte, die Gottheiten, die Geister, die technischen Verfahren“ als „Akteure“ auffasst, die „mit den Menschen agieren“.

Das Kunststück, das er dabei versucht, besteht darin, zugleich den „lähmenden“ Gegensatz von Universalismus und Relativismus aufzulösen. Denn einerseits ist es ihm zuwider, ein animistisches Weltbild als „verarmte Variante des uns vertrauten Systems“ zu beschreiben. Andererseits will er an der objektiven Gültigkeit und Erforschung der Naturgesetze festhalten. Dieser dichte Essay ist ein inspirierender Beitrag zu diesem Unterfangen – in der Hoffnung, einen umweltzerstörerischen Anthropozentrismus zu überwinden, der durch „Kontinuitäten zwischen Menschen und Nichtmenschen“ ersetzt werden muss.

Philippe Descola: Die Ökologie der Anderen. Die Anthropologie und die Frage der Natur. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Matthes & Seitz, Berlin 2014. 134 Seiten, 19,90 €.

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