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Perspektivenwechsel. Philippe Quesne erhielt seine Einladung ans HAU im Rahmen des Festivals „Der Maulwurf macht weiter. Tiere / Politik / Performance“.

© Dorothea Tuch

Philippe Quesne inszeniert am HAU: Würmer fressen, Feste feiern

Das ist mal echter Underground! Der französische Regisseur Philippe Quesne inszeniert „Die Nacht der Maulwürfe“ am HAU.

„Ich bin kein Zoologe, ich bin Theatermacher“, stellt Philippe Quesne in seiner unaufgeregten, freundlichen Art zu Beginn des Gesprächs erst mal klar. Dass der französische Regisseur diese Unterscheidung überhaupt für geboten hält, liegt in der Natur seiner jüngsten Arbeit. Die heißt „Die Nacht der Maulwürfe“ und löst ziemlich präzise ein, was der Titel verspricht.

Über 90 Minuten lang sieht man einer Gruppe von Insektenfressern bei den Verrichtungen ihres mehr oder weniger realistisch gestalteten Alltags zu. Wie sie, ganz ihrem Ruf als Gartenschädlinge gemäß, das Bühnenbild durchtunneln und zerlegen. Wie sie kopulieren und gebären, Würmer verspeisen, wilde Feste feiern und sich zu einer ziemlich psychedelischen Rockband formieren. „Welcome to Caveland“ prangt dazu in großen Lettern an der Rückwand, Willkommen im Höhlenland. Das ist mal echter Underground!

Quesne, der mit seinen phantasmagorischen Bilderwelten zum Liebling der europäischen Festivalszene avanciert ist, erzählt hier allerdings keine Fabel, wie es der an Jean de la Fontaine geschulte Zuschauer vielleicht annehmen möchte. Die Tiere mit den Schaufelhänden – verkörpert von sieben Performern im possierlichen Pelzkostüm – treten nicht als menschliche Stellvertreter auf, die uns Mores lehren, sondern behaupten, blind wie sie sind, ihre animalische Autonomie. Sie rollen mit sisyphoshafter Gleichmut Gesteinsbrocken herum und entwickeln ihre ganz eigenen Ritualen.

Eine andere Perspektiv einnehmen, als die menschliche

„Die Nacht der Maulwürfe“, als internationale Koproduktion in Frankreich, Belgien und auf diversen Stationen in Deutschland zu sehen, eröffnet am Berliner HAU das Festival mit dem Titel „Der Maulwurf macht weiter. Tiere / Politik / Performance“. Theaterleiterin Annemie Vanackere kehrt damit zu den Wurzeln zurück. Als sie das Theaterkombinat vor fünf Jahren übernahm, ließ sie auf Plakaten allerlei Tiere, darunter Füchse, Affen, Raubvögel, den Berliner Betrachter anfunkeln. Die Umkehrung des Zoo-Prinzips quasi. Die Tiere glotzen zurück! Das ist im Sinne von Philippe Quesne, der sagt: „Es ist wichtig, eine andere Perspektive einzunehmen als die menschliche. Es könnte auch die von Insekten, Steinen oder Bäumen sein.“

Das mag seltsam klingen. Hat aber handfeste Rückkopplungen ins Reich des Humanen. Das Höhlenland eröffnet nicht nur Assoziationen von Platon bis Jules Vernes. Dass er den Maulwurf in Gemeinschaft zeige, erklärt Quesne, berge schon eine andockfähige Utopie: „Eigentlich sind diese Tiere nämlich Super-Egoisten.“ Sich unvoreingenommen eine Community von Maulwürfen anzusehen, sei außerdem eine metaphorische Übung für die Begegnung mit dem Fremden, der anderen Kultur. Quesne, der gerade von der Aufführung seines Stücks in den Münchner Kammerspielen kommt, sitzt im Kantinenhof und lächelt. Eigentlich ist er kein Fan der umfassenden Ausdeutung seiner Arbeit. Und schon gar nicht begreift er sich als politischer Konzeptkünstler. „Ich schaffe einfache Welten, in die der Zuschauer eintauchen kann“, sagt er. „Zumindest hoffe ich das.“

Postapokalyptische Stimmung

Quesne, Jahrgang 1970, hat seine Karriere als Bühnenbildner begonnen. Pomp und Dekadenz der etwa an Opernhäusern üblichen Ausstattungsorgien fielen ihm allerdings bald auf die Nerven. So entdeckte er die schlichten Materialien für sich, denen er heute noch treu ist: Plastik, Pappmaché vor allem. 2003 gründete er seine eigene Compagnie, Vivarium Studio getauft, und begann seine so verspielten wie existenziell gefederten Observationen der Welt en miniature. „Big Bang“ war eine spleenige Evolutionsgeschichte mit Schlauchboot-Einsatz. „La Mélancholie des Dragons“ siedelte in einer Schneelandschaft, wo vier verkrachte Altrocker auf eine unerwartete Zuschauerin treffen. „Swamp Club“ setzte ein schräges Kulturzentrum mitten in eine mückenumsurrte Sumpflandschaft. Auch dort gab es schon einen Maulwurf. Als Führer im Falle von Gefahr.

Häufig haben Quesnes Arbeiten eine postapokalyptische Anmutung. Das menschliche oder tierische Gewusel erscheint endlich, die große Katastrophe ist als Möglichkeit immer präsent. Er sei kein Pessimist, schränkt der Theatermacher zwar ein, was ja auch durch den feinen Humor seiner Arbeiten beglaubigt wird. Aber Überlegungen in Richtung des großen Finales treiben ihn dennoch um: „Wenn wir einen Nuklearkrieg hätten – ich hoffe es nicht, aber die Welt spielt ja zunehmend verrückt –, würden Ratten und Skorpione überleben.“ Die Menschheit sei in vielerlei Hinsicht an die Grenze gelangt, sinniert der Regisseur weiter: ökologisch, gesellschaftlich. „Wir brauchen eine andere Idee des Zusammenlebens“, schließt Quesne. „In diese Zukunftsüberlegungen müssen wir die Tiere miteinbeziehen.“

Aufführungen: 26.9., 19 Uhr, 28.9., 20.30 Uhr, 29.9., 19 Uhr, 30.9., 21 Uhr im HAU2

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