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Philosoph mit Klarinette. David Rothenberg bei der Reihe „„Great!Clsx“.

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Philosophie zur Klassik in der Philharmonie Berlin: Mit den Drosseln musizieren

Konzertreihe "Great!Clsx" in der Berliner Philharmonie: Das HR-Sinfonieorchester mit Pierre-Laurent Aimard und David Rothenberg.

Das klassische Konzert steht auf der Liste aussterbender Lustbarkeiten. Hochsubventioniert wird hier einem schmalen Kanon von Werken vor überschaubarem Publikum gehuldigt. Ein Museum bürgerlichen Selbstverständnisses, gefangen in einer Endlosschleife. Wie man ihr entkommen kann, zumal nach der Corona-Durststrecke, darüber wird leidenschaftlich gestritten.

Karsten Witt, ein international erfahrener Musikmanager, stellt nun einen Rettungsbeitrag in der Philharmonie vor. „Great!Clsx“ heißt seine Konzertreihe, die tiefschürfender ist, als ihr Titel vermuten lässt. Witt diagnostiziert eine latente Schwäche bei großen Werken der Nachkriegszeit – und verordnet eine pralle Packung George Crumb, Augusta Read Thomas, Olivier Messiaen und Claude Vivier.

Solch ein Programm ist tatsächlich eher selten zu hören in der Philharmonie, schon gar nicht von Gastorchestern auf Tournee.

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Witts Glaube an die Qualität der versammelten Werke und die Kraft einer erstklassigen Interpretation mit voller Orchesterstärke ist grundsympathisch. Serviert wird schnörkellos, es gibt keine begleitenden Lightshows, keine Videos, keine Einführungen im herkömmlichen Sinn.

Dafür betritt vor den unerschrockenen Musiker:innen des HR-Sinfonieorchesters Frankfurt ein Philosoph mit Klarinette die Bühne. David Rothenberg verfiel als Stipendiat in Berlin dem Gesang der Nachtigallen, aus seinen Lauschangriffen entstanden ein Buch und ein Film.

Der Gesang der Einsiedlerdrossel

Nun spricht er etwas wolkig über „What birds sing“, ehe er mit seinem Instrument in den verlangsamt eingespielten Gesang der Einsiedlerdrossel einstimmt. Wer mit der Natur musiziert, beutet sie nicht aus, signalisiert Rothenberg, während die Klassikbranche über jettende Orchester und horrende Stargagen diskutiert.

Klassische Konzerte müssen Orte sozialen Lebens sein, und in diesem Sinne hat Karsten Witt eine Reihe von Menschen in die Philharmonie gelotst, für die diese Erfahrung offensichtlich neu ist. Hier und da Geflüster ins Ohr der Begleitung und keine zehn Minuten ohne Handy, nervöse Knie, vorzeitiges Gehen – aber bei den vielen, die bleiben, am Ende großer Jubel.

Die Musik kann das aushalten, sie ist durchweg klangsinnlich, fasslich und intensiv musiziert vom HR-Sinfonieorchester unter der hingebungsvollen Leitung von Brad Lubman. Und wer einmal erlebt hat, wie sich Pierre-Laurent Aimard am Klavier mit ganzem Körper in Messiaens Vogelstimmtriller wirft, der ahnt vielleicht, dass es im Konzert um mehr geht als Abonnentenberuhigung.

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