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Kultur: Phönix aus der Asche

Nach sieben Jahren sind die Bauarbeiten am Teatro La Fenice in Venedig fast abgeschlossen. Am 14. Dezember soll feierliche Wiedereröffnung sein

Der Brand des Gran Teatro La Fenice 1996 war ein Ereignis von bitterer Schönheit, wie eine griechische Tragödie. Innerhalb weniger Stunden brannte das Theater nahezu komplett ab – und mit ihm all die imprägnierte Erinnerung an Uraufführungen von Donizetti und Rossini, Verdi, Strawinsky und Nono. Eine Elektrofirma wollte einen kleinen Unfall verursachen, um die verspätete Auftragserfüllung zu kaschieren, doch das für Renovierungen stillgelegte Haus ging gänzlich in Flammen auf. „Venedig hat seine Seele verloren!“, klagte Luciano Pavarotti und mit ihm viele andere Musiker weltweit.

Während der Bauarbeiten ist La Fenice für Besucher geschlossen. Journalistenteams aus aller Welt wollten kommen, sagt Gianpaolo Vianello, der Intendant, doch der Platz ist zu eng, die Zeit zu kostbar. Also keine Besuche. Dass wir trotzdem exklusiv vom Intendanten durch das Haus geführt werden, ist ein Umstand von grandioser Italianità.

Die Baustelle hat nichts von neoklassizistischer Erhabenheit, sie ist eher ein surreales Szenario, Grau in Grau. Zwischen Gerüsten tut sich ein Schlund auf, der in das Herz des Theaters führt. Dort ist noch Leere, mächtiger, unstrukturierter Raum. Boden und Orchestergraben aus nacktem Beton, allerorten Stahlgerüste und Pressspan. Die Logen ringsum – mindestens 35 in jeder der fünf Reihen – winzige Taubenschläge aus Sperrholz, von der hohen Decke fällt spärliches Oberlicht.

Bereits am Tag nach dem Brand beschloss der Stadtrat, La Fenice „wo es war und wie es war“ wiederaufzubauen, sagt Vianello. „Alles Sichtbare sollte so wiedererstehen, wie es in der Erinnerung und Vorstellung der Menschen lebt.“ Über die Umsetzung gab es zwischen den Puristen und den gemäßigt Rationalen im Komitee unendliche Diskussionen um technische Neuerungen und bauliche Verbesserungen. Vianello zeigt die Maschinerie unter der Bühne, modernste Technik, „jetzt haben wir richtig gute Maschinen, aus Deutschland!“ Der Konzertflügel bekam auch einen neuen Aufzug – bislang mussten ihn vier Leute auf die Bühne rollen, was jedes Mal vier Millionen Lire gekostet hatte.

Giorgio Trentin, seit 1953 langjähriger Chefdirigent des Hauses und Mitglied des Komitees für den Wiederaufbau, kam mit uns zum ersten Mal seit dem Brand ins Theater. „Incredibile! Luminoso! Fantastico!“ Ganz genauso sei der Himmel gewesen, das feine Cölinblau und die kontrapostisch schwebenden Engel. Der Künstler hatte, wie Michelangelo, drei Monate lang auf dem Rücken liegend daran gearbeitet.

Die Vollendung schreitet von oben nach unten voran. Der Himmel über dem Zuschaueraum und die obersten beiden Logenreihen sind fertig, ebenso das Foyer, ganz so, wie es vor der Restauration in den Fünfzigerjahren ausgesehen hatte: mit Säulen vor lachsrosa Wänden, in deren Nischen nur noch die alten Spiegel eingesetzt werden müssen. Als nächstes kommt die Bühne dran, zuletzt der Boden, das „pavimento alla Veneziana“, eine uralte Technik für sehr elastischen Belag aus roten Steinscherben, die vom Brand geschwärzt und brüchig wurden. Gewundene Gänge führen in kleine und große Säle, festliche Salons mit schönen Namen: Sala Dante, Sala Guidi nach dem Maler des Dante-Saales, Sala Rubinstein, wo selbiger auf Verdis Piano zu spielen liebte. Das Instrument verbrannte ebenfalls.

Viele alte Theater hatten keine besonders gute Akustik, erzählt Trentin im Vertrauen. „Ich sagte den Musikern immer, gebt euer bestes, das Theater hilft euch nicht!“ Jetzt wurde die Akustik von einer Münchener Firma high-tech-mäßig optimiert. Im großen Ballsaal bekommen wir auf dem Gerüst unter der Decke einen Blick aus nächster Nähe: goldene Säulenkapitelle, allegorische Malereien in Frescotechnik, schwarzgoldenes Eisenrankenwerk. An der Wand hängen noch computeranimierte Vorlagen. Vianello: „Die größte Schwierigkeit war, dass es keine Zeichnungen und Pläne über die Dekorationen gab“. Niemand hatte je an eine systematische Dokumentation gedacht, so dass die Hauptquelle für die Rekonstruktion der Film „Senso“ von Luchino Visconti war.

Eigentlich sollten die Bauarbeiten maximal drei Jahre dauern, doch Streitigkeiten mit diversen Baufirmen, unter anderem mit der äußerst säumigen Holtzmann AG, brachten vier Jahre Verzögerung. Schließlich bekam der venezianische Architekt Aldo Rossi den Zuschlag, und er ließ sich einiges einfallen. Zum Beispiel etwas, was es in Venedig noch nie gegeben hat: Räume unter Wasserniveau. Kleine, schallisolierte Kammern wurden unter dem Meer ausgehoben, um den Musikern den Luxus von Einzel-Proberäumen zu gewähren.

Der Platzmangel erfordert strenge Logistik. Tagsüber wird zwölf Stunden lang gearbeitet, nachts Material angeliefert. 400 Arbeiter fürs Grobe sind hier beschäftigt sowie künstlerische Handwerker - Artigiani - wie Stuckateure, Vergolder und Maler für die Ornamentik. Früher, schwärmt Vianello, sei ein abgebranntes Theater – was häufiger vorkam bei der Bauweise mit Holz und Leinwand, beleuchtet von Kerzen oder Gas – ein Fest für Artigiani gewesen. Heute gibt es nur noch wenige Fachleute, dementsprechend dauere alles länger. Als La Fenice 1836 wegen eines defekten Gasofens abbrannte, wurde es innerhalb von zehn Monaten wieder instand gesetzt.

Nur noch 49 Tage bis zur Fertigstellung, verkündet eine Leuchttafel draußen auf dem Bauzaun. Dann sind zwei Wochen Zeit zum Proben und Putzen, am 14. Dezember ist feierliche Eröffnung. Bis zum Sommer wird das Haus nur mit Konzerten bespielt, bis auch die Räume im hinteren Bereich vollendet sind. Der reguläre Opernbetrieb beginnt zur Saison 2004/2005. Das sei auch gut so, sagt Vianello, denn man müsste Technik und Akustik erst testen. Ob da nicht doch irgendetwas quietscht, wenn die tolle Maschinerie aus Deutschland anläuft.

Katalin Fischer

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