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Phyllis Lambert

© picture alliance / dpa

Phyllis Lambert beim Filmfestival Doku.Arts: Die Jeanne d’Arc der Architektur

Eine Frau, die ausschert: Bei Doku.Arts gewährt "Citizen Lambert: Joan of Architecture" einen Blick auf Phyllis Lambert. Die Architektin kam eigens zur Vorführung nach Berlin.

157 Meter hoch ist das Gebäude und damit ein mittelhohes Hochhaus, gemessen am Maßstab New Yorks. Und doch ist das Seagram Building ein Emblem der Hochhausstadt New York und das Meisterwerk seiner Gattung. Entworfen hat es Ludwig Mies van der Rohe. 1958 wurde das Gebäude nach knapp fünf Jahren Planungs- und Bauzeit eröffnet Mies unterhielt seit seiner Emigration 1938 in Chicago ein Büro, bis zu seinem Tod 1969. Den Auftrag für den US-Firmensitz des kanadischen Spirituosenkonzerns Seagram verdankt er der Tochter des Unternehmers, die sich bei ihrem Vater für einen modernen Architekten starkmachte. So trat Phyllis Lambert mit einem Paukenschlag in die Geschichte der Architektur ein. Mies entwarf das Gebäude, und die damals 26-Jährige wachte darüber, dass sein Entwurf umgesetzt wurde.

Diese Geschichte nimmt in dem Filmporträt „Citizen Lambert: Joan of Architecture“ der französischen Dokumentaristin Teri Wehn-Damisch beim Doku.Arts-Festival im Zeughauskino naturgemäß breiten Raum ein. Aber auch ihre anderen Tätigkeiten: der Einsatz für die Erhaltung historischer Architektur im heimatlichen Montreal und die Gründung des Canadian Centre for Architecture (CCA), eines der bedeutendsten Architekturmuseen der Welt. Zum Symposium von Doku.Arts ist Phyllis Lambert eigens nach Berlin gekommen. Ihre 88 Jahre merkt man ihr beim Gespräch nicht an. Tausendmal hat sie die Fragen nach der Entstehung des Seagram Buildings beantworten müssen und tut es auch jetzt mit einer Leidenschaft, als erzählte sie die Geschichte zum ersten Mal.

Die Vorkämpferin des Denkmalschutzes

Ein ganzes Buch hat sie darüber geschrieben, das die Komplexität des Bauprozesses erkennen lässt und Einblicke in das Immobiliengeschäft von New York gibt. Das Seagram Building entstammt einer Zeit, als es noch Unternehmerpersönlichkeiten wie ihren Vater gab und nicht bloß Immobilienentwickler, die jeden Quadratmeter Gebäudefläche auf seine Rentabilität hin abklopfen. Mit seiner öffentlichen „Plaza“, dem von zwei Wasserbecken gerahmten Podium, auf dem sich das Gebäude erhebt, verzichtet das Seagram Building auf die maximal zulässige Geschossfläche – und ebnete den Weg zu einer neuen Bauordnung, die die Bereitstellung von öffentlichem Stadtraum honorierte.

Phyllis Lambert wollte Bildhauerin werden und hatte erste Ausstellungen, als sie durch das Vorhaben ihres Vaters zur Architektur gelenkt wurde. Sie studierte das Fach in Yale und bei Mies und baute 1970 in Montreal ein Kunstzentrum, das der Mies’schen Formensprache folgt. Seit ihrem Studium sammelt sie Zeichnungen bedeutender Architekten und Fotografien von Bauten. Mit der ungebremsten Zerstörung historischer Substanz erst in Chicago und dann in Montreal wurde sie seit den Sechzigern zur Vorkämpferin des Denkmalschutzes. Aus alledem erwuchs die Konzeption des kanadischen Architekturzentrums, das sie unter Einbeziehung einer geretteten Großbürgerresidenz von einem Montrealer Architekten entwerfen ließ. 1979 eröffnete das CCA, das sie als Gründungsdirektorin zwanzig Jahre lang leitete.

Auf den Lorbeeren ruht sie sich nicht aus

Wehn-Damischs Film ist weniger eine Dokumentation als filmisches Essay, eine Annäherung an die Person mehr als eine Aufzählung ihrer Leistungen. Es ist das Porträt einer Frau, die aus dem vorbestimmten Lebensweg des Großbürgerkindes ausschert. Ganz in Schwarz gekleidet, mit kurz geschnittenem, grau melierten Haar und schmaler Brille holt sie mit jedem Satz ihre Kämpfe und Erfolge ins Hier und Jetzt. Im vergangenen Jahr erhielt sie den Goldenen Löwen der Architekturbiennale von Venedig für ihr Lebenswerk. Auf ihren zahllosen Lorbeeren ruht sich Phyllis Lambert noch immer nicht aus.

Zeughauskino im DHM, Festival bis 27. 9., tgl. außer Mo. „Citizen Lambert“, heute, 20 Uhr. Programm: doku-arts.de

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