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Kultur: "Piazza Italia": Die Insel des göttlichen Taus

Amos Luzzato ist ein rastloser Mensch. Ständig unterwegs zwischen dem heimischen Venedig und seinem römischen Amtssitz, immer auf Achse in Italiens jüdischen Gemeinden.

Amos Luzzato ist ein rastloser Mensch. Ständig unterwegs zwischen dem heimischen Venedig und seinem römischen Amtssitz, immer auf Achse in Italiens jüdischen Gemeinden. Denn eine Angst treibt den Vorsitzenden der Juden Italiens um: dass jenes zwei Jahrtausende alte italienische Judentum verschwinden könnte. Dass Italiens 28 000 Juden aufgehen in der katholischen Mehrheitsgesellschaft, dem Sog der Assimilation nicht mehr standhalten.

Unter dem Titel "Piazza Italia" widmen sich die diesjährigen Jüdischen Kulturtage (11. bis 25.11.) in Berlin nun Geschichte und Gegenwart der Juden Italiens. Auch Luzzato wird dabei sein. Wer dem bärtigen, kernigen Norditaliener zuhört, merkt sofort: Hier hat eine Mission ihren Motor gefunden. Zwei Beith Midrash, jüdische Studienzentren, werden gerade in Florenz und Venedig gegründet. Luzzatos Programm, das er immer wieder verkündet, heißt: jüdische Bildung: "Nur wer etwas über das Judentum weiß, wird der Gemeinschaft nicht gleichgültig gegenüber stehen." Dazu gehört für ihn auch das Hebräische, das den Zugang zu den historischen Quellen, den uralten Schriften, erschließt. Deswegen hat er zusammen mit der Jewish Agency Hebräisch-Zentren in ganz Italien eingerichtet.

Dabei ist Luzzato beileibe kein Religiöser. "Koscher esse ich nur, wenn ich in offizieller Mission bin", sagt Luzzato und grinst. Dennoch wird er fuchsig, wenn ihm ein Kardinal im Vatikan Melone mit Parmaschinken auftischt. Und so sieht er auch die Rekatholisierung Italiens im Gefolge des Heiligen Jahres mit Skepsis. "Die wollten von mir die Bestätigung, dass das Heilige Jahr die legitime Fortsetzung des israelitischen Jubeljahres ist", erbost er sich noch immer. Doch Luzzato hat den Koscherstempel verweigert. Und kämpft jetzt gegen die Heiligsprechung von Pius IX., der Napoleons Gleichstellung der Juden rückgängig machte: Der Papst ließ die Mauern des römischen Ghettos 1814 wieder aufbauen, wo Roms Juden bis zum Sieg des Risorgimento 1870 leben mussten.

Die Schweizergarde Italiens

Die italienische Einigung unter dem savoyardischen Königshaus war von Anfang an die Sache der jüdischen Italiener. Ermöglichte ihnen die Trennung von Staat und Kirche doch endlich die Teilhabe am Gemeinwesen. Nirgendwo waren jüdische Aufstiegschancen besser als hier, wo General Graf Giuseppe Ottolenghi zum ersten jüdischen Kriegsminister der christlichen Welt wurde. Als die "Schweizergarde" des Königshauses Piemont hat Dan Vittorio Segre die Juden bezeichnet. Eine Treue, die Emmanuel III. nicht davon abhielt, 1938 Mussolinis Rassengesetze zu unterschreiben.

Seit der Zerstörung des jüdischen Tempels im Jahr 70 nach Christus leben Juden in Italien. Verschleppt von Kaiser Titus, dessen Triumphbogen auf dem Forum noch immer den siebenarmigen Leuchter zeigt, den der Feldherr aus dem Tempel raubte. Von Italien aus kamen die ersten Juden um das 8. Jahrhundert herum ins Rheinland. Im Mittelalter erreichten die jüdischen Gemeinden im Süden eine solche Blüte, dass dem Wort "Italia" die hebräische Bedeutung I-tal-Ya zugesprochen wurde: Die "Insel des göttlichen Taus". Weil der Stiefel immer von Pogromen verschont blieb, wurde er später zum Zufluchtsort für deutsche und osteuropäische ebenso wie für spanische und portugiesische Juden, die aus ihrer Heimat flohen, um nicht zur Konversion gezwungen zu werden. Die spanische Okkupation im Süden Italiens bedeutete aber auch hier das Ende der prosperierenden Gemeinden - sie flohen nach Zentral- und Mittelitalien.

Livorno erlaubte im 16. Jahrhundert den zwangsgetauften Marranos gegen den Widerstand des Vatikans sogar die Rückkehr zum Judentum; die Seerepublik Venedig tolerierte solche Rückkehr stillschweigend - schon, um die Handelsbeziehungen mit dem osmanischen Reich nicht zu gefährden. Es ist die tiefe Verwurzelung im Land, die Italiens Juden jene stolze Identität verschaffte, die sie fast mehr verband als die jüdische Tradition. Allein der Kirchenstaat tat alles, um seine Juden möglichst arm zu halten. So überzog der Vatikan das sich vereinigende Italien mit heftigster Polemik und antisemitischen Schmähungen. Stand doch keine gesellschaftliche Gruppe so bedingungslos hinter dem säkularen Staat wie die "Ebrei". Und so waren es nicht wenige, die Mussolinis Faschismus zunächst unterstützen, weil sie in ihm die Vollendung des laizistischen Staates sahen. Eine Begeisterung, die durch die Lateransverträge mit dem Vatikan 1929 schon abkühlte. Trotz der deutsch-italienischen Achse waren die Rassengesetze 1938 aber ein Schock. Die Unterschrift des Königs bedeutete, so Segre, den "Zusammenbruch der Illusion, sich dem Schicksal ihrer Glaubensgenossen entzogen zu haben".

Wenn Irina Knochenhauer, die neue Leiterin der Jüdischen Kulturtage, nun die italienischen Juden als Beispiel für den selbstverständlichen Umgang zwischen Juden und Nichtjuden rühmt, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Denn seit der italienische Staat seine Juden der Staatsbürgerschaft beraubte und einen Teil - etwa ein Drittel starb in den Konzentrationslagern - an die Nazis auslieferte, seitdem geht ein tiefer Riss durch die italienisch-jüdische Seele. David Cassuto, der 20 Jahre lang die italienische Gemeinde Israels leitete, bevor er Vizebürgermeister Jerusalems unter Teddy Kollek wurde, überlebte mit zwei seiner vier Geschwister in christlichen Familien und Klöstern. "Bis heute", sagt der Rabbinersohn aus Florenz, "spüre ich großen Groll gegenüber Italien", auch wenn er Teilen der Bevölkerung dankbar sei für die Rettung vieler Juden.

Cassuto hat sein Architekturbüro in der Jerusalemer Hillel-Street eingerichtet, schräg gegenüber dem Museum für jüdisch-italienische Kunst, das er mit aufbaute. Das komplette Innere der Synagoge von Conigliano Veneto kann man hier bewundern, am Shabbat wird es sogar von den Gemeindemitgliedern zum Beten benutzt. Viele Zeugnisse der reichen italienisch-jüdischen Geschichte gelangten nach Israel, waren Synagogen kleiner Städte doch oft schon im 19. Jahrhundert aufgegeben worden, als viele Juden ihr Glück in den großen Städten suchten. Nach dem Krieg hatte die durch Vernichtung und Auswanderung stark dezimierte jüdische Gemeinde andere Probleme, so dass viele goldverzierte Thoraschreine aus der Renaissance und dem Barock nach Israel verschifft wurden. Erst langsam versucht man nun auch in Italien, Spuren der jüdischen Geschichte zu erhalten und sichtbar zu machen. Vorreiter waren Simonetta und Giulio Busi - er ist heute Judaistik-Professor an der Freien Universität Berlin -, die jüdische Kulturgüter in der Emilia Romagna inventarisierten. Für viele ist es noch immer überraschend, dass nicht nur Kirchen, sondern auch Synagogen zum kulturellen Erbe Italiens gehören. Dabei hat man in Ostia die mit Abstand älteste Synagoge des Kontinents gefunden: Sie stammt aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert.

Es sind meist autobiografische Schriften, mit denen jüdisch-italienische Autoren sich ihres Platzes in der italienischen Geschichte vergewissern. So ist das "Familienlexikon" von Natalia Ginzburg genauso wie der "Glücksrabe" von Dan Vittorio Segre vor allem eines: Spurensicherung. Oft genug versuchen gerade die Älteren den Moment zu beschreiben, an dem ihre unbeschwerte Jugend gewaltsam beendet wurde und sie lernen mussten, um ihr Leben zu kämpfen. Wofür sie meistens so untauglich waren wie Primo Levi, der sich mit einer Widerstandsgruppe in den Bergen versteckte: Als er gefasst wurde, hatte er noch keinen einzigen Schuss abgegeben und konnte sich nur mit einem ebenso zierlichen wie pathetischen Damenrevolver verteidigen.

Angesichts der Schrecken des Holocaust nimmt die Idealisierung des präfaschistischen Italien manchmal auch groteske Züge an. So konstatiert die Publizistin Elena Loewenthal, "das jüdische Schrifttum in Italien blickt geradezu wehmütig zurück auf das Ghetto, mit dem Gefühl, irgend etwas sei für immer dahin".

Wie ein verblassender Außerirdischer

Die Sehnsucht hat ihre Ursache in einer elementaren Verunsicherung seit dem Krieg. "Man verwünscht die geringe Kopfzahl, man fühlt sich unermeßlich verletzbar, umgeweht von einer flüchtigen Brise, ertränkt in einem Glas Wasser", schreibt Loewenthal. Als Jude in Italien sei man "eine Art verblassender Außerirdischer". Dazu verdammt, zu verschwinden.

Cassuto hingegen glaubt nicht an das Aussterben der italienischen Juden. Durch die Einwanderung auch aus dem Iran, Libyen und anderen Staaten Nordafrikas leben seit einiger Zeit konstant knapp 30 000 Juden in Italien. Der umtriebige Vorsitzende Luzzato will diese Zahl stabilisieren und die jüdische Identität stärken, die er als soziale und kulturelle mehr denn als religiöse begreift. Eine gute Nachricht hat er schon jetzt: Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, dass bei gemischten Paaren der jüdische Partner konvertiert. Auch hat er einige Rabbiner größerer Gemeinden überreden können, Nachwuchs mit (nur) einem jüdischen Vater - religionsgesetzlich keine Juden - in die eigenen Kindergärten aufzunehmen. "Wenn wir die Kinder nicht früh mit jüdischen Traditionen vertraut machen, gehen sie der Gemeinschaft verloren", sagt Luzatto. Und so ficht er ihn munter weiter, seinen Kampf gegen die Windmühlen des Verschwindens.

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