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Kultur: Piraten der Moderne

Operationen am offenen Bild: Auch ein Rundgang durch Berliner Galerien beweist die Unsterblichkeit der Malerei

Malerei bezeugt ihre Vitalität schon bei kleinen Rundgängen durch die Galerien Berlins. Zwar gibt es immer wieder Versuche, wie jetzt im Frankfurter Kunstverein, das schöne alte Medium in zynisch-enger Hängung als Restposten abzutun, doch sicher ist: Die Maler werden auch diesen Kurator überleben. Wie in alten Zeiten heißt Malerei aus Sicht der meist akademisch geprägten Künstler fast immer, mit Farbe auf Leinwand Fakten für die Vorstellung zu schaffen. Falls die Grenzen erweitert werden, dann aus der Logik der Bildtradition heraus. Seit einiger Zeit sind Piraten wie Liam Gillick aufgetaucht, die Malerei als offenes Medium mit kalkuliertem Einsatz malerischer Mittel kapern. Zwar blieb auch bei ihnen die Grundidee der Malerei als energetisches Feld ein Leitstern, aber bisweilen führt er so weit, dass wie bei Gillicks lichtspielenden Farbscheiben nur die malerischen Effekte bewahrt werden. Das Material kommt aus der industriellen Fertigung. Die Effekte erscheinen an jedem Ort relativ zum Lichteinfall. Das Fenster im Raum überlebt als Metamorphose (Schipper & Krome, Linienstr. 85, bis 15. Februar, und Max Hetzler, Holzmarktstr. 15–18, bis 8. Februar).

Da viele Künstler mit dem Gedanken an Malerei spielen, ohne tatsächlich zu malen, ist sie zum Fluss ohne Ufer geworden und kann sich als Leitmedium behaupten. Andrea Schomburg hat für die Galerie Springer & Winckler Fotos von Blättern und Hausfassaden ausschnitthaft vergrößert und zu Variablen zusammengesetzt. Sie zitieren frei den abstrakten Expressionismus und versachlichen die Schemen der angeblich der Innerlichkeit entsprungenen Malerei wie in einem Musterkatalog. Gleichzeitig sind sie im wörtlichen Sinn abstrakte Kunst, denn es gibt einen strukturierten Bezug zu Gegenständen der sichtbaren Welt. Ihr Umgang lässt sich als kritische Variante des Expressionismus und dessen Legenden werten und kommt nicht ohne den Gedanken an Malerei und Zeichnung mit fotografischen Mitteln aus (Fasanenstr. 13, bis 12. Februar).

Seit über hundert Jahren transformieren Künstler Fotos, Filmstills oder Zeitungsausschnitte auf Leinwand oder verfremden sie heute mit digitalen Spielereien zu Mixed-Media-Gebilden. Diesem reichen Thema, dem das Kunstmuseum Wolfsburg Ende des Monats eine Ausstellung widmet, richtet die Galerie Blickensdorff die Spezialschau „Verarbeitete Fotografie“ mit neun Künstlern aus, die an der Schnittstelle zwischen Foto und Malerei operieren (Gipsstr. 4, bis 15. Februar). Dies gilt auch für die noch tastende Arbeit der UdK-Absolventin Christine Weber in der Galerie Abel. Sie bearbeitet Stills von Jean-Luc Godards „Weekend“, hebt aber die Motive im Kolorit auf. In surrealen Farben kombiniert sie Friedhofsheiterkeit mit Voyeurismus und verwehrt Realitätsbezüge und Mitgefühl. Man sieht weniger die Motive, vielmehr die verschossenen Farben, die sich zu Leichenbergen formieren: reine Malerei (Sophienstr. 18, bis 8. März).

Wenige Künstler kommen ohne Vorbilder aus. Die Träumer und Endspieler des Absoluten wie Malewitsch, Klein, Reinhard oder Merz aber finden kaum Verbündete. Wiedererkennen durch Rekonstruktion heißt heute die Parole. So auch bei den Arbeiten von Ulf Langheinrich , Mitglied der Wiener High-Tech-Gruppe „Granular Synthesis“, die zur Venedig-Biennale 2001 Österreichs Pavillon in Licht- und Klanggewittern beben ließ. Er zeigt in der Galerie chromosome Malerei von 1984 bis 2003. Sein Kick zum technisch Avanciertesten wird von idealisierten Menschenbildern wie Schatten begleitet, als hätte er die schematisierten Proportionszeichnungen aus der Renaissance im Kopf. In Serien aus den Achtzigerjahren sind die Figuren deformiert, später verschwinden sie in schwärzlichen Gründen, dann tauchen sie schemenhaft grau wieder auf. Er spielt das Thema kühl wie Klangmaterial. Doch angesichts der cleanen Soundscapes von „Granular Synthesis“ solch figurversessene Malerei alten Stils zu sehen, ist eine kleine Sensation. Der Künstler lehrt in Leipzig „Sound als visuelle Anschauung“, sieht mit den Ohren und hört mit den Augen bis beides verzischt. Hinter allen Schichten steht die Idealfigur. Sie ist etwas verschrammt und verschüttet, aber so intakt wie die Helden in Happy-End-Filmen (Invalidenstr. 123–124, bis 1. März).

Während Langheinrich Werke aus verschiedenen Zeiten vorstellt, bietet der „zynische Realist“ Yang Shaobin aus Peking bei Prüss & Ochs einen taufrischen Werksatz grauer Porträts. Sie rufen Bezüge zu Francis Bacons zerfetzten Figuren und Folterkellern wach. Könnte man die extrem formalisierten, frei ins Grau gestellten Fleisch- und Knorpelklumpen aus den offen geschlagenen Mündern röcheln hören, es wäre ein Brüllen, das bis zum Reichstag schallte. „Sound als visuelle Anschauung“ – hier ist es Manifest. Dieser Brutalismus passt zur verschwiegenen Realität im Reich der Mitte. Denn Malerei, so der Machttheoretiker Michel Foucault, teile mit Diskursen die Energie, die einer Kraft Raum gäbe. Wenn sie Geschichte erzeuge, sei sie politisch. In der Tat: Man sieht ein Dokument der Raserei seriell Verstummter (Sophienstr. 18, bis 8. März).

Malerische Energie lässt sich auch als bloße Konstruktion buchstabieren – allerdings nur bei abstrakten und gegenstandslosen Bildern. „Bei Figuren kommt Geschichte ins Spiel“, sagt der Züricher Beat Zoderer , der in der Galerie Markus Richter mit Spannungen von Nah- und Fernblick spielt und gewitzt in Wohlgefallen auflöst. „In Berlin, der Malerstadt par excellence, wollte ich Malerei zeigen. Aber natürlich anders.“ Seine „12 Bemerkungen zur Malerei“ kommen aus dem Klima Konkreter Kunst und deren Destruktion. Mit farbigen Klarsichthüllen parodiert er Farbfelder von Max Bill, mit Gummiringen die Gegenstandslosen und mit buntem Wollgarn die „Malerschweine“. Zoderer reagiert als Zeichner und exzessiver Geometriker. Sein Hauptwerk zur Lage von Zeit und Raum liegt imponierend am Boden des Fensters. „Die endliche Schleife von Frau Möbius“ ist eine große graue Blechknäuelwirrnis, kennt weder Innen noch Außen und würde an sich selber irre, hätte sie Hirn: das definitive Labyrinth. „Manche meinen, ich heiße Beate, weil ich mit Wollgarn und Blech arbeite,“ sagt er. „Aber ich heiße Beat und nehme, was passt und Gedanken generiert“ (Schröderstr. 13, bis 15. März).

Bei Zoderer entspringen die Bilder der Ironie-Analyse, bei Beatriz Milhazes in der Galerie Max Hetzler dem Gedanken an Blumen und Blütenstaub. Sie lebt in Sao Paulo, wird dieses Jahr in Venedig den Pavillon Brasiliens bespielen und komponiert die fast allesamt großformatigen Malerei-Collagen durch Gewicht und Tempo von Farben. Schnell stellen sich Vergleiche mit dem Altmeister des Ornaments Phillip Taeffe ein und verflüchtigen sich. Taeffes Bilder sind symmetrisch streng. Bei Milhazes scheinen alle Elemente frei im Bildraum zu schweben, als sähe man nach einem halluzinogenen Cocktail am Fenster Schwärme von Schmetterlingen und Blütenblätter im Licht der Sonne tanzen. Sie lässt alle Formen und Derivate gelten und konjugiert das Blütenmuster durch allen Stilisierungen. Mal überträgt sie die Formen mit Pinsel, mal klebt sie Schablonen. Ihre Titel beziehen sich auf Orte oder Situationen in Brasilien, werden aber nach vokalen Qualitäten ausgewählt. „O Elefante Azul“ oder „Laranjeiras“ verstärken vor allem die Evokation, die von dem Synkretismus der Muster und einer unglaublichen Freiheit des Geltenlassens ausgeht (Zimmerstr. 90/91, bis 15. März). Auch dies wäre eine Kraft, die Geschichte schafft. Doch der Eindruck, dass hiesige Künstler eher kritisch mit dem Bildbestand der Archive umgehen und klug im Selbstreferentiellen kreiseln, die Maler von außerhalb den Kreis durchbrechen, lässt sich nicht abweisen. Der Umgang mit Malerei definiert sich – mehr als andere Medien – durch lokale Akzente.

Peter Herbstreuth

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