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Kultur: Plädoyer: Kunstpause

In der Rhetorik gilt ihre geschickte Platzierung als hohe Kunst. Für Theatermacher dagegen ist sie ein notwendiges Übel: die Pause.

In der Rhetorik gilt ihre geschickte Platzierung als hohe Kunst. Für Theatermacher dagegen ist sie ein notwendiges Übel: die Pause. Ganze 20 Minuten werden uns Zuschauern üblicherweise zugestanden - das reicht gerade mal aus, um am Büfett anzustehen und dann mit dem ersten mahnenden Klingeln den Sekt auf Ex herunterzukippen. Falls zuvor nicht schon die Schlange vor den Toiletten jegliche Hoffnung auf Erfrischung zunichte gemacht hat.

Es soll ja Leute geben, die angesichts dieser Pausen-Probleme für die komplette Abschaffung der Aufführungs-Unterbrechungen plädieren: dreieinhalb Stunden "Figaros Hochzeit" an einem Stück, das sei doch kein Problem. Hut ab vor solchem Durchhaltevermögen! Doch die Gabe der Dauerkonzentration besitzen die Wenigsten. Wenn wir am Ende dieser Sommerfestival-Saison etwas gelernt haben, dann dies: Dem Großteil aller Theaterbesucher sind allein durch Körpergröße oder Alter physische Grenzen der Rezeptionsdauer gesetzt. Kulturinteressierten Menschen über 1,80 Meter (wie der Autor dieser Zeilen) droht in den meisten Opern- und Schauspielhäusern das berüchtigte Touristen-Klassen-Syndrom, das jeder von Urlaubsflügen kennt. Die logische Folgerung, sicherheitshalber mit Stützstrümpfen untem Abendkleid oder der Anzughose loszustiefeln, weil kluge Dramaturgen davon überzeugt sind, die Einheit von Raum und Zeit lasse sich nur durch pausenloses Durchspielen herstellen, kann auch demjenigen den Theaterabend versauern, der nicht darauf erpicht ist, die neue Garderobe spazierenzuführen.

Hier geht es nicht um Eitelkeit sondern um nötige Ruhephasen des Geistes. Liebe Intendanten, bitte denkt doch in der jetzt langsam anlaufenden Spielzeit daran: Am Ende mit vollständig zerrütteten Nerven aus dem Saal zu wanken, mag kathartische Wirkung haben, die geforderte Konzentration aber bringt nur der auf, der zwischendurch auch mal sein Hirn lüften darf - von der Lust, sich auf unerwartete Interpretationen einzulassen, ganz zu schweigen. Fritz Bornemann, der Architekt der Deutschen Oper Berlin, wünschte sich für seine Foyers jede Menge moderne Skulpturen und Gemälde, damit die Gäste des Hauses während der Pause von zeitgenössischer Kunst umgeben seien und so zu intensiveren Gesprächen über das gerade Gesehene angeregt würden.

Darum gehört die Einführung einstündiger Pausen zwischen allen Akten bei den Bayreuther Festspielen zu den großen Errungenschaften Richard Wagners. Nachdem er durchgesetzt hatte, dass das Licht im Saal während der Vorstellung ausgeschaltet wird, damit die Leute nicht länger auf die Garderobe der Gräfin X achten sondern auf das Bühnengeschehen, gab er ihnen 60 Minuten Freizeit, um sich auf dem Grünen Hügel zu ergehen, Sauerstoff zu tanken oder - in Gottes Namen - auch ein Hefeweizen. Vor allem aber, um ausführlich die ausufernden Stücke zu bereden. Wer erlebt hat, was für intensive Diskussionen über Dirigenten-, Regie- und Sängerleistungen sich in den Bayreuther Pausen entspinnen können, weiß, dass der Aufforderung zum Nach-Denken hier wirklich entsprochen wird. Und noch etwas erkannte der Komponist: Der Körper selbst des glühendsten Wagnerianers braucht einfach 60 Minuten, um beim Gedanken an den stickigen Festspielhaussaal und die schwitzenden Sitznachbarn den Fluchtreflex zu überwinden.

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