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Plagiat: Welcher Gedanke gehört mir?

Das Copy-Paste-Syndrom: Wie aus Studierenden Plagiatoren werden und aus Dozenten akribische Detektive.

Kopieren statt Studieren – so hieß es früher einmal, als es in Mode kam, dass Studierende ganze Bücher kopierten, um das gesammelte Wissen zu Hause in einem Ordner abheften zu können. Heute sind damit die Downloads aus dem Internet gemeint. Von dort ist es via „Copy & Paste“ nur noch ein kleiner Schritt zum Plagiat – sofern man weglässt, wer der Urheber eines in die eigene Arbeit eingefügten Textteils ist.

Heißt es heute also: Kopieren, um zu plagiieren? Ersetzt das „GoogleCopyPaste-Syndrom“ (Stefan Weber) heute bei vielen Studierenden das wissenschaftliche Arbeiten? Viele Hochschulen sind dazu übergegangen, von ihren Studierenden zu verlangen, die Arbeiten auch in elektronischer Form einzureichen. Mit speziellen Such-Programmen werden diese auf Übernahmen aus dem Internet geprüft. Da werden aus Dozenten Detektive, die den Studierenden mit Misstrauen begegnen müssen. Doch warum plagiieren Studierende?

Sicher spielt der Druck eine Rolle, der nach der Umstellung auf den Bachelor-Abschluss auf vielen lastet und einer zeitintensiven Quellensuche entgegensteht. Auch lockt das Internet mit müheloser Recherche. Da kommt man vielleicht schon mal auf die Idee, sich eine Arbeit aus dem Netz zu ziehen, die eine gute Note erhalten hat.

Der wichtigste Grund jedoch liegt darin, dass Studierende oft gar nicht mehr zwischen einem wörtlichen und einem sinngemäßen Zitat unterscheiden können. Sie kennen die Trennlinie zwischen Plagiat und eigenen Gedanken nicht mehr.

Schon der Umstand, dass auch eine sinngemäße Wiedergabe fremder Gedanken belegt werden muss, überrascht manche Studierende. Sie halten ausschließlich wörtliche Wiedergaben in Anführungsstrichen für Zitate. Gabriela Ruhmann, die Leiterin des Schreibzentrums an der Ruhr-Universität Bochum, glaubt denn auch: „90 Prozent der Plagiate geschehen unbewusst und nicht böswillig.“

In Seminaren zum wissenschaftlichen Schreiben fragen Studierende immer wieder, wie sie mit einem Text verfahren sollen, der Gedanken enthält, die sie selbst auch hatten. Ob sie diese denn nicht mehr als die eigenen ausgeben dürften. Sie wissen nicht, worin ihre eigene Leistung bestehen soll, wenn es offensichtlich zum wissenschaftlichen Vorgehen gehört, die Forschungsergebnisse anderer zu zitieren. Vielen fehlt auch das Knowhow, mit welchen Formulierungen und textlichen Signalen trennscharf zwischen eigenen und fremden Gedanken unterschieden werden kann.

Die verbreitete Unkenntnis des Konjunktivs, um fremde Gedanken wiederzugeben, ist dabei noch der geringste Teil der Misere. Katrin Girgensohn, Leiterin des Schreibzentrums an der Viadrina in Frankfurt (Oder), weiß aus eigener Erfahrung: „Wissenschaftliches Schreiben ist schwierig. Paraphrasieren, fremde Meinungen wiedergeben, aber auch die eigenen Ideen nicht zu verlieren, wenn man Dutzende anderer Texte liest – das muss man erst mal lernen.“ Aber wo und wie können die Studierenden dies lernen?

Viele haben bis zum Abschluss ihres Studiums nur eine vage Vorstellung von den Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens. In einer repräsentativen Studie der Hochschul-Informations-System GmbH von 2007 gaben 44 Prozent der Studierenden an, Schwierigkeiten bei der Anfertigung schriftlicher Arbeiten zu haben. Hier müssten die Hochschulen ansetzen. „Das Geld für Plagiatssoftware“, so Katrin Girgensohn, „sollte man lieber in Schreibzentren stecken, in denen die Studierenden beim Schreibenlernen unterstützt werden und wo sie sich über ihre Texte austauschen können.“

Die Plagiatsprogramme, das haben Experten mittlerweile erkannt, sind nur eingeschränkt nützlich. „Dass Studenten und Wissenschaftler abschreiben, ist ein ernstes Problem“, schreibt etwa Debora Weber-Wulff, Professorin für Medieninformatik in Berlin, doch „mit Software ist es nicht zu lösen.“ Auch Volker Rieble, Rechtsprofessor in München, der in seinem Buch „Das Wissenschaftsplagiat – Vom Versagen des Systems“ (Verlag Vittorio Klostermann), das Problem bis in den Bereich ordentlicher Professoren ausdehnt, konstatiert: „Technische Hilfe durch Plagiat-Erkennungsprogramme stellt den Missstand nicht ab.“

Die in vielen Hochschulen angebotenen „Einführungen in das wissenschaftliche Arbeiten“ für Erstsemester reichen offenbar nicht aus. Denn hier geht es meist um Formales und Organisatorisches: Wie wird ein Zitat belegt, wie sieht ein Literaturverzeichnis aus, oder wie benutzt man die hochschuleigene Bibliothek? Welche Funktion ein Zitat hat, wie man mit Quellen umgeht und wo die Grenze zwischen Zitat, Paraphrase und Plagiat verläuft – diese Fragen werden in der Regel nicht behandelt. Nicht von ungefähr haben Professoren und Dozenten verschiedener Fachbereiche Ratgeberbücher veröffentlicht.

Zu ihnen gehören etwa der Wirtschaftswissenschaftler Michael Burchardt mit „Leichter studieren. Wegweiser für effektives wissenschaftliches Arbeiten“, die Erziehungswissenschaftlerin Brigitte Pyerin mit „Kreatives wissenschaftliches Schreiben“ oder der Psychologe Otto Kruse mit „Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium“. Aber sie sind nur Einzelne. Es gibt bisher kein verbreitetes institutionelles Bewusstsein, dass man wissenschaftliches Schreiben heute gezielt und flächendeckend vermitteln muss.

Erst knapp ein Dutzend Hochschulen haben Schreibzentren eingerichtet. Dazu kommen hier und da Angebote an einzelnen Fachbereichen oder im Rahmen des Studium Generale. Angesichts von über 400 deutschen Hochschulen ist das keine große Zahl. Aus akademischen Detektiven müssen endlich wieder Dozenten werden.

Sven Arnold

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