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Berliner Bohemiens.Die Drucker Johannes Vennekamp, Uwe Bremer, Arno Waldschmidt und Albert Schindehütte.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Plakatkunst: Die Druckspechte

Plakate, Quatsch und Qualm: Die Werkstatt Rixdorfer Drucke wird 50 Jahre alt. Zum Treffen in ihrer Jubiläumsausstellung geben sich die Bohemians nachdenklich und denken sogar über das eigene Finale nach.

Rauchschwaden ziehen sich durch das Haus am Lützowplatz. Sie stammen aus der Pfeife von Uwe Bremer und den Zigarillos von Arno Waldschmidt. Der Qualm stört hier niemanden, er gehört fast zu ihrer Kunst. Die „Rixdorfer“, also Bremer, Waldschmidt, Albert Schindehütte und Johannes Vennekamp haben hier Hausrecht. Auf einem kleinen Tisch zwischen den Ausstellungsstücken stehen ein paar leere und viele volle Flaschen Bier, der Aschenbecher quillt über. „Na ja“, sagt Bremer, „das ist jetzt nicht gerade die bohemian Lebensweise.“ Denn ja, die Rixdorfer haben wildere Zeiten erlebt. Dennoch sind es ungewöhnlich wehmütige Worte für eine Künstlertruppe, über die „Der Spiegel“ 1966 schrieb, es handele sich um „Lokal-Genies“, die aber „lieber schluckten als druckten“, zumal für eine, die nun im Alter noch immer so unangepasst wie eh und je inmitten ihres Lebenswerkes hockt.

Das Lebenswerk, das sind handgedruckte Bücher, Plakate und Flugblätter Bilderbögen und Kalender. Verziert mit teils obszönen, teils grotesken Holzschnitten. In 50 Jahren „Werkstatt Rixdorfer Drucke“, so heißt auch die Jubiläumsausstellung, hat sich allerhand Schrulliges, vielerlei Nachdenkliches und einiger Quatsch angesammelt, auf den die Rixdorfer gern gemeinsam zurückblicken. Auch wenn einer schmerzlich vermisst wird. Der, den sie hier liebevoll „den Dicken“ nennen, aber auch „einen genialen Geist“: Günter Bruno Fuchs.

Der Dicke nämlich hat vor über 50 Jahren den Grundstein für die Zusammenarbeit der vier Künstler gelegt. Zusammen mit Robert Wolfgang Schnell besetzte er 1959 in der Kreuzberger Oranienstraße 27 einen Hinterhof und startete die Galerie „zinke“ mit Ausstellungen der Arbeiten von Günter Grass oder Lilo Fromm. Drei Ausgaben der Zeitung „zinke“ erscheinen, bevor „Schnaps und das Finanzamt“, so sagt man, das vorzeitige Ende des Projektes besiegelten. Fest steht aber, dass Fuchs weiterzog, in die Oranienstraße 20, wieder in einen Hinterhof, in die vierte Etage eines Fabrikgebäudes.

Dort, so gut sich das eben nach 50 Jahren rekonstruieren lässt, trifft er zunächst den Maler Johannes Vennekamp und findet außerdem eine alte Schnellpresse, eine Schneidemaschine, alte Setzkästen und ein paar Stöße Papier. Später kommen die Maler Schindehütte, Waldschmidt und Bremer hinzu und gründen die Werkstatt Rixdorfer Drucke. Die damals noch fünf Rixdorfer drucken mit Holzstöcken aus eigener Herstellung und alten Bleischriften, die sie ebenfalls gefunden hatten, Flugblätter und grafische Einzelschriften in kleinster Auflage. Sich Rixdorfer Drucke zu nennen, war auch eine Idee von Fuchs.

Denn keiner der Künstler kommt aus Rixdorf, das ohnehin auch schon damals Neukölln hieß. „Ich glaube, er dachte, es klingt einfach besser“, erzählt Waldschmidt und nimmt noch einen tiefen Zug von seinem Zigarillo. Aber Fuchs ist schon lange tot. „Der Schnaps ...“, sagt Waldschmidt.

Rudi Dutschke und Gerhard Schröder kamen zum Kicken vorbei

Berliner Bohemiens.Die Drucker Johannes Vennekamp, Uwe Bremer, Arno Waldschmidt und Albert Schindehütte.
Berliner Bohemiens.Die Drucker Johannes Vennekamp, Uwe Bremer, Arno Waldschmidt und Albert Schindehütte.

©  Doris Spiekermann-Klaas

In den Ausstellungsräumen am Lützowplatz liegen auch alte Fotos. Darunter ein Bild der alten Stammkneipe Kleine Weltlaterne. „Da konnte man saufen für Kunst“, erinnert sich Waldschmidt. Zwei Bier und eine Currywurst waren damals der Lohn für ihre Arbeiten. Heute sind die seltenen und seltsamen Drucke teils mehrere hundert Euro wert.

So erinnern die alten Fotos vor allem an eine Zeit, die schwieriger und doch unbeschwerter war. Als aus Männerfreundschaften und durchzechten Nächten ein Kunstprojekt wurde, das über Jahre bestand hatte. 66 Dichter texteten über die Jahre für die Rixdorfer. Nur acht Frauen sind darunter. „Es gab einfach nicht so viele“, sagt Uwe Bremer. Immerhin befinden sich bekanntere wie Sarah Kirsch und Kerstin Hensel darunter. „Die meisten der Dichter haben doch mit uns Fußball gespielt“, sagt Bremer. Auch das war keine Frauendomäne. Bremer lud die Künstler in seine Druckwerkstatt in Gümse im Wendland ein, wo sich die Rixdorfer nun ein- oder zweimal im Jahr treffen, zusammen ein Konzept erarbeiten und – früher zumindest – vor allem Fußball spielten.

Rudi Dutschke kam zum Kicken vorbei und auch Gerhard Schröder. Der Ex-Kanzler ist ein Freund von Uwe Bremer, und spiele viel besser, als man es erwarten würde, erzählt dieser. Die Drucke und Kalender waren denn auch immer irgendwie politisch. „Nie parteipolitisch“, sagt Bremer. Aber doch immer ein Kommentar zu ihrer Zeit, gesellschaftspolitisch eben. Als 1991 das Asylbewerberheim in Hoyerswerda brennt, drucken die Rixdorfer eine Reihe zynischer Plakate: „Homos verarschen – Deutschland den Türken“ steht darauf. Auf dem nächsten: „Itakker abnudeln – Deutschland den Schwulen“. Nicht allen Galerien erschließt sich die derbe Kritik und der Humor der Altlinken. Die Plakate werden abgelehnt, nicht ausgestellt. Fast 30 Jahre nach ihrer Gründung schafften die Rixdorfer es also noch einen Skandal zu fabrizieren.

Nur wer den Werdegang der einst fünf, nun vier gealterten Bohemiens genau nachvollzieht, dem erschließt sich auch ihr vorerst letztes Werk. „Rixdorfer Totentanz“ heißt es. Je fünf Drucke jedes Gruppenmitgliedes. „Kein Abschied“, beeilt sich Bremer zu versichern. Sondern ein Abgesang auf die verschiedenen Berufe unserer Zeit: Papst, Bad Banker, Schoßhündchen und Pornodarstellerin etwa. „Wir hätten noch viele weitere Berufe finden können“, sagt Bremer. Nur eben Rixdorfer nicht, sofern das denn ein Beruf ist. „Wir machen weiter“, sagt Bremer. So lange es eben gehe. Doch der „Rixdorfer Totentanz“ sei auch ein Nachdenken über das eigene Finale. Alle Rixdorfer haben die 70 bereits hinter sich gelassen.

Und was kommt nach dem Totentanz? „Na, hoffentlich die glorreiche Auferstehung“, sagt Bremer. Was aber bleibt, ist die Legende, die alten Geschichten. Immer mit einem guten Tropfen Wahrheit.

„50 Jahre Werkstatt Rixdorfer Drucke“, bis 31. März im Haus am Lützowplatz, Dienstag bis Sonntag, 11–18 Uhr.

Die Druckwerkstatt der Dichter. Rixdorfer Wort- und Bilderbögen 448 Seiten im Folioformat: 24 x 34,3 cm, Die Andere Bibliothek, 79 Euro bis 30.4., danach 99 Euro

(In einer früheren Version dieses Textes behaupteten wir, die Rixdorfer hätten "die 80 bereits hinter sich gelassen". Zum Glück für die vier Bohemians haben wir uns da verrechnet und bitten, den Fehler zu entschuldigen. Tatsächlich sind alle Künstler nur älter als 70.)

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