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Die Erde als ferner Planet. Najjars Aufnahme „Interplanetary Landscape“ stammt von 2014.

© Michael Najjar

„Planetary Echoes“ von Michael Najjar: Ticket zum Mond

Wüsten, Gletscher, Meere: Die Alfred-Ehrhardt-Stiftung zeigt hybride Fotografien von Michael Najjar, in denen sich Natur und galaktische Oberflächen verbinden.

Was macht einer, der um jeden Preis im Weltraum schweben will? Er kauft eine Fahrkarte für das All und bereitet sich vor. Michael Najjar hat sein Ticket als Astronaut längst in der Tasche. Die Wartezeit überbrückt er mit immer neuen fotografischen und filmischen Arbeiten, die seine Obsession geradezu planetarisch umkreisen: Der Berliner Künstler ist eng mit dem Thema des Extraterrestrischen verbunden.

Bis das Unternehmen Virgin Galactic die ersten zivilen Passagiere in sein Raumschiff Space Ship Two setzen wird, trainiert Najjar hart. Zum Beispiel Schwerelosigkeit in einem russischen Übungswassertank, aus dem die Fotografien seiner bekannten Serie „Liquid gravity“ (2013) stammen. Noch weiß er nicht, wann er endlich von oben auf die Erde blicken kann. Mental aber scheint der Künstler längst dort gewesen zu sein – ein Eindruck, den man aktuell in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung gewinnen kann.

„Moon Mining“, ein schwarz-weißes Großformat von 2017, ist ein gutes Beispiel für jene Verwirrung, die Najjar beim Betrachter hinterlässt. Es zeigt eine reizvolle Ödnis aus Staub, Sand und Felsen. Am dunklen Firmament erhebt sich die Erde wie sonst der Mond. Schaut man also nun mit dem Künstler aus unendlicher Höhe auf den blauen Heimatplaneten? Oder gaukelt Najjar diesen Mann auf dem Mond bloß vor?

Flüssiges Blau, kristallines Weiß

Die hybriden Fotografien des Künstlers sind Konstrukte einer ebenso universellen wie persönlichen Utopie. Najjar baut sie aus Landschaften, die nicht unbedingt zum Greifen nah, aber doch erreichbar sind. Wüsten, Gletscher und das Meer mischen sich mit jüngsten Aufnahmen von der Beschaffenheit diverser Planeten. Die hiesige Natur stellt dem Künstler ihr flüssiges Blau, das trockene Braun der Erde und kristallines Weiß zur Verfügung. Aus dem galaktischen Raum kommen ähnlich eindrucksvolle Oberflächen, die Najjar miteinander verknüpft und oftmals noch um synthetische Strukturen erweitert. Seine Ausstellung „Planetary Echoes“ verzichtet allerdings fast völlig auf solche künstlichen Elemente. Einzig „Sands of Mars“ (2014) zeigt drei helle, wabenartige Kuppeln, wie sie sich Forscher zur künftigen Besiedelung von Planeten vorstellen.

Najjars Reduktion auf die Natur hängt nicht zuletzt mit der Institution zusammen, in der er nun seine Arbeiten zeigt. Bislang beschränkte sich die Stiftung in ihren Ausstellungen auf Vertreter des naturalistischen Sehens – ganz im Sinn von Alfred Ehrhardt, der in der Tradition einer sachlichen Moderne fotografierte. Auf den zweiten Blick tragen seine Aufnahmen vom Watt, dessen Formenspiel er in den dreißiger Jahren auf langen Spaziergängen festhielt, den Effekt der Verfremdung bereits in sich: In der Nahsicht verschwimmen alle Relationen, die feinen Wellenlinien im Sand könnten auch die hohen Dünen einer Wüste sein. Oder die gleichförmige Oberfläche eines Planeten, den es noch zu entdecken gilt.

Die Natur wird zum abstrakten Bildvokabular

So gesehen war der 1984 verstorbene Ehrhardt seiner Zeit weit voraus. Najjar, Jahrgang 1966, tut es ihm nach und hält seine Vision einer Hyperrealität bildhaft fest – wenn auch mit den digitalen Mitteln der Gegenwart. Und natürlich verbindet sich sein Blick in den extraterrestrischen Raum auch mit den Fantasien jener Forscher, die einen Ausweg aus der Raum- und Ressourcenkrise des 21. Jahrhunderts suchen.

Anfang des Jahres wandelte er auf Ehrhardts Spuren bis nach Island, wohin der Watt-Fotograf 1938 auf der Suche nach der „Urlandschaft“ eine zweimonatige Expedition unternommen hatte. Najjar produzierte seinerseits ein Video mit spektakulären Momenten, in denen die Natur zum abstrakten Bildvokabular wird. Mächtig und menschenleer. Nur einmal, in die monumentale Fotografie „Europa“ (2015), montiert er eine kleine Figur, die an den Wanderer von Caspar David Friedrichs „Eismeer“ aus dem 19. Jahrhundert denken lässt. Romantisch ist das nicht, eher ein Hinweis: Die neue Eiszeit hat längst begonnen.

Alfred-Ehrhardt-Stiftung, Auguststr. 75, bis 18.6., Di–So 11–18 Uhr

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