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Von Spar: Jan Philipp Janzen, Christopher Marquez, Sebastian Blume und Philip Tielsch (von links).

© Jan Lankisch

Plattenkritik: Der Berg der Erkenntnis

Neokrautrock? Man kann auch einfach großer Pop dazu sagen: die Kölner Band Von Spar und ihr Album "Under pressure".

Müssen wir uns Sorgen machen? Unbedingt: um die Welt, das Klima, um Europa und um Deutschland sowieso. Vielleicht aber auch nicht. Vor allem nicht in Köln, dieser kleinen großen Stadt, in der die Regeln der rheinischen Zuversicht herrschen. Die wichtigste lautet: Et hätt noch immer jot jejange. Ist doch immer noch alles gut gegangen. „Should I worry?“, fragt eine dunkle, per Autotune verzerrte Stimme. „Shouldn’t you worry?“ Dazu tröpfeln Synthesizertöne, ein sanft ratternder Beat setzt ein, und eine andere Stimme antwortet: „No – yes – no – no.“ Ja, was denn nun? Klingt ziemlich verwirrend, aber von dem mantraartigen Sorgengesang geht eine weltentrückte Tiefenentspannung aus. Die Stimme gehört dem amerikanischen Rockavantgardisten R. Stevie Moore, die Begleitung stammt von der Kölner Band Von Spar.

Mantren mit Marx-Bart

Moore, ein 67-jähriger Hippie mit Karl-Marx-Bart aus Nashville, gilt als Gründervater der Home-Recording-Bewegung. Seit 1968 hat er mehr als 400 Platten aufgenommen, meist zuhause, und selbst vertrieben. Das Stück trägt den Dada-Titel „Falsetto Giuseppe“ – fast ein Reim – und gehört zu den Höhepunkten des gerade erschienenen Von-Spar-Albums „Under Pressure“. Die Gruppe hatte bereits vor längerer Zeit im bandeigenen Dumbo-Studio eine Session mit Moore veranstaltet. Daraus nun einige seiner lakonisch-genialen Spoken-Word-Zeilen zu veröffentlichen, wirkt geradezu zwingend. Von Spar huldigen der Vergangenheit und sind gleichzeitig total gegenwärtig. Schöner Witz am Rande: Moore grummelt am Ende „No Pay / Okay?“. Ums Geld geht es in der Pop-Internationale der Daheimaufnehmer und Sound-Files-Miteinanderteiler zuallerletzt.
Von Spar heißen Von Spar, weil ihre Geschichte im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Mühlheim begonnen hat. Dort, in der Nähe der Von-Sparr-Straße, befand sich der Proberaum, in dem die Band zusammenfand. „Das klang damals in unseren Ohren irgendwie nach einem coolen Namen für eine coole Band“, sagt Gitarrist Phillip Tielsch. Allerdings schreibt sich die Straße mit einem Doppel-R, ein R haben sie weggelassen, „um nicht unnötig Raum für Spekulationen zu lassen“. Das schafft natürlich sofort wieder neuen Raum für Spekulationen. Könnte der Name nicht genauso gut auf eine Supermarktkette und die marktschreierischen, zwischen Electropunk und Diskursrock oszillierenden Bandanfänge verweisen?

Hinein in die Verfeinerung

Das noch deutschsprachige Debütalbum hieß „Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative“ und kam 2004 bei Ladomat heraus, der Electroabteilung des Hamburger-Schule-Labels L’age D’Or, zu dessen Künstlern auch Whirlpool Productions, Egoexpress und Phantom/Ghost gehörten. „Under Pressure“, das fünfte Studioalbum, erscheint bei Bureau B, einer Firma, die mit der Wiederveröffentlichung von Krautrock-Klassikern von Cluster, Conrad Schnitzler und Günter Schickert bekannt geworden ist. Musikalisch führte der Weg von Von Spar immer weiter in die Verfeinerung, immer tiefer hinab in die Popgeschichte und dann auch wieder daraus hinaus.
„Under Pressure“, so heißt der Discohit, den Queen 1981 mit David Bowie aufgenommen haben. Bowie ist oft als Chamäleon beschrieben worden. Man kann darüber streiten, ob er wirklich eins war, denn er ist bei aller Wandelbarkeit doch immer erkennbar er selbst geblieben. Auch die Musik von Von Spar schillert in allen Farben. Neben Krautrock wurde der heute gern Soft- oder Yachtrock genannte perfekte, oft aseptisch produzierte Pop der späten siebziger, frühen achtziger Jahren zur Inspiration. Schon letzte, vor fünf Jahren veröffentlichte Album "Streetlife" war ein Maschinenmusik-Meisterwerk. Die darauf enthaltene, euphorisch tackernde Discohymne "Chain of Command" wurde ein Radiohit.

Träume sind Schäume

Von Spar begannen als Quintett und sind inzwischen zum Quartett geschrumpft, zu dem neben Gitarrist Tielsch der Pianist Sebastian Blume, Schlagzeuger Jan Philipp Janzen und Bassist Christopher Marquez gehören. Eröffnet wird "Under Pressure" von einer zweiteiligen Electrosuite "A Dream". Zu traumverlorenen Synthesizer-Arpeggien philosophiert die Popavantgardistin Eiko Ishibashi in japanischen Versen über die Nähe von Schlaf und Tod, Freiheit und Auslöschung. Dann setzt ein pulsierender Motorik-Beat ein, und der kanadische Singer/Songwriter Chris Cummings, dessen aufgeraute Stimme an Peter Gabriel erinnert, stellt fest, was das Beste an Träumen ist: Dass sie nichts bedeuten.

Weitere Gastauftritte haben die französische, ehemals zum Klangkollektiv Stereolab gehörende Sängerin Lætitia Sadier und die britische Punkveteranin Vivien Goldman. Der schönste Titel des Albums kommt ganz ohne Text aus. "Mont Ventoux" huldigt dem 1909 Meter hohen Berg in der Provence, der für die Kelten heilig war und von Petrarca bedichtet wurde. Auf ihm spielen sich regelmäßig Radsportdramen ab, der Anstieg zu seinem Gipfel gehört zu den gefürchtetsten Etappen der Tour de France. Das Stück ähnelt selber einer Erhebung, mit Soundschleifen und Keyboardzacken, einer Klangarchitektur, wie man sie auch von Tangerine Dream und Klaus Schulze kennt. Krautrock hat seit jeher eine Radsport-Affinität, vielleicht, weil der Rhythmus, in dem sich die Athleten abstrampeln, so musikalisch wirkt. Kraftwerk veröffentlichen ein ganzes Album mit Tour-de-France-Soundtracks.

Aufstieg zum Gipfel

Krautrock, ein unscharfer, anfangs pejorativ verwendeter Begriff, steht für experimentelle Rockmusik, die seit den späten sechziger Jahren in Deutschland produziert wurde und seine größten Erfolge zunächst in Großbritannien feierte. Von Spar haben mit Stephen Malkmus, Sänger der Postrockband Pavement, eine eigene Livefassung des kanonischen Can-Albums "Ege Bamyasi" eingespielt, eine Verbeugung vor den Kölner Lokalhelden des improvisierten Pop. Seitdem haftet ihnen das Etikett "Neo-Krautrock" an. Können sie damit leben? Eigentlich schon, sagt Gitarrist Phillip Tielsch. Er findet die Zuordnung "relativ akkurat". Aber inzwischen sei auch die zweite Krautrock-Hochphase schon wieder vorbei. Und in der Geschichte des Krautrock habe sich keine Band wirklich wohl gefühlt mit diesem Label. "Da bilden wir keine Ausnahme." Daher macht er einen Vorschlag: "Nennen wir die Musik doch einfach Pop." Im Fall von Von Spar ist es ziemlich großer Pop.

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