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Labelstapler. Samy Ben Redjeb.

© promo

Plattenlabel: Analog Africa: Wie Freiheit klingt

Detektiv und Archivar: Samy Ben Redjeb hebt mit seinem Label Analog Africa vergessene Schätze. Seine Mission ist es, Musik vor dem Vergessen zu retten.

Sammler leben gefährlich, schon weil ihre Leidenschaft leicht zur Sucht werden kann. Wohin mit den den ganzen schönen Sachen? Und wie hält man sie in gutem Zustand? Den Deutschtunesier Samy Ben Redjeb hat es besonders hart erwischt: Er hat eine Stauballergie. Jahrelang teilte er sich seine kleine Wohnung in Frankfurt/Main mit knapp 30000 Platten aus Afrika. Unlängst hat er die Wohnung renoviert und die meterhohen Vinyl-Schätze in einen separaten Raum umgelagert. In dem kleinen Hinterhofbüro, Sitz seines Plattenlabels Analog Africa, lagern hunderte weiterer Platten. Samy Ben Redjebs Leidenschaft gilt afrikanischen Aufnahmen der sechziger und siebziger Jahre – einer Musikära, die in Europa und den USA derzeit wiederentdeckt wird. So bringen britische Plattenfirmen wie Strut und Soundway Klassiker und Raritäten des Afro-Beat heraus, und Bands wie die Foals, Vampire Weekend oder Bombay Bicycle Club integrieren Highlife-Gitarren in ihren Sound. Samy Ben Redjeb hat in diesem Nischenmarkt mittlerweile neun Alben veröffentlicht– zuletzt die Kompilation „Angola Soundtrack:- The unique Sound of Luanda (1968-1976)“. In seinem Büro hat der 40-Jährige die Originalplatten nach Zeiten und Ländern sortiert. Darunter: Südafrika, Zimbabwe, Angola Nigeria, Benin, Togo, Ghana, oder der Senegal. In all diesen Ländern hat er Wochen nach Musik und Musikern gesucht und Originalaufnahmen samt Lizenzen nach Deutschland gebracht. „Wenn ich eine geniale Platte finde, kaufe ich sie auch 50-mal, um mit dem Verkauf mein Label mitzufinanzieren“, sagt er. Ben Redjeb ist ein lockerer Typ mit Kapuzenpulli und Turnschuhen. Bis er 17 war, lebte er beim Vater in Tunesien und besuchte seine deutsche Mutter nur in den Ferien. „Keine einfache Zeit“, sagt der Deutschtunesier, der sich schon früh für Pop-Musik interessierte.Arabische Musik fasziniert ihn allerdings nicht. "Ich bin kein großer Fan von arababischen Klängen, auch der politische HipHop von dort ist nicht mein Ding." Doch die demokratische Bewegung in seiner zweiten Heimat macht ihn stolz. „Anders als früher weiß heute jeder, wo Tunesien liegt.“ Ben Redjebs Geschichte ist die eines Rastlosen: Nach dem Realschulabschluss in Deutschland, geht er zur Marine, wird Tauchlehrer in Griechenland, arbeitet als Hotel-DJ in der Türkei und im Senegal. In Dakar kommt er erstmals mit der Musik des Kontinents in Berührung – „ein Schlüsselerlebnis“.Mit Ende zwanzig eröffnet einen Laden für afrikanische Accessoires in Frankfurt, mit wenig Erfolg. Eine Freundin bringt ihn auf die Idee, es als Steward zu versuchen. „Ein fester Job und günstig fliegen, um meine Musik zu suchen, das war es!“ Schon bald arbeitet er auf Flügen nach Accra, Lagos und Addis Abeba. Von Vorteil ist, dass er sechs Sprachen spricht: Neben Deutsch und Arabisch auch Französisch, Italienisch, Englisch und Spanisch. Es sind die Sprachen der ehemaligen Kolonialisten, die dem offenherzigen Ben Redjeb Zugang zu Land und Leuten erleichtern. Der Kauf des Albums „Gwindingwi Raine Shuba“ von Thomas Mapfumo (1980), das in Zimbabwe am Ende des Unabhängigkeitskrieges aufgenommen wurde, habe alles verändert, sagt der 40-Jährige. „Das war der Klang, den ich immer gesucht habe.“ So startete seine Mission, Musik vor dem Vergessen zu retten. Er ist süchtig nach Befreiungsmusik: „Wo Menschen für ihre Freiheit kämpfen, da haben die Musiker etwas, das sie später vielleicht nie mehr besitzen.“ Den Grundstein für sein Label legte er 2004 mit der Veröffentlichung von Liedern der zimbabwischen Band The Green Arrows. Die Gruppe um Sänger Zexie Manatsa gehörte in den frühen Siebzigern zu den berühmtesten des Landes. Als Ben Redjeb den Bandleader zwanzig Jahre später wiedertrifft, ist dieser an die 60 Jahre alt und arbeitet als Pastor. „Er hat einer Veröffentlichung zugestimmt, obwohl er meinte, dass das mit der Musik für ihn schon lange vorbei sei“, sagte Ben Redjeb. Für die Wiederveröffentlichung fehlen Ben Redjeb zunächst die Referenznummern der Singles. Die aber braucht er, um an die Originaltonbänder heranzukommen, die bei einer Plattenfirma in Südafrika lagern. Ben Redjebs Spürsinn erwacht. Er befragt Produzenten, Händler und Repräsentanten und wird Monate später im Hinterhoflager eines ehemaligen, südafrikanischen Plattenhändlers fündig. „Ich habe dort jede einzelne Platte der Green Arrows gefunden und etwa 4000 Singles gekauft“, sagt Ben Redjeb. Doch zurück in Deutschland findet er erst kein Label, dass das Album veröffentlichen will „weil den meisten die Musik zu afrikanisch war“, sagt Ben Redjeb. Schließlich steigt ein kleines Label ein, das später Pleite geht. Am Ende stecken im ersten Album vier Jahre Arbeit und ein materieller Gewinn von 2000 Euro – aber dafür ein größerer ideeller. „Durch die Veröffentlichung kehrte das Green Arrows-Fieber nach Zimbabwe zurück. Die Band ging wieder auf Tournee.“ Ben Redjeb ist wählerisch. „Ein Archäologe nimmt alles mit, was er ausgräbt. Ich aber bringe nur Lieder heraus, die in meinen Ohren speziell klingen“, sagt er. Afropsychedelik, polyrhythmisch-schräger Funk und tribalistischer Rhythm and Blues interessieren ihn besonders. Es ist der Klang westlicher Instrumente, variiert mit jahrhundertealten afrikanischen Musikrichtungen. „Wir sind schwarz, stolz und schön: In dieses neue Bewusstsein hat sich die Musik als eine politische Revolte entwickelt. Sie markiert die Identität dieser Generation", sagt Ben Redjeb. Auf unterschiedliche Weise habe sich dahingehend die Musik in allen afrikanischen Ländern verändert „Vielerorts wurde der Klang mit den Jahren schneller und aggressiver und nach der Unabhängigkeit kamen Stimmfarben aus der Diaspora wie die von Otis Redding, Aretha Franklin oder James Brown dazu“, sagt Ben Redjeb. In manchen Ländern hat sich die Musik auch mit Klängen derehemaliger Sklavenstätten aus Kuba, von den Kapverden und der Dominikanischen Republik vermischt. „So hat die Musik von den Inseln quasi ihre Rückreise auf den Kontinent angetreten“. Diesem Stil widmete er das Analog-Africa-Album „Mambo Loco“.

Und weil es Ben Redjeb wichtig ist, dass die Hörer ein Gefühl für die Geschichte der Musik bekommen, legt er jedem Album legt er ein ausführliches Booklet über die Musiker und seine Recherchen bei. „Ich will die Leute genauso verliebt machen, wie ich es bin“, sagt er. Und diese Liebe kann man spüren.

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