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Kultur: Plaudermasche

Laurie Anderson liest in der Universität der Künste

Flackernde Kerzen, ein roter Ohrensessel, ein Tischchen mit Keyboard und Laptop. Die Wohnzimmeratmosphäre des Bühnenbilds in der Universität der Künste lässt wenig Raum für die Illusion, Laurie Andersons Soloperformance „Burning Leaves“ könnte ein Popkonzert werden. Mit ihrem Strubbelhaar wahrt sich die 61-Jährige eine Aura altersloser Androgynität. Dazu trägt sie demonstrativ bescheiden eine an Gefängniskleidung erinnernde Garderobe. Eingangs kratzt sie auf der elektrischen Violine abgehackte Einzeltöne, die im Sampler zu Notenclustern aufgefächert werden. Aber Musik spielt nur eine Nebenrolle, und selbst die ist verzichtbar: Die banalen Klangflächen, die sie mit ihrem Gerätepark erzeugt, erinnern an das Gewaber esoterischer Entspannungs-CDs.

Dabei wäre Laurie Andersons Sprechsingsang prägnant genug, um den Hörer durch ihre meist autobiografisch gefärbten Geschichten zu tragen. Mit sanft modulierender Stimme geleitet die Sängerin durch den Schatz ihrer Erinnerungen. Sie erzählt vom Selbstfindungstrip in kanadischer Waldeinsamkeit; von desillusionierenden Begegnungen mit amerikanischen Ureinwohnern; vom Badeunfall, der sie als 12-Jährige ans Gipsbett fesselt, wo sie das Vorlesen von Kinderbüchern als Folter empfand.

All dies ist kunstvoll geschrieben und erst recht gelesen, gern in allegorischer Verdichtung. Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass die launische Darbietung einer lockeren Anekdotensammlung dem Ruf einer Künstlerin nicht gerecht wird, die 1981 mit dem achtminütigen Lautgedicht „O Superman“ einen der ungewöhnlichsten Single-Hits der Popgeschichte hatte und wie kaum eine andere die kulturelle Elite der Weltmetropole New York repräsentiert. Etwas mehr Formstrenge hätte den Texten gut getan, zumal sich Anderson an einigen Stellen metaphorisch verhebt. So kippt die spannende Geschichte von ihrem Terrier, der bei einer Bergwanderung beinahe Opfer einer Geierattacke wird und danach seine gattungstypische Wachsamkeit in den Luftraum ausweitet, in eine gezwungene 9/11-Analogie.

Nur zweimal erhebt Laurie Anderson ihre spröde Stimme zum Gesang, wobei besonders die auf Deutsch vorgetragene Moritat von „Hansel und Gretel“ erheitert: Die leben in Berlin. Nach anderthalb Stunden endet der Auftritt, der die große Laurie Anderson für einen Abend auf das sympathische, aber auch sehr menschliche Maß einer eloquenten Plaudertasche zurechtstutzt. Jörg Wunder

Jörg W, er

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