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Kultur: Plötzlich begehrt

Ein schlichtes Gebäude an der Kochstraße wird zur neuen Adresse für Galerien und Projekträume

„Muschi!“ ruft der junge Türke, schaut erst nur durch das Fenster auf die Video-Installation und kommt nach kurzem Zögern doch herein. Was das bitteschön für eine Körperöffnung sei, die da feucht und rosig auf dem Bildschirm schimmert?

Es ist der Schlund von Valie Export. Die Wiener Künstlerin hat sich für ihre Arbeit „Glottis“ tief in den Hals blicken lassen und jenen Ort lokalisiert, wo der Körper zur Sprache findet. Eine winzige Stelle mit weitreichenden Konsequenzen für die Kommunikation – und vielleicht ist diese Ausstellung, mit der die Medien- und Performancekünstlerin die neuen Räume von Charim Ungar Contemporary (CUC) in Berlin eröffnet, auch ein Sinnbild für die Genese und Bedürfnisse einer Adresse. Denn das unspektakuläre Gebäude zwischen Markgrafen- und Charlottenstraße, in dem sich derzeit rasend schnell Galerien ansiedeln, ist Anlaufstelle für viele Kulturen. Und das Sprechen über die Kunst, die hier neuerdings gezeigt wird, bestimmt nicht das schlechteste Instrument der Verständigung.

Noch teilen sich Discounter, bunt möbliertes Kleingewerbe und hartweiß gestrichene Schauräume den Komplex. Dass es dabei bleibt und kein Galeriemonolith entsteht, ist sehr zu wünschen. Vor allem für die Kunst, weil sie wie Exports Arbeiten in dieser Atmosphäre eine Kraft entwickelt, die man andernorts gar nicht mehr wahrnimmt. „Glottis“ in Venedig 2007 war eine Installation von vielen im hyperästhetischen Gefüge der Biennale. Jetzt fordert „Glottis“ die Passanten heraus und lässt einen ahnen, wie es war, als die Künstlerin in den sechziger Jahren ihren Freund Peter Weibel wie einen Hund an der Leine durch Wien führte oder sich beim Masturbieren unter der Dusche filmte. Damals ging es um die Visualisierung von Tabus. Um Erkenntnis durch Sichtbarmachen, was den Diskurs überhaupt erst ermöglicht. Zahmer ist Valie Export mit den Jahren nicht geworden, bloß subtiler. Gerade deshalb nimmt man aufmerksam wahr, dass gegenwärtig eine Kamerafahrt in den Hals genügt, um zu provozieren. Valie Exports frühe Arbeiten hängen auch deshalb nicht im Ladenlokal, sondern im Kabinett der Galerie.

„Sichtbar werden“ wollen Lisa Ungar aus München und die Wienerin Miryam Charim mit dem neuen, gemeinsamen Projektraum. An ihren Stammplätzen sind beide Galeristinnen seit langem präsent: Ungar vertritt seit 1998 Künstler wie Axel Hütte, Imi Knoebel, Thomas Locher und Markus Huemer, Charim hütet die Bestände des Wiener Aktionismus, hat Olga Neuwith oder Lisl Ponger im Programm und in den vergangenen Jahren wichtige Installationen von Valie Export an internationale Museen vermittelt. Ein Programm, das gut zur rauen Gegend passt – auch wenn der vom Architekturbüro Kühn Malvezzi umgestaltete Raum im Dunkeln wie ein weißes Kleinod aus dem flachen Gebäude leuchtet.

Bald wird aus dieser Perle ein ganzes Band. Satte 800 Quadratmeter Ausstellungsfläche hat sich rechts nebenan die Galerie Carlier und Gebauer gesichert, die ihre S-Bahnbögen an der Jannowitzbrücke aufgibt und so demonstriert, wie vergänglich die Attraktivität von Galeriestandorten ist. Links von CUC stehen seit wenigen Tagen die „Zweiträume“ von Barbara Thumm offen: Die Berliner Galeristin eröffnet ihre schöne, fensterlose Box mit Arbeiten von Bigert & Bergström zum Thema Wetter.

So vollendet sich langsam, was Aurel Scheibler und die Galerie September im Herbst 2007 mit gutem Gespür begonnen haben. Ein Haus wird neu gesehen, umgenutzt und verändert sein Gesicht: Zur gemeinsamen Eröffnung Mittwochabend war es rappelvoll, es kamen Sammler, Kuratoren und andere Galeristen, denen diese Adresse entgangen ist. Für alle aber, die jetzt dort sind, ist es hoffentlich ein Glück.

Charim Ungar Contemporary, Markgrafenstraße 68; bis 26. April., Dienstag bis Samstag von 11–18 Uhr.

Barbara Thumm, Markgrafenstraße 68; bis 19. April, Dienstag bis Samstag von 11–18 Uhr.

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