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Erste Diskussionsveranstaltung zur Aufarbeitung des Antisemitismus bei der Documenta.

© Swen Pförtner, dpa

Podiumsdiskussion nach Antisemitismusskandal auf Documenta: Zentralrat der Juden glaubt nicht an Dialog

Antisemitische Bildsprache auf der globalen Documenta fifteen: Wie konnte es dazu kommen? Die Documenta macht einen ersten Schritt zur Aufarbeitung.

Da war sie nun  also: die erste Diskussion zum Antisemitismusskandal der Documenta. Die Bildungsstätte Anne Frank und die Trägergemeinschaft documenta gGmbH hatten am Mittwochabend in Kassel zu einem Podium zum Thema „Antisemitismus in der Kunst“ eingeladen.

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Es ist vermutlich der Geduld und Vermittlungswillen von Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, zu verdanken, der in den letzten zehn Tagen, seit das Bild mit den antisemitischen Elementen ausgestellt worden war, unermüdlich Interviews gegeben, erklärt und eingeordnet hat. Stets um eine sachliche, unaufgeregte Debatte in diesem emotionalen Minenfeld bemüht. Nun sitzen mit ihm vier weitere Personen auf dem Podium.

Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals

Hortensia Völckers von der Kulturstiftung des Bundes war als eine der Geldgeberinnen für die Documenta eingeladen, als eine der politisch Verantwortlichen, Stellvertreterin einer Institution, die sich nun fragen muss, ob sie nicht genügend hingeschaut, ihre Kontrollfunktion fahrlässig aus der Hand gegeben hat. Dabei war auch Kurator Adam Szymczyk, der die Documenta 14 geleitet hat und einschätzen kann, ob man auch ihn hätte mehr kontrollieren sollen.

Nikita Dhawan, Professorin für politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Dresden, war als Vertreterin des postkolonialen Diskurses dabei, die den Antisemitismusverdacht, der auf ihrem Forschungsgebiet lastet, wegargumentieren muss.

Nicht zuletzt, Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland, der bundesweiten Interessenvertretung der jüdischen Gemeinden, die bei der ganzen Diskussion um die Documenta schon viel früher hätten ins Boot geholt werden wollen; und der auch an diesem Abend  nicht die Frage beantwortet bekommt, ob jüdisch-israelische Künstler bewusst von der Kassel Schau ausgeschlossen worden sind.

Gibt es ihn, den „Silence Boycott“, den stillen Boykott jüdischer Künstler, von dem auch Meron Mendel langsam glaubt, dass er in der internationalen Kunstszene existiert?

Ruangrupa signalisiert Dialogbereitschaft

Ruangrupa sitzt wieder nur im Publikum. Zumindest meldet sich deren Sprecher Ade Darmawan vor der Diskussion zu Wort, sagt, was das indonesische Kuratorenteam schon so oft gesagt hat: „Wir sind hier, um zu lernen, um zuzuhören. Wir sind da!“ Soll heißen, niemand drückt sich hier vor der Verantwortung. Soll vielleicht aber auch heißen: Wir können diese Debatte in Deutschland nicht führen. Aber Antisemitismus ist das ja eben nicht: eine deutsche Debatte.

Doron Kiesel vom Zentralrat der Juden sprach am Mittwochabend von einer Erschütterung des Vertrauens in die Fähigkeit der Gesellschaft und „bestimmter Kreise auch der Verantwortlichen“, mit der eigenen Geschichte umzugehen. Jeder, der in Deutschland lebe oder auftrete, habe sich mit ihr auseinanderzusetzen. Die „Wächterfunktion“ habe der Zentralrat der Juden eigentlich längst abgeben wollen, aber man musste feststellen, dass gerade in den aufgeklärten Kontexten der Künstler und postkolonialen Denker die Relevanz des Themas Antisemitismus keinerlei Resonanz zeigt.

„Kommunikation kommt an ihre Grenzen, wenn antisemitische Tradierungen weitergegeben werden“

„Es geht nicht um die Befindlichkeit von uns Juden. Es geht um das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft in ihrer Entwicklung, um ihre Werte, ihre Rechte, ihre Orientierung“, sagt Doron Kiesel am Mittwochabend. Es geht um Zukunftsfähigkeit, wenn die Opfer und Täter zunehmend nicht mehr unter uns leben.“

Das ausgestellte Bild habe bei den Juden tiefe Irritationen ausgelöst. „Antisemitismus ist nicht alleine im Kontext einer bestimmten nationalen, kulturellen, religiösen Behausung anzufinden.“ Das Bild mit den antisemitischen Inhalten, das bei der Documenta gezeigt wurde, sei „universell“.

„Auf einmal erscheinen hier Bilder, über die sich Adolf Eichmann und Goebbels gefreut hätten (...) Und es bleibt folgenlos“, so Kiesel. „Ich glaube nicht, dass ein Dialog, ein Gespräch hier noch notwendig ist“, so Kiesels Fazit.

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Adam Szymczyk plädiert hingegen für Dialog und Vertrauen ineinander. „Es hilft nichts, wenn wir unterschiedliche Erinnerungen gegeneinanderstellen“, sagt er. Die Documenta sei der Ort, an dem eine andere Debatte über Erinnerung beginnen könne.

Meron Mendel schlägt vor, wenn palästinensische Künstler bei einer Schau wie der Documenta eingeladen sind, auch jüdisch-israelische Perspektiven danebenzustellen.

Nikita Dhawan sagt auf die Frage, ob der postkoloniale Diskurs israelfeindlich sei, man müsse die Vergangenheit aufarbeiten, um zukunftsfähig zu sein. Das beste Mittel gegen die Hassrede, sei – frei nach Kant – die Gegenrede. Zensur und Regulierung seien „Faulheitspolitik“. Dhawan spricht sich dafür aus, „multidirektionale, kritische Perspektiven“ einzunehmen, Antisemitismus und Rassismus nicht zu spalten. Berichtet von einer „Geschichte der Allianzen", die es nicht nur zwischen jüdischen und schwarzen Jazz-Musikern gegeben habe.

Völckers: „Ich hätte das auch nicht bemerkt“

Und Hortensia Völckers möchte aus dem „Modus der Anschuldigungen in einen Heilungsprozess“ übergehen, ist überzeugt, dass die Autonomie der Kunstschaffenden, der Institutionen, auch bei öffentlich finanzierten Veranstaltung wie der Documenta, geschützte werden muss. „Uns wurde damals gesagt, der Aufsichtsrat wird reformiert“, sagte Völckers. „Das ist bis heute nicht geschehen.“

Diese Debatte sei allerdings ein Scheingefecht. „Es ist immer leicht zu sagen, wären wir im Aufsichtsrat gewesen, wäre das nicht passiert. Ich hätte das auch nicht bemerkt. Ich hätte mich auch nicht jeden Tag hier rumgetummelt“, räumte sie ein. Die Bundeskulturstiftung hatte sich 2018 aus dem Aufsichtsrat der Documenta zurückgezogen, fördert die Schau aber weiterhin mit 3,5 Millionen Euro.

Oberbürgermeister Geselle droht mit Alleingang der Stadt Kassel

Die Veranstaltung sollte der Auftakt der öffentlichen Debatte über den Skandal sein, der die Documenta fifteen überschattet. Ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi war nur wenige Tage nach dem Start der Schau abgebaut worden. Schon seit Januar hatte es Antisemitismus-Vorwürfe gegen Ruangrupa gegeben.

Hessens Kunstministerin Angela Dorn betonte in ihrem Grußwort am Mittwoch, das Podium könne nur der erste Schritt in der Aufarbeitung des Eklats sein. Die Grünen-Politikerin bekräftigte erneut die Notwendigkeit einer strukturellen Reform der documenta, wie sie Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) gefordert hatte.

Träger der Ausstellung ist eine gemeinnützige Gesellschaft, im Aufsichtsrat sitzen Vertreter von Land und Stadt. Dem Aufsichtsrat sitzt Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) vor, seine Stellvertreterin ist Angela Dorn. Darunter rangieren die Geschäftsführung mit Generaldirektorin Sabine Schormann und die künstlerische Leitung. Roth will als Konsequenz aus den Vorkommnissen mehr Einfluss der Bundesregierung. Sie droht, andernfalls den Geldhahn zuzudrehen.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Documenta, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), lehnt Roths Forderungen vehement ab. Er drohte einen Alleingang der Stadt Kassel als Gesellschafterin an. Der Stadt sei es finanziell und auch ideell möglich, die Verantwortung für die Documenta ohne Beteiligung Berlins zu tragen, hieß es in einem Brief an Roth, der der dpa vorliegt. (mit dpa)

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