zum Hauptinhalt

Kultur: Poesie und Frauen

Etwas müde wirkt er, der kleine Mann mit dem silbrigen Bart, der im dunklen Anzug auf dem Podium im Maison de France sitzt und aus seinem Leben erzählt: der 1926 in Jacmel, Haiti, geborene Schriftsteller René Depestre.Er spricht von sich selbst, als sei er ein anderer, und für all seine Begegnungen mit den "großen Männern" dieses Jahrhunderts, ob Künstler oder Politiker, hat er längst die repräsentable Form der Anekdote gefunden.

Etwas müde wirkt er, der kleine Mann mit dem silbrigen Bart, der im dunklen Anzug auf dem Podium im Maison de France sitzt und aus seinem Leben erzählt: der 1926 in Jacmel, Haiti, geborene Schriftsteller René Depestre.Er spricht von sich selbst, als sei er ein anderer, und für all seine Begegnungen mit den "großen Männern" dieses Jahrhunderts, ob Künstler oder Politiker, hat er längst die repräsentable Form der Anekdote gefunden.Er hat die Führer der kommunistischen Bewegungen persönlich gekannt, Che Guevara, Fidel Castro, Chruschtschow, Ulbricht, Mao.Revolutionen haben ihn fasziniert, doch die Poesie und die Frauen hatten ihn davor bewahrt, den Irrwegen des Dogmatismus zu folgen.Sagt er und lacht "nicht wahr!".Mit neunzehn Jahren veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband, "Etincelles" (Funken), der ihn auf Haiti über Nacht bekannt machte.Er gab mit einigen Studenten zusammen die Zeitschrift "La Ruhe" heraus, und als darin eine Hommage an den Surrealisten André Breton erschien, der gerade Gast der karibischen Insel war, entfesselte sie eine Revolte, die 1946 die Regierung stürzt.Auch das erzählt Depestre wie einen Witz der Geschichte; frisch und unfreiwillig an der Macht habe er ein eigenes Flugzeug bekommen, um die kranke Großmutter am anderen Ende Haitis zu besuchen.Bei dieser Gelegenheit habe er ein paar Reformen durchgeführt.Doch der nächste Präsident verbannte den Aufrührer, und ein langer Lebensweg durch diese Welt beginnt: Paris, Santiago de Chile, Sao Paulo, Kuba, Südfrankreich."Aber ich weigere mich, mich als Exilanten zu sehen.Meine Mutter sagte immer: du mußt zwei Eisen im Feuer haben.Ich habe viele Wurzeln und verstehe nicht, weshalb man mich bedauert."

Dennoch: Haiti, das Land seiner Kindheit und Jugend, spielt in seinen etwa zwanzig Gedichtbänden und Romanen die zentrale Rolle: die "Sensibilität eines Volkes, das in der Sklaverei die eigene Wahrnehmungsfähigkeit erweitert und gesteigert hat." Die Verbindung von Voodoo und Katholizismus, Terror und intensiver Erotik habe aus den Haitianern "Surrealisten par excellence" gemacht und in der Literatur geprägt, was Alejo Carpentier als das "wunderbar Wirkliche" bezeichnete.Die Gedichte, von denen Depestre an diesem Abend leider zu wenige vorliest, zeigen vor allem diese verlorene und in der Sprache aufgehobene haitianische Welt.Da sind die Trommeln, in denen die Geister von Verstorbenen hausen und sich gegen die Gewalttätigkeit der Kolonialisierung wehren; da wird die Singer-Nähmaschine "dieser Hausgott der Dritten Welt" besungen, in einer markanten Mischung aus politischem Bewußtsein und naiv anmutender Imagination.

Die literarische Verarbeitung von Depestres langen Jahren in Kuba, in dem er fast eine Art Aushängeschild der Regierung war, bevor er sich von ihr distanzierte, kamen nicht zu Gehör; sie finden sich indirekt in der Erzählung "Der Schlaraffenbaum" (1982)."Ich werde davon in meinen kommenden fünf, sechs Büchern sprechen, nicht wahr, bevor ich ganz aus dieser Welt verschwinde", sagte René Depestre, der hier in Berlin von Hans Christoph Buch vorgestellt wurde, und lachte noch einmal: "Vor der letzten Grenze, die ich als Bürger dieser Erde zu passieren habe, zeigt sich vieles in anderem Licht."

René Depestre: Hadriana in all meinen Träumen (aus dem Französischen v.Rudolf von Bittner), Nachwort Hans Christoph Buch.Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M.1997.

TANJA LANGER

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false