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Kleines Glück. Junge Syrerinnen aus Houla bei Homs mit gespendeten Matratzen Anfang Juni. Foto: Reuters

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Poesiefestival: Was im Heft der Niederlagen steht

Syrische Dichter und Aktivisten erinnern in Berlin an die Lyrikerikone Nizar Qabbani, kommentieren die politische Lage aber nur in Andeutungen

Eine bitterböse Abrechnung mit der Mentalität der Zeit begründete seinen Ruhm als populärster Dichter der arabischen Welt. Als Nizar Qabbani 1954 sein Gedicht „Brot, Haschisch und Mond“ veröffentlichte, war er im diplomatischen Dienst der syrischen Botschaft in London. Den Arabern, schrieb der 1923 in Damaskus Geborene darin, sei ihr Stolz abhandengekommen. Träge, faul und schwach würden sie sich ihrem Schicksal ergeben, anstatt es in die Hand zu nehmen. Ein „Orient, der die Geschichte ewig wiederkäut“ streife „all seine Würde und Lebenskraft ab“. In Fatalismus, Armut und Unwissenheit gefangen, flüchteten sich die Araber, so Qabbani, in Drogenrausch und Tagträume.

Seine Kritik erregte heftige Reaktionen. Im syrischen Parlament wurde darüber debattiert, ob Qabbani zu entlassen sei. Am Ende durfte er bleiben. 1966 aber quittierte er den diplomatischen Dienst, um sich ganz der Dichtung zu widmen, zunächst in Beirut, wo er einen Verlag gründete, dann in der Schweiz und schließlich in London, wo er 1998 starb.

Nach der Niederlage der arabischen Staaten gegen Israel 1967, als mit dem militärischen Totalausfall auch der vom ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser verkörperte arabische Nationalismus gründlich diskreditiert war, war es wiederum Nizar Qabbani, der mit seinen „Randbemerkungen im Heft der Niederlage“ die Schwäche der Araber hinter ihrer bombastischen Rhetorik entlarvte. Ein völlig an der Wirklichkeit vorbeigehendes Selbstbild attestierte Qabbani insbesondere den arabischen Führern.

Dabei sprach eher enttäuschte Liebe aus seinen Zeilen als Fundamentalopposition, noch 1995 bekannte sich Qabbani zum Nasserismus. Von der Bedeutung Qabbanis in der arabischen Welt macht man sich ein falsches Bild, wenn man sie mit den Maßstäben des hiesigen Literaturbetriebs, zumal der bescheidenen Rolle zeitgenössischer Dichtung, misst. Seine Lesungen waren kulturelle Großereignisse. In Tunis etwa las er 1995 vor 20 000 Menschen. Die Vertonungen seiner Gedichte sind bis heute in den Taxis und Caféhäusern von Kairo und Damaskus zu hören.

Es war ein geschickter dramaturgischer Kniff, dass sich der „Thementag Syrien“ im Rahmen des Berliner Poesiefestivals Qabbani als Pate auserkor und die Veranstaltungsreihe mit einem Poesiegespräch über dessen „Brot, Haschisch und Mond“ begann. So konnte an die große Tradition erinnert werden, die die literarische Selbstkritik in Syrien hat, und der Bezug zur aktuellen Lage ließ sich herstellen, ohne dass man an die Chronik der laufenden Ereignisse gefesselt war.

Man hätte also an der Akademie der Künste viel zu diskutieren gehabt über die subversiven Möglichkeiten der Literatur, über die Macht der Worte, über die Gefahren ideologischer Verblendung und die daraus erwachsene Verantwortung der Intellektuellen und der Dichter. Die Veranstaltung, die spürbar unter der Absageflut der letzten Tage litt (mehrere der ursprünglich eingeladenen Dichter wollten oder konnten aufgrund fehlender Papiere nicht teilnehmen wie der nach Paris geflüchtete Omar Soliman), stand aber ganz im Zeichen der persönlichen Erschütterung der Teilnehmer angesichts der in Syrien eskalierenden Gewalt. So wirkte die Qabbani-Interpretation des im britischen Exil lebenden Dichters Nouri Jarah fahrig und blutleer, und der im französischen Exil lebende Literaturkritiker Subhi Hadidi flüchtete sich in ein braves Referat über die syrische Literaturgeschichte. Ein „Poesiegespräch“ wollte sich nicht entfalten, die Chance auf tiefere Einsichten jenseits der tagespolitischen Ereignisse war vertan.

Eine anschließende Podiumsdiskussion, die sich dem Programm zufolge mit dem Thema „Syrien zwischen Demokratisierungsprozess und Machtkämpfen“ befassen sollte, läpperte in erschreckender Harmlosigkeit vor sich hin. Dem sichtlich übermüdeten Moderator Aktham Suliman gelang es zu keiner Zeit, die Runde für das Thema zu interessieren. Dabei hätte es einiges zu besprechen gegeben, etwa die hinter den Kulissen heiß diskutierte Absage Adonis’, des größten lebenden Dichters Syriens, an die syrische Oppositionsbewegung. Adonis, der seit Jahren als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wird, fürchtet als kompromissloser Laizist, dass das aktuelle Regime durch ein islamistisches ersetzt werden könnte und das Land so vom Regen in die Traufe komme.

Seine anfängliche Begeisterung für den arabischen Frühling ist einer tiefen Resignation gewichen, die arabische Welt sei verloren, resümierte er unlängst. Diskutieren mag man das auf offener Bühne nicht. Adonis sei ein großer Dichter und man müsse Verständnis für seine Beweggründe aufbringen, auch wenn er persönlich anderer Meinung sei, fällt Jarah dazu ein. Mehr als lauwarme Sympathiebekundungen und ein paar unverfängliche Worthülsen politisch korrekter Gewaltverurteilung sind an diesem Abend nicht zu bekommen.

Die aus der ohnmächtigen Ratlosigkeit resultierende verdruckste Zurückhaltung mag man angesichts der undurchschaubaren Gemengelage in Syrien mit einigem guten Willen für redlich halten. Gerade aber der von den Veranstaltern selbst nahegelegte Vergleich mit dem schonungslosen Furor Qabbanis offenbarte, welcher Abgrund zwischen ihm und seinen heutigen Kollegen klafft. Jahrzehnte der Diktatur und des Exils haben, so legt es der Abend nahe, die syrischen Intellektuellen zerrieben. So wurde der Thementag zu einer in jeder Hinsicht traurigen Veranstaltung.

Eine Auswahl von Qabbanis Gedichten ist in der deutschen Übersetzung von Alya Krupp-al-Shamma bei Books on Demand in Norderstedt 2004 unter dem Titel „Nach Deinen Augen gehen die Uhren der Welt“ erschienen. Die Website www.nizarq.com bietet sowohl auf Englisch wie Arabisch reichhaltiges Material zu Leben und Werk – unter anderem mit Videorezitationen.

Andreas Pflitsch

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