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Kultur: Poetisch. Monarchisch. Ideal.

Wo Ludwig II. von Versailles und Wagner träumte: Die Herrenchiemsee-Festspiele locken mit „Künstlichen Paradiesen“

Sein Haupt ruht auf einem Steinsockel, die schwarzen Locken glänzen, der Blick ist mit zarter Wehmut an die Weite geheftet. Ludwig II. blickt übers Wasser und schaut auf seinen unvollendeten Traum, das Königsschloss Herrenchiemsee. Ein Versailles unterm weiß-blauen Himmel sollte es werden, Abbild der „ideal-monarchisch-poetischen Höhe und Einsamkeit“, die der Kini zwischen sich und der Welt zu errichten hoffte. Als er 1886 ertrank, fehlten noch sechs Baujahre bis zur Fertigstellung. Gleichwohl schlägt seine Spiegelgalerie das Versailler Vorbild noch um volle acht Meter Länge. Hier, zwischen Lüstern und Kandelabern, vibrierenden Kristallen und goldenem Abendlicht, strebt die Musik in die schier unermessliche Tiefe des Raumes, bis in den letzten Winkel getragen von einer märchenhaften Akustik.

Seit 2000 ist die Große Spiegelgalerie Herberge der Herrenchiemsee-Festspiele. Der Dirigent Enoch zu Guttenberg will sein Festival neben den Opernfestspielen in München und der Wagner-Kultstätte Bayreuth als wichtigstes Kulturereignis im sommerlichen Freistaat etablieren. Dabei schwebt dem Baron, wie sie ihn nennen, eine Art geistiges Glyndebourne vor. In der Tat löst allein die Anreise sanft die Bande mit dem geschäftigen Treiben der Welt. In der Ferne blauen die Berge, und dann geht es zu Fuß vorbei am ehemaligen Klosterhof der Insel hinauf zur Anhöhe des Schlosses. Wasserspiele rauschen auf, in der Ferne einer lang gestreckten Blickachse funkelt das bayerische Meer. Blau-weiß livrierte Menschen weisen mit gleißenden Handschuhen den Weg. „Ach wie nichtig ist diese Welt! – Wie elend, wie gemein so viele Menschen! Ihr Leben dreht sich im engen Kreis der flachen Alltäglichkeiten“, seufzte einst der 20-jährige Regent. „Ach, hätte ich diese Welt schon hinter mir!“ Nichts leichter als das, lieber Ludwig.

Enoch zu Guttenberg und sein Dramaturg Klaus Jörg Schönmetzler wissen um das Weltfluchtpotenzial von Herrenchiemsee. Sie wollen kein Festival für Schönheitstrunkene oder Hobbymonarchisten ausrichten, und so begreifen sie die Nähe zu Ludwig II. als Chiffre für Widerspruch und Spannung. Und wenn man dem Paradies so nah scheint wie am sonnengefluteten Chiemsee, dann ist es nur klug, eine Saison um die „künstlichen Paradiese“ kreisen zu lassen und ganz bewusst in die Traumlandschaften der Musik einzutauchen.

Den Auftakt bestreitet Ludwigs Held Richard Wagner mit einem effektvoll gegeneinander geschnittenen Abend aus „Tannhäuser“ und „Parsifal“. Die Spiegelgalerie verwandelt sich bald in den Schauplatz des orgiastischen Venusberg-Treibens, bald in die Kultstätte des Karfreitagszaubers – und bleibt immer ein Raum, in dem man nach Erlösung dürstet. Der kurzfristig eingesprungene Sebastian Weigle führt das Münchner Rundfunkorchester ortskundig, aber etwas zu ebenerdig durch das Terrain. Christopher Ventris wird man als fluchtbereiten Tannhäuser wohl noch auf der benachbarten Fraueninsel gehört haben, während Lioba Braun eine bewegende Venus und Kundry gelingt. Voll dampfender Diesseitigkeit nähert sich der zweite Festivaltag „Tristan und Isolde“, „Don Juan“ und der „Symphonie fantastique“. Ob Weltflucht, Lustermattung oder Opiumrausch – der Augsburger GMD Rudolf Piehlmayer steuert die temperamentvolle Sinfonia Varsovia hochtourig durch einen ganzen Parcours künstlicher Paradiese. Am Abend darauf entschleunigt dann Thomas Hampson die wunde Welt mit Mahler-Liedern und amerikanischen Songs des 20. Jahrhunderts. Das vermeintlich Naive leuchtet auf im Mondenschein, die Fledermäuse jagen lautlos über den Brunnen.

Auf der Rangliste der schönsten Pausenzeichen belegt das Herrenchiemsee- Festival einen herausragenden zweiten Platz: Vier Alphörner marschieren zwischen den Wasserspielen auf, und ihr Klang kommt langsam näher, wandert die Stufen zum Schloss empor, um schließlich sonor durch das Treppenhaus zu schweben. Das wird nur noch von den Bayreuther Festspiel-Hornisten übertroffen. Die nächsten Herrenchiemsee-Festspiele übrigens stehen im Mozart-Jahr natürlich ganz im Zeichen von Amadeus, nicht ohne in Schostakowitsch einen spannungsreichen Gegenpart zu finden. Das ist man sich schuldig auf diesem Eiland der Seligen, geistig Regen.

Informationen unter www.herrenchiemsee-festspiele.de. Die Aufzeichnung eines Konzerts der Münchner Philharmoniker unter Christian Thielemann aus Herrenchiemsee sendet das ZDF am 4. September.

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