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Kurt Beck

© dpa

Polit-Karrieren: Unter Beckmessern

Von wegen Makel: Wer aus der Provinz kommt, bringt es meist sehr weit in der Politik.

Die Provinz: schwermütig und schwerfällig, der Blick vom Bollenhut verstellt, der Geist im Weingeist ersoffen. Alles schwitzt und schwiemelt in ungelüfteter Enge, und auf den Tischen dampft es, dass die Schwarte kracht. Die Provinz. Das Grauen. Man weiß Bescheid.

Doch jetzt hat die Provinz auf einmal Zuspruch erhalten. Erbarmen! hat der „Stern“ gerufen. Was für eine hauptstädtische Arroganz spiele sich da auf in diesen scheelen Blicken aufs angeblich Provinzielle: „Haben Politiker aus der ,Provinz’ noch eine Chance in Zeiten der Globalisierung, die eleganten und eloquenten Darstellern die Bühne bereitet?“ Natürlich geht es dabei um Kurt Beck, der in der Pfalz ein Königreich besitzt und sich in Berlin höchstens wie ein Bettler vorkommt. Ein Provinzpolitiker schlechthin, heißt es, breit und bräsig, Weinfest-selig, schunkeldick und unrasiert. Kein Platz für so einen auf dem glatten Berliner Parkett der Geschliffenheiten. Armer Kurt Beck.

Dummerweise ist das alles gar nicht wahr. Im Gegenteil, deutsche Politik war und ist nichts anderes als eine allererste Adresse für Notizen aus der Provinz. Es ist ja keineswegs richtig, dass hierzulande die Stromlinie dominierte, Politik von der Stange, die ihre Herkunft nicht verriete, keim- und kantenfrei. Nein, niemals waren es Männer/Frauen ohne landsmannschaftliche Eigenschaften, die das Land regierten. Von den acht Bundeskanzlern war es einzig und allein Gerhard Schröder, der Hochdeutsch sprechen konnte; selbst der Sprachmächtigste von allen, Helmut Schmidt, verleugnete seine Hamburger Abstammung nicht. Und der Allererste von ihnen, Konrad Adenauer, war ein ganz und gar rheinisches Gewächs, kleinkariert wie sein Pepitahütchen, mit einem Wortschatz von höchstens ein paar hundert Vokabeln und einer sehr eigenen Annäherung an nicht deutsche Ausdrücke („die Soffjetunion“). Aber Provinzialität, nein, die hat man all denen nie nachgesagt.

Und was ist mit dem provinziellsten aller Kanzler, dem saumagengesättigten Inbegriff des Anti-Großstädtischen, Helmut Kohl? Da beginnt die Sache interessant zu werden. Bei keinem nämlich war der Provinzvorbehalt so ausgeprägt wie bei ihm. Ein Mann, der das „S“ lispelt, kein „Sch“ und „Ch“ aussprechen kann und dem die Stadtgrenzen von Oggersheim die Grenzen der Welt bedeuten. Wie sollte so einer jemals Deutschland repräsentieren können jenseits des Atlantik, jenseits des Pazifik? „König Birne“ war das gefundene Fressen der Kabarettisten, der Sprachimitatoren und Karikaturisten.

Der Spott währte Jahr um Jahr – und hörte plötzlich auf. Als sich nämlich herausstellte, dass dieser Mann ein ungeahntes Format hatte, mochte man von ihm politisch halten, was man wollte. Die provinzielle Herkunft spielte plötzlich keine Rolle mehr, und wer immer noch seine Kohl-Späße über Leberwurst und Leberknödel machte, musste plötzlich bemerken, dass keiner mehr wirklich darüber lachte. Zu lernen war: Format schlägt Provinzialität.

So war es auch bei Franz-Josef Strauß, dem Urbild des derben Bajuwaren, dem Klischee des hemdsärmeligen Haudraufs, der selbst dann, wenn er Englisch oder Lateinisch sprach, im Grunde nur sein bayerisches Idiom im Mund zermahlte. Alles, wirklich alles ist ihm in seiner Politikkarriere vorgeworfen worden und das meiste zu Recht, aber niemals seine Provinzialität. Während – auf der anderen Seite – sein Nachfolger Edmund Stoiber sich des Provinzialismus-Verdachts nie ganz erwehren konnte, weil er – äh, äh, äh – über ein gewisses Kleinformat nie hinauskam.

Und die Kanzlerin von heute? Auch Angela Merkel galt lange als Ausbund des Provinziellen, Heimatstadt Templin, gott- und menschenverlassene Uckermark. Sie vereinigte alle Ingredienzien des Provinziellen aufs Wunderbarste in sich: das Verhuscht-Verklemmte, Ignoranz gegenüber Kleidung und Frisur, Lispelei und Besserwisserei. Aber wer würde heute noch davon sprechen wollen? Je mehr sie an politischem Format gewann, um so weniger interessierte ihre Herkunft. Man bemerkt das Unzulängliche – und es ist egal.

Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Wer störte sich je daran, dass Lothar Späth alles konnte außer Hochdeutsch? Wer wollte Klaus Wowereit Tempelhofer Beschränktheit vorwerfen oder Franz Müntefering die sauerländische? Provinz, so scheint es, hat Politikerkarrieren noch nie behindert.

Übrigens nicht nur in Deutschland. In den USA ist die Herkunft aus der Provinz offenbar geradezu ein Gütesiegel für Präsidenten. Die Bushs, Vater und Sohn, kommen aus Texas, Bill Clinton ist aus Arkansas, McCain aus Arizona. Hingegen hat es die großstädtische New Yorker Senatorin Hillary Clinton ebenso wenig zu höchsten Würden gebracht wie der Hauptstädter Al Gore.

Vielleicht zeigt das alles, dass die Abstammung aus der Provinz oder eine besondere Bindung zu ihr oftmals sogar einen gewissen Bonus bergen: das Zutrauen ins Verwurzeltsein einer Person, die Hoffnung, dass sie – so geerdet – nicht gleich den Boden unter den Füßen verlieren werde; dass sie die Sorgen und Nöte der kleinen Leute nicht vergessen werde, wenn sie einmal bei den großen Leuten angekommen ist; die Beruhigung, dass sie immer noch in jener Sprache redet, die man selber spricht. Bodenständigkeit eben, Ehrlichkeit, Gradlinigkeit.

Kurt Beck muss sich deshalb keine Sorgen machen, er könnte an seiner Herkunft scheitern – der ehrliche Pfälzer gegen die kosmopolitisch-gemeinen Berliner. Nicht nur deshalb, weil es in seiner Feindesstadt mit dem Kosmopolitischen nun doch nicht so weit her ist. Sondern weil das Provinzielle gar nicht schadet. Aufs Format kommt es an.

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