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Kultur: Politik, Proteste, Persönlichkeiten Zeichen der Freundschaft

Von der Achtundsechziger-Hochburg zum exzellenten Studienumfeld Das John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität feiert 50-jähriges Bestehen.

Als John F. Kennedy im Sommer 1963 mit seiner Delegation nach Berlin reist, hat er ein besonderes Geschenk im Gepäck: Zwei Diaprojektoren, 2500 Dias und ein dazugehöriges Buch über US-amerikanische Kunst vermacht er dem frisch gegründeten Amerika-Institut der Freien Universität. Noch heute ist dieser ideelle Grundstein im Bibliotheksbestand des Instituts zu finden – nur die Diaprojektoren haben ausgedient. Wenige Monate nach seinem Besuch setzt die Freie Universität dem damaligen US-Präsidenten posthum ein Denkmal: Am 25. November 1963, nur drei Tage sind seit dem Attentat in Dallas vergangen, wird das Amerika-Institut in John-F.-Kennedy-Institut (JFKI) umbenannt. Nachdem Kennedy gerade im Juni die Ehrenbürgerwürde der Freien Universität erhalten hatte und von Lehrenden wie Studierenden nach seiner Ansprache vor dem Henry-Ford-Bau umjubelt worden war, ist die Anteilnahme enorm. Sein Tod überschattet den Beginn des Wintersemesters 1963: Der damalige Rektor Herbert Lüers schreibt anlässlich der „feierlichen Immatrikulation“ einen Rundbrief im Zeichen der Geschehnisse und bringt dabei einen tiefen persönlichen Verlust zum Ausdruck. Die Ansprache des US-Präsidenten, die er bei seinem Besuch im Juni hielt, erhebt Lüers im Nachhinein zum Vermächtnis Kennedys für die Freie Universität.

Enge Bande prägen das damalige Verhältnis zu Nordamerika: Schon in den 1950er Jahren etabliert die Freie Universität erste Partnerschaften mit renommierten US-Hochschulen wie Stanford, Princeton und Columbia; Pläne für ein Amerika-Institut werden schon damals gehegt. Dessen Gründung ermöglicht schließlich die Henry-Ford-Stiftung: Sie stellt rund eine Million Dollar bereit, unter anderem für den Aufbau der Bibliothek. Auch Institutsgründer Ernst Fraenkel ist den Amerikanern verbunden und gibt damit die Richtung vor: Als Jude gelang es ihm, noch kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die USA zu fliehen – und er kehrte als einer der wenigen Wissenschaftler in den 1950er Jahren nach Deutschland zurück. Mit Arbeiten über das US-amerikanische Regierungssystem und Demokratietheorien gilt er als eine der Leitfiguren der deutschen Politikwissenschaft der damaligen Zeit.

Am Anfang des Instituts steht seine Vision: „Er wollte in der Nachkriegsgeneration den Demokratiegedanken säen“, sagt Heinz Ickstadt, der sich 1957 als Student noch am Englisch-Amerikanischen Seminar einschreibt und 1963 die Institutsgründung unter Fraenkel miterlebt. Rund 20 Jahre sollte er dort später selbst als Professor für Literatur tätig sein. Wie bei vielen Ehemaligen ist seine Erinnerung geprägt durch die turbulenten Zeiten des JFKI. Wer ihre Erzählungen hört, blickt mit anderen Augen auf das Gebäude an der Dahlemer Lansstraße.

50 Jahre nach seiner Gründung wirkt es von außen unauffällig und ruhig, vor dem Eingang sitzen Studierende in Grüppchen zusammen. Hier wird Nordamerika aus ganz unterschiedlichen Perspektiven studiert und erforscht: aus den Blickwinkeln der Disziplinen Geschichte, Kultur, Literatur, Politik, Soziologie und Wirtschaft. Nur ein Haus weiter hat seit 2006 die Graduiertenschule für Nordamerikastudien ihren Sitz, die in der Exzellenzinitiative zweimal in Folge ausgezeichnet wurde und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Mehr als ein Drittel der Doktoranden stammt aus dem Ausland. Gerade für Studierende aus den USA ist das Institut heute „die Anlaufstelle“, wie der heutige Institutsleiter und Wirtschaftsprofessor Irwin Collier sagt.

Überwunden sind die Schwierigkeiten des Anfangs, die auch strukturelle Ursachen hatten: Während sich Studierende heute direkt am Institut für das Fach Nordamerikastudien einschreiben, belegten sie die Seminare dort ursprünglich als Teil anderer Studiengänge. Das konnte etwa dazu führen, dass Prüfungsleistungen nicht anerkannt wurden, weil Inhalte nicht deckungsgleich waren. „Beispielsweise konnte man Geschichtsstudenten schlecht über das Mittelalter prüfen, wenn das Fach am JFKI ,Mittlere und Neuere Geschichte‘ hieß“, sagt Carl-Ludwig-Holtfrerich, der 1983 seine Professur für Wirtschaftswissenschaft am JFKI und am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft antritt. Lehrende wie Studierende seien zwischen Institut und ihren jeweiligen Fachbereichen hin- und hergerissen gewesen.

Hinzu kommt, dass die Weltpolitik das Geschehen in Dahlem nicht unberührt lässt. Nur wenige Jahre nach den Jubelszenen beim Kennedy-Besuch 1963 wendet sich das Blatt: Der Vietnamkrieg befeuert die antiamerikanische Haltung unter den Studierenden. Sie widmen sich nicht nur der Aufarbeitung der NS-Zeit, sondern entwickeln einen eigenen Blick auf die aktuellen Machtverhältnisse. Was 1965 am JFKI mit Streiks aufgrund von Lektürelisten beginnt, führt zur Forderung nach Hochschulreformen. Und spätestens mit dem Tod Benno Ohnesorgs im Juni 1967 hat die Studentenbewegung die Freie Universität im Griff. Für Institutsgründer Ernst Fraenkel ein tiefer Einschnitt: „Er verlangte Respekt als wissenschaftliche Autorität“, sagt Heinz Ickstadt, „die Studierenden aber lehnten die ältere Generation ab, deren Loyalität zu Amerika noch von Erinnerungen an die Luftbrücke während der Berlin-Blockade geprägt war.“ Fraenkel bleibt desillusioniert, ja verbittert zurück, wie sich die Ehemaligen erinnern. Nach seiner Emeritierung 1967 zieht er sich völlig vom Universitätsgeschehen zurück.

Noch in den 1980er Jahren herrscht dort Unruhe: So schrecken einige Studierende 1987 während des letzten großen Streiks nicht davor zurück, das JFKI über Weihnachten zu besetzen. „Ich habe noch versucht, die Türen abzuriegeln“, erzählt Knud Krakau, emeritierter Professor der Abteilung Geschichte. „Die Studenten saßen dann tagelang in der ,Cafete‘ im Keller und spielten das Strategiespiel ,Risiko‘.“ All dies geschieht während des Kalten Krieges und „unter dem interessierten wie argwöhnischen Blick der Amerikaner“, sagt Ickstadt. US-Gesandte befürchten eine kommunistische Unterwanderung des Instituts, auch der ein oder andere Professor habe womöglich als „zu weit links“ gegolten. Wegen andauernder Querelen steht das JFKI in diesen Jahren „auf der Kippe“, wie Knud Krakau sagt. Gleichzeitig hatten die Proteste auch positive Konsequenzen, etwa für die Lehre: Die von den Achtundsechzigern geforderte Interdisziplinarität ließ Ringvorlesungen und fachübergreifende Seminare zum Alltag werden, erinnert sich der Professor.

Die Geschehnisse wurden jahrelang auch seitens der DDR genau beobachtet: „Manchmal tauchten plötzlich Wissenschaftler aus Ost-Berlin auf, die für das Privileg von Westreisen mit Sicherheit Berichte über das JFKI abliefern mussten“, erzählt Carl-Ludwig Holtfrerich. „Ein Bibliothekar verschwand mit dem Mauerfall. Und ein Politologe, der in der Wendezeit ein erstes DFG-finanziertes Graduiertenkolleg am JFKI mitbetreute und ganz an das Institut hätte kommen sollen, wurde als Stasi-Spitzel enttarnt.“ Ruhe kehrt erst ein, nachdem die Mauer gefallen ist: Damals habe sich der Ruf des Instituts endlich stabilisiert, auch dank neuer Studienordnungen und engagierter Studierender aus dem Osten der Stadt, sagt Holtfrerich. Fast 500 Studierende zählt das JFKI heute. Die Bibliothek ist von anfänglich 150 000 auf 900 000 Medieneinheiten angewachsen und mit ihrem Angebot einzigartig in Europa. Vortragsreihen wie die „Ernst Fraenkel Distinguished Lecture Series“ mit renommierten Wissenschaftlern wie Paul Krugman, Noam Chomsky oder Frances Fox Piven ziehen seit 1987 die interessierte Öffentlichkeit an.

Die ehemaligen Institutsleiter Ickstadt, Holtfrerich und Krakau sind sich einig: Heute herrscht in der Lansstraße ein völlig neuer Geist, den sie auch ihren Nachfolgern verdanken. Heinz Ickstadt sieht das JFKI im Jahr 2013 in der „Hochphase seiner Reputation“. Das liege auch daran, dass die Wissenschaftler weltweit bestens mit Kollegen vernetzt sind, wie Irwin Collier betont. Von offizieller Seite pflegt die Freie Universität rund 40 Partnerschaften mit Hochschulen in Nordamerika. Bis zu drei Gastprofessoren lädt die Graduiertenschule jährlich ein, um Doktoranden einen Austausch mit namhaften Experten zu ermöglichen. Für Collier ist es ein bisschen, als sei Ernst Fraenkels Vision nach 50 Jahren endlich Realität geworden: „Der Kennedy-Spirit ist wohl ein Nachwendegewächs“, bilanziert er.

Gisela Gross

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