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Da laufen sie ja wieder, "die Menschen". Blick auf die Frankfurter Zeil nach der Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen.

© imago images/Ralph Peters

Politische Rhetorik: Wer bitte sind eigentlich "die Menschen"?

Der überhebliche Sprachgebrauch von Politikern muss sich dringend ändern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Im täglichen Sprachgebrauch hat sich, etwa wenn über den vermuteten gemeinsamen Willen zur Lösung eines Problems oder übereinstimmende Sorgen und Hoffnungen gesprochen wird, die Formel etabliert, „die Menschen“ wollten dieses oder jenes. Oder lehnten etwas anderes genauso vehement ab. Vor allem Politiker benutzen diese Einordnung gerne dann, wenn sie postulieren wollen, was ihrer Meinung nach jetzt unbedingt geschehen müsse. Denn was „die Menschen“ wollen, ist dringlich.

Noch vor wenigen Jahren, sprach man in vergleichbaren Situationen von „den Leuten“, die Erwartungen oder Befürchtungen hätten. Dass sich dahinter ein verräterisches Gesellschaftsverständnis verbirgt, eine geradezu hoheitsvoll-gnädige Aufteilung zwischen Regierenden, die leutselig oder auch abschätzig über die Regierten sprechen, haben die Parteien begriffen. Niemand, der bei den Wählerinnen und Wählern um ein politisches Mandat, gleich auf welcher Ebene wirbt, redet heute noch so.

Stattdessen sind es nun „die Menschen“, die umworben werden. Aber auch das wird leicht zum verräterischen Indiz eines desintegrativen Sprachgebrauchs, wenn Politiker sich bestimmte Forderungen oder Einschätzungen nur zu eigen machen, weil „die Menschen“ das angeblich wollten. Dann spricht die Politik von den Menschen wie die Zoologen von einer Spezies, deren Verhalten unter Stress- oder Wohlfühlbedingungen sie von außerhalb des Käfigzaunes oder wie bei einer Versuchsanordnung beobachten.

Der Beobachter steht dabei außen vor. Er ist, verbal, nicht ein Teil dieser Gemeinschaft, sondern maßt sich an, Sprecher eines angenommen allgemeinen Willens der Mehrheit zu sein. Diese Politik ist fragwürdig. Denn, einmal angenommen, die Beobachtung dessen, was die Menschen angeblich wollen, sei zutreffend - dann ist der Politiker ja wahrscheinlich ein Teil dieser Gemeinschaft. Warum sagt er dann nicht gleich: Wir?

Wo sind die gemeinsamen Überzeugungen?

Gerade in einer freien Gesellschaft wie der unseren, in der es so viele hoffentlich allgemein tolerierte, unterschiedliche Interessen und Orientierungen gibt, werden sich am Ende doch allen gemeinsame Überzeugungen finden lassen, wenn der Rechtstaat, wenn die Demokratie funktionieren soll. Der Respekt vor dem Recht auf körperliche und seelische Unverletztheit gehören dazu und die Selbstbeschränkung der persönlichen Freiheit überall da, wo sie die Freiheit eines anderen einschränken würde.

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Wer also von „den Menschen“ spricht, sollte das „wir“ immer mit einbeziehen. Dazu gehört aber eben auch, sich als Politiker, und vor allem als politischer Redner, immer vorher Gedanken zu machen, ob „die Menschen“ das denn wirklich wollen, was da gleich als ihr vermeintlicher Wille angemahnt werden soll. Sonst sind „die Menschen“ nur eine verräterische Tarnung für die eigenen Forderungen, deren Umsetzung vielleicht überhaupt nicht im Interesse der meisten Bürgerinnen und Bürger wäre.

Die Lösung dieses nur vermeintlichen Konfliktes ist ganz einfach. Sie heißt: Ehrlichkeit. Wie leicht der Weg vom „Ihr“ zum „Wir", von der Distanzierung zur Integration zu gehen ist, hat Frank-Walter Steineier gerade in einer am Samstag in der „FAZ“ dokumentierten Rede demonstriert. Er sagte über die Gefühle angesichts der quälenden Corona-Pandemie: „Nach einem harten Winter sind die Menschen der eigenen vier Wände überdrüssig. Wir wollen wieder unter Freunden und Kollegen sein…“

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