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Der israelische Schauspieler Itay Tiran als Piotr.

© Drop Out Cinema

Polnischer Film „Dibbuk“: Hana und ihre Schwestern

Sehenswerter Arthouse-Horror: In „Dibbuk - Eine Hochzeit in Polen“ von Marcin Wrona kommt das Übersinnliche und Verdrängte über eine Dorfgemeinschaft.

Ein langer heller Fleck an der Wand, Spur eines Bilds oder Regals. Kerben im Türrahmen, die einst das Wachstum der Kinder anzeigten. Vier Mädchen waren es, ihre Namen sind neben die Striche geritzt. Hana steht ganz oben. Piotr (Itay Tiran) streicht mit dem Finger darüber. Der junge Mann will bald hier einziehen, zusammen mit Żaneta (Agnieszka Żulewska), die er morgen heiraten wird. Das Haus auf dem Land ist ein Geschenk ihres Vaters (Andrzej Grabowski), und der hat es wiederum von seinem Vater geerbt.

Voller Tatkraft beginnt der in England aufgewachsene Piotr sofort nach der Ankunft, mit einem Bagger im Garten herumzufuhrwerken – und bekommt einen Höllenschreck, als er auf menschliche Gebeine stößt. Deshalb grübelt er nun über die früheren Bewohner nach und achtet auf ihre Spuren im Haus.

Er ahnt, dass hier etwas nicht stimmt. Und bald stimmt auch mit ihm etwas nicht mehr. Die Hochzeitsgesellschaft irritiert er bei der Feier zunächst durch kleinere Fehler, doch als er sich wie verrückt zitternd auf dem Tanzboden krümmt, sehen alle Gäste: Dieser Bräutigam ist nicht mehr Herr seiner Sinne.

Nur der alte jüdische Lehrer spricht manchmal von früher

Was ihn gepackt hat, deutet schon der Titel von Marcin Wronas „Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen“ (im Original „Demon“) an. In der jüdischen Folklore ist ein Dibbuk die Seele eines Verstorbenen, die sich des Körpers eines Lebenden bemächtigt. Auf fesselnde, atmosphärisch dichte Weise hat Wrona, der zusammen mit Paweł Maślona auch das Drehbuch schrieb, diesen Mythos in einen Arthouse-Horrorfilm übertragen. Die ruhigen Bilder von Kameramann Paweł Flis sind in ihrem Farbspektrum reduziert, wirken mitunter wie durch einen Sepia-Filter gedreht. Dieser Look stellt die Verbindung zu der Zeit her, aus der der Dibbuk stammt. Eine Zeit, die man im Dorf fast vollständig verdrängt hat. Einzig der alte jüdische Lehrer (Włodzimierz Press) erinnert manchmal daran, doch er ist – auch auf der Hochzeitsfeier – leicht zum Schweigen zu bringen.

Piotr hingegen, diesen Fremden mit dem holperigen Polnisch und seinen Anfällen, kann man nicht ignorieren. Er wühlt die Vergangenheit so machtvoll auf wie niemand zuvor. Metaphorisch stehen dafür auch das Loch im Garten und der große Bagger, der höchst unheilvoll bereits durch die Eröffnungssequenz rollt.

Wie Żanetas Vater gemeinsam mit den überforderten bis lächerlichen Dorf-Honoratioren (Arzt und Pfarrer) den Skandal zu vertuschen und umzudeuten versucht, das hat auch milde, witzige Seiten. Zumal die Festgäste immer betrunkener werden und die Kapelle weiter munter aufspielt. Die Beklemmung, die dieses beeindruckende, auf einem Theaterstück basierende Werk erzeugt, können solche Momente allerdings nicht verscheuchen.

Marcin Wrona wirft, ähnlich wie Paweł Pawlikowski mit seinem Oscargewinner „Ida“, einen ungewöhnlichen und klugen Blick auf die Verdrängung des Holocaust in Polen. Bedauerlicherweise ist „Dibbuk“ sein dritter und letzter Spielfilm: Der 42-jährige Regisseur nahm sich letztes Jahr während des Festivals von Gdynia, wo „Dibbuk“ seine polnische Premiere hatte, das Leben.

b-ware; OmU: Babylon Mitte, Eiszeit, Brotfabrik, Filmrauschpalast und Tilsiter Lichtspiele

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