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Versteckspieler. Hans Unstern lässt sich nicht interviewen. Aber laut seinem Label tritt er „vielleicht“ am 26.10. im Kater Holzig beim Staatsakt-Jubiläum auf.

© Kitty Kleist-Heinrich

Pop: Ich schäme mich, yeah, yeah

Dichter, Sänger, Spaßvogel und vielleicht die bessere Lady Gaga. Der Berliner Musiker Hans Unstern und seine bunte Selbstinszenierung Er ist immer das, was wir in ihm sehen wollen: Mann, Frau, Typ mit blauen Haaren.

So wie im deutschen Literaturbetrieb die Sehnsucht nach dem ultimativen Wenderoman ein Dauerthema ist, so sehr wünscht sich die Popkritik andauernd den singenden Poeten, der formvollendet und endgültig die deutsche Sprache für die Popmusik erschließt. Als Popsprache gilt sie ja immer noch als leicht minderwertig. „Über Sex kann man nur auf Englisch singen“, wussten bereits Tocotronic und befanden: „Allzu leicht kann’s im Deutschen peinlich klingen.“ Die Sprache Goethes und Schillers scheint einfach nicht dafür geeignet zu sein, schlichte Sachverhalte im Popsongformat zu beschreiben, ohne dass es blöd klingt. Ausnahmen wie „Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn“ von Kraftwerk bestätigen die Regel.

Und so kommt es, dass all die deutschsprachigen Bands, die dann doch für ihre Texte gelobt werden, erst gar nicht versuchen, durch Leichtigkeit im Umgang mit der Sprache zu überzeugen. Dekonstruktivistisch und erratisch wirkt die Textarbeit von Bands wie den Einstürzenden Neubauten, Blumfeld oder Ja, Panik.

Gemessen daran dürfte das am Freitag erscheinende neue Album des Berliner Songwriters Hans Unstern „The Great Hans Unstern Swindle“ ein vorläufiger Höhepunkt der Popmusik in deutscher Sprache sein. So seltsam und unverdaulich klang vielleicht noch nie eine Popplatte aus diesem Land, und dieses Urteil bezieht sich nicht nur auf die Texte.

Auf Strophe und Refrain verzichtet Unstern meist ganz. Atemlos trägt eine piepsige Sprech- statt Gesangsstimme idiosynkratische Introspektiven vor, die von Scham und Selbstzweifel handeln. Von „Bettnässerei“ erzählt diese Stimme und vom „Hinterherkotzen“, was man in Popsongs auch nicht oft zu hören bekommt. Kryptische Wortschwalle lassen in eine verwundete Seele blicken und beim Beschwören des eigenen Selbstekels triumphiert Unstern geradezu. „Ich schäme mich“, singt er und fügt ein „Yeah“ hinzu – und gleich noch mal: „Ich schäme mich, yeah, yeah.“ Dazu gibt es ein kongenial verstörendes und unaufgeräumtes Klanggerümpel aus Tuba, Maultrommel und schwer identifizierbaren Perkussionsinstrumenten, das selbst Tom Waits zu anstrengend klingen würde. Es wird hier wahrlich einiges unternommen, um dem offiziell als unhörbarstes gutes Popalbum aller Zeiten geltenden „Trout Mask Replica“ von Captain Beefheart Konkurrenz zu machen.

Für den Berliner Verlag Merve, scheint klar zu sein: Wer Lyrik vertont, ohne dabei wirklich zu singen, ist zuerst ein Dichter und dann erst ein Popsänger. Und so gibt ausgerechnet der Verlag, der mit Büchern von Poststrukturalisten wie Michel Foucault und Gilles Deleuze als Heimat der denkenden Avantgarde bekannt wurde, zur neuen Platte von Hans Unstern unter dem Titel „Hanky Panky Know How“ einen Band mit dessen gesammelten Songtexten heraus – ganz so, als hätte man den neuen Durs Grünbein entdeckt.

Ein Songwriter, der noch vor einiger Zeit angeblich als Straßenmusiker umhertingelte und der vor zwei Jahren mit seinem Debütalbum „Kratz Dich raus“ als fusselbärtiger Waldschrat bei „Spex“-Lesern für Aufsehen sorgte, verwandelt sich also in einen Poeten mit literarischen Weihen. Das könnte eine tolle Geschichte sein. Allein: Hans Unstern spielt da nicht mit. Zumindest tut er so, als würde er nicht mitspielen. Er spielt vielmehr sein eigenes Spiel, er führt tatsächlich das Stück „The Great Hans Unstern Swindle“ auf, in Anlehnung an Malcolm McLaren, der bewusst Medien und Publikum manipuliert hat, um die von ihm geförderten Sex Pistols einen Moment lang zur größten Band des Planeten und damit zu „The Great Rock’n’Roll Swindle“ hochzumanagen.

„,Du bist ein Dichter’ haben sie zu Hans Unstern gesagt. Und seither versucht er, das zu werden, wofür die anderen ihn halten“, steht auf der Rückseite des Merve- Büchleins. Gleichzeitig aber singt der werdende Poet Unstern in einem seiner Songs mit dem Titel „Mit schwarzen Lippen sitzen wir hinten“ einmal unvermittelt: „Ich hasse Gedichte.“ So wie die Sex Pistols die angeblich Rock hassende Zukunft des Rock waren, so ist Unstern jetzt der angeblich Gedichte hassende Dichter.

Angeblich. Bei fast allem, was Hans Unstern von sich preisgibt und vorgibt zu sein, kann man ein „angeblich“ hinzufügen. Denn überall kann er lauern, der große Hans-Unstern-Schwindel. Unstern, sein Verlag und seine Plattenfirma legen Fährten und verweisen auf Spuren, die sich jederzeit als Sackgassen entpuppen können. Hans Unstern, das wird irgendwann klar, gibt es gar nicht, er ist eine Kunstfigur. Und falls es ihn doch einmal gegeben haben sollte, ist er gerade dabei, sich langsam aufzulösen.

Zu Gesprächen war Hans Unstern vor der Veröffentlichung seines Albums nicht bereit. Stattdessen gab er in den Räumen seines Buchverlags eine Pressekonferenz, die teilweise ins Internet gestellt wurde. Anstelle von Unstern hockte da ein glattrasierter Typ mit blauen Haaren und sagte, er sei Hans Unstern. Erste Meldungen kursieren bereits: Hans Unstern habe jetzt blaue Haare. Tatsächlich trägt er immer noch seinen Vollbart und hat keine blauen Haare. Hans Unstern ist jetzt vielmehr eine Frau mit Vollbart. Nein, ist er natürlich auch nicht. Aber auf dem Cover seiner neuen Platte trägt er Zöpfe, auf die vor sein Gesicht gehaltenen Hände sind zwei Augen und ein Lippenstiftkussmund gemalt. Auf dem Cover seines Debüts „Kratz dich raus“ ist der Vollbart-Unstern noch in Nahaufnahme zu sehen. Der hypermännlich wirkende Unstern ist für das neue Plattencover jetzt wirklich „rausgekratzt“ worden. Eine Feminisierung wird angedeutet. „Es fällt Hülle um Hülle um Hülle“, heißt es in dem Song „Hülle“ Aber wenn alle Hüllen gefallen sind, wer steht dann wirklich vor uns?

Hans Unstern verweigert sich der Beantwortung dieser Frage. Er ist das, was wir in ihm sehen wollen. Mann, Frau, Typ mit blauen Haaren, Dichter, Spinner, Spaßvogel. In gewisser Weise führt er das Projekt von Lady Gaga fort, die bekanntlich eine Meisterin der uneindeutigen Inszenierung ist. Letztlich ist Unstern aber die überzeugendere Lady Gaga. Deren eher läppische Musik hinkte ihren komplexen Selbstentwürfen immer hinterher. Derartiges lässt sich über den wahnwitzigen Anti-Pop von „The Great Hans Unstern Swindle“ nun wirklich nicht sagen.

„The Great Hans Unstern Swindle“ erscheint am 26.10. bei Staatsakt. „Hanky Panky Know How“, MerveVerlag, Berlin 2012, 213 S., 14 €.

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