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Eröffnung durch Klaus Lederer (Die Linke), Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters von Berlin sowie Kultur- und Europasenator von Berlin.

© imago/Stefan Zeitz

Pop-Kultur-Festival: Pop und Boykott

Mit einer Diskussion über den Boykott von Kulturveranstaltungen ist das Berliner Pop-Kultur-Festival eröffnet worden. Mit dabei: Kultursenator Lederer und viele Zwischenrufer.

Als im vergangenen Jahr das Pop-Kultur-Festival erstmals nach einem Boykott-Aufruf der antiisraelischen Organisation BDS von mehreren gebuchten Bands kurzfristig Absagen bekam, sorgte das noch für Irritationen bei den Veranstaltern. Wie sollte man jetzt umgehen damit, als Zielscheibe propalästinensischer Aktivisten zu dienen und zwischen die zahlreichen Konfliktlinien des Nahost-Konflikt geraten zu sein? Und das wegen einer geringen Zuwendung der israelischen Botschaft im Zusammenhang mit dem Auftritt einer israelischen Musikerin bei dem Festival? Die Ablehnung des Boykotts war eindeutig, das absolute Unverständnis für den BDS, und obwohl man nicht viele Worte darüber verlieren wollte, um die BDS-Kampagne nicht noch größer zu machen, ließ sich die Diskussion darüber nicht vermeiden.

Fast souverän, so schien es zunächst, war der Umgang in diesem Jahr mit dem abermaligen Boykottaufruf des BDS, dem Wochen vor Festivalbeginn die britischen Bands und Musiker Shopping, John Maus, Nadine Shah, Gwenno und Richard Dawson gefolgt waren, wegen einer erneuten Unterkunfts- und Reisebeteiligung der israelischen Botschaft von 1.200 Euro und dem Aufführen des Botschaftslogo auf der Website des Festivals. „Nicht einschüchtern lassen“ wolle es sich durch den Boykott, so das Pop-Kultur-Festival in einem Statement, und man sei „jederzeit offen für einen konstruktiven Dialog, denn es ist uns ein wichtiges Anliegen, Meinungs- und Kunstfreiheit zu unterstützen und in diesem Rahmen einen Austausch zu suchen.“

Der BDS-Boykott wird auf einem Podium diskutiert

Was vergangenes Jahr versäumt wurde, nicht zuletzt weil der Bokyottaufruf so kurzfristig kam, hat man dieses Jahr nachgeholt, nämlich den Boykott von Kulturveranstaltungen auf einem Podium diskutieren zu lassen, ihn in das thematisch sowieso recht weit gefasste Festivalgeschehen gewissermaßen zu integrieren, mit Berlins Kultursenator Klaus Lederer und der israelischen Schriftstellerin Lizzie Doron als Diskutanten. Keine schlechte Wahl: Lederer hatte vergangenes wie dieses Jahr eindeutige Worte für die BDS-Aktivitäten gefunden, sie als „inakzeptabel“ zurückgewiesen und gesagt: „Boykottaufrufe gegen Israel sind von Dämonisierung und Doppelstandards geprägt, sie bedienen und befördern antisemitische Denkmuster.“

Lizzie Doron wiederum ist eine Schriftstellerin, die in ihren Büchern zunächst über die sogenannte zweite Generation der vom Holocaust Betroffenen, über die Nachgeborenen der Shoa geschrieben hat, zuletzt aber zunehmend über aktuellere, politische Themen und das Verhältnis von israelischen Besetzern und palästinensischen Besatzten, mit zwei Büchern, die überdies bislang nicht auf Hebräisch und in Israel erschienen sind. Ihr Roman „Who The Fuck Is Kafka“ erzählt von dem gemeinsamen Projekt einer israelischen Schriftstellerin und eines arabisch-palästinensischen Journalisten. Und ihr jüngster Roman „Sweet Occupation“ von fünf Männern der „Combatants For Peace Bewegung“, drei verurteilten und sich wieder auf freien Fuß befindlichen Terroristen aus den besetzten Gebieten und zwei ehemaligen israelischen Soldaten, die den Dienst an der Waffe verweigert haben.

Zwischenrufen alle fünf, sechs Minuten

Das Problem an diesem Eröffnungsabend in einem Kinosaal der Kulturbrauerei ist jedoch, dass Doron und Lederer nur wenig zu Wort kommen, geschweige denn miteinander diskutieren können. Denn das Publikum im Saal scheint zur Hälfte aus BDS-Leuten zu bestehen. Kaum hat Klaus Lederer von der Moderatorin Shelly Kupferberg eine erste Frage gestellt bekommen, steht im Publikum jemand auf und schreit auf Deutsch „Das Pop-Kultur-Festival unterstützt Apartheid und Besatzung (...) Herr Lederer, Sie unterstützen die Bombardierungen in Gaza“, um sich schließlich von Sicherheitsleuten hinausführen zu lassen. Als Lederer das zweite Mal etwas gefragt wird, springt die nächste Aktivistin auf, ruft „Hören Sie auf – und hören sie einmal zu, den Palästinensern und Palästinenserinnen“. In diesem Rhythmus von Zwischenrufen alle fünf, sechs Minuten von immer wieder anderen BDS-Anhängern geht es weiter, im übrigen immer wenn Lederer ansetzt: mit Rufen wie „Shame on you, Israel is an apartheid state“, mit Vorwürfen, keinen wirklichen Dialog zu führen, keine palästinensischen Stimmen zu Wort kommen zu lassen, keinen BDS-Aktivisten eingeladen zu haben. Am Ende bekommt die Veranstaltung tumultartige Züge.

BDS war nicht auf das Podium eingeladen

Man habe damit gerechnet, sagt Kupferberg gleich nach dem ersten Zwischenruf. Katja Lucker, die Festival- und Musicboard-Berlin-Leiterin, wiederum sagt einen Tag danach: „Wir wussten nicht, dass die BDS-Aktivistinnen vor Ort sein würden - konnten nur ahnen, dass sie sich ein Ticket kaufen würden, und wir hatten ja auch eine offene Gesprächsrunde am Ende mit allen Anwesenden angekündigt. Niemand hatte hier Redeverbot.“ Eingeladen auf das Podium war der BDS nicht – der Dialog sollte also quasi über die Hintertreppe geführt werden. Es fragt sich, ob es nicht besser gewesen wäre auf diese Diskussion zu verzichten, auch weil sie dem BDS über Gebühr Geltung und Gehör verschafft hat. Der BDS hat sich seine Bühne selbst genommen, was nicht im Sinn der Pop-Kultur-Veranstalter gewesen sein dürfte; sein Bekanntheitsgrad in Deutschland, bis zum vergangenen Jahr kaum der Rede wert, ist größer geworden, gerade auch nach den Turbulenzen bei der Ruhr-Triennale.

Das Einlassen auf den Boykott spielt die Nervosität im Land

Es hat an diesem Abend etwas von einer Inszenierung, was ja popimmanent ist, wenn man so will. Aber das Einlassen auf das Boykott-Thema spiegelt auch die spürbare Nervosität im Land wieder, auf der einen Seite von wegen der sogenannten Staatsräson Deutschlands, was Israel betrifft, auf der anderen wegen des wachsenden Antisemitismus (man denke nur an die Ausfälle der Rapper Farid Bang und Kollegah beim Echo, an dessen Abschaffung deshalb) und dem Aufkommen der Rechten auch im Parlament. Auf der Bühne versucht man weiter zu diskutieren, immer mit dem Wissen darum, dass das kaum möglich ist – und im Zuschauerraum bekommt die andere, Israel-feindliche Seite ihre Sprechzeit. Am Ende ist wie immer, wenn es um Israel und Palästina geht: Es gibt kein Auskommen, nur Stimmen und Menschen, „die sich in ihren Narrativen verfangen haben“, so wie es der israelische Schriftsteller David Grossmann neulich in einem Interview gesagt hat.

Genau das will das Pop-Kultur-Festival aber nicht. Es will „Erlebnisse schaffen, Blicke über den Tellerrand des Vertrauten werfen“, solche, die „unsere Horizonte erweitern“, wie es Lederer bei der Eröffnung schön dahinfloskelt: "Pop-Kultur ist ein Festival, das gegen den Strom schwimmt". Das heißt zum einen: Musik, und zwar Konzerte aller Art und aus vielen Genres, gut hundert in drei Tagen. Von Musikern, die nicht nur ihre bekannten Sets spielen, sondern exklusiv Auftragsarbeiten abliefern, von solchen die auf dem Sprung sind, so wie Die Nerven, Die Mausis oder Sophia Kennedy, die hier tolle Konzerte spielen. Oder solchen, die Legendenstatus haben, wie Lydia Lunch, Irmin Schmidt oder die Last Poets.

Einfach nur hemmungslos abgefeiert werden soll hier nicht

Und das mit dem Anderssein heißt eben auch: Gespräche und Diskussionen, zum Beispiel über „verschwundene Orte“, über Grundstückspekulation, Gentrifizierung und Lärmbelästigung, darüber wieviel Pop im Jahr 1968 gesteckt hat oder wie sich die Popkultur zum Rechtsruck in Deutschland verhält. Das ist aller Ehren wert, der Name des Festivals ist wirklich Programm. Einfach nur hemmungslos abgefeiert werden soll hier nicht. Manchmal kann man sich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass man den Kern des Festivals vor lauter Reihen nicht mehr erkennt, dass selbst das riesige Gelände der Kulturbrauerei mit seinen zahlreichen Veranstaltungsorten schon fast zu klein ist. Und auch hat das Ganze hat etwas arg betont Vorbildhaftes: Von „Vielfalt“ spricht Lederer noch, wie danach auch Katja Lucker, und beide meinen damit insbesondere die Vielfalt auf den Bühnen.Sie loben „Diversität“ und „Inklusion“ des Festivals, auf die man hier achte und sehr stolz sei, das sei nicht nur ein „Feigenblatt“, wie Lucker extra betont: so die ausdrücklich als „All Gender“ ausgewiesenen Toiletten, (die es ja schon im Cookies oder der Panorama Bar in den neunziger Jahren gab, nur stand das halt nicht an den Türen), die Gebärdensprecher und -sprecherinnen bei der Eröffnung und den Talks oder die weitestgehende Barrierefreiheit auf dem Kulturbrauereigelände.

Dauersschulterklopferei nervt

Wie 2017 stehen beim Pop-Kultur-Festival mehr als zur Hälfte Musikerinnen und Künstlerinnen auf den Bühnen, was bei der Eröffnung gleichfalls häufig erwähnt wird – und in dieser Dauersschulterklopferei leicht nervt. Aber eine Selbstverständlichkeit ist es mit der hohen Beteiligung von Frauen bei einem Festival wie diesem halt noch immer nicht. Dafür braucht man sich wieder einmal nur das Programm des Berliner Lollapalooza-Festivals Anfang September auf dem Olympia-Gelände anzuschauen: Weibliche Pop-Acts sind hier frappant wenig vertreten, schon gar nicht als Headliner.

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