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Held der Neunziger. Soundgarden-Frontmann Chris Cornell in Berlin. Foto: dpa

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POP: Zerrupfte Adler

Lärmwellen hinterm Perlenvorhang: Soundgarden in der Zitadelle Spandau.

Es fängt an zu regnen und hört nicht wieder auf. In immer dichter gehängten Schnüren fallen Tropfen herab, durchnässen jeden. Aber, ehrlich, es sieht großartig aus. Wie die Band hinter einem Perlenvorhang steht, wie sie ihre wuchtigen Lärmwellen in eine kristallene Welt schickt, die ins Endlose zu zerfließen scheint. Soundgarden sind in diesem Moment etwas, das wie in den Zahlenkolonnen der Matrix auftaucht. Die Wahrheit hinter der Wahrheit. Ihre Musik hilft indes wenig, den Regen erträglicher zu machen. In ihr regnet es auch.

Als die Band aus Seattle 1997 auseinanderbrach, gab es „Matrix“ noch nicht, den Film der Gebrüder Wachowski, der eine technikskeptische Generation mit den Möglichkeiten der digitalen Animation versöhnen sollte. Soundgarden hatten sich zuvor an derselben düsteren Aussicht abgearbeitet, in einer künstlichen, entseelten Welt nach vorgeprägten Mustern leben zu müssen. Und sie hatten sich anders entschieden: für das Laute und Unangenehme, für ungemütlich brodelnde E-Gitarren und abenteuerlich schiefe Rhythmen. Sie fühlten sich herausgerissen aus ihrer kleinen, überschaubaren Welt dort oben im äußersten Nordwesten der USA, für den sich normalerweise niemand interessierte. Ihr schmutziger Rocksound, der bald das Etikett „Grunge“ verpasst bekommen sollte, war nur das deutlichste Zeichen dafür, dass die Welt, ihre Welt, in Unordnung geraten war.

„Hands all over the eastern border“, singt Chris Cornell jetzt wieder. Schon 1989 wusste er: dass der Zusammenbruch des Ost-Imperiums auch sie als Amerikaner nicht ungeschoren davonkommen lassen würde. Zerrupfte Adler werden zu Geiern, heißt es in „Hands All Over“, Cornell kündigt das Lied vom Soundgarden-Debüt als „ersten grünen Song“ an, der je geschrieben wurde. Sie wollten die Guten sein. Lange Haare, okay! Aber nicht aufgeföhnt. Lederjacken mit Nietenbesatz? Vergesst die Heavy- Metal-Posen gespreizter Männlichkeit! Lärm ist nur eine andere Art der Verletzlichkeit. Ob das auch der Impetus ist, der die Bandmitglieder nach 15 Jahren wieder zusammengeführt hat?

Ein kurzer Blick in die Runde. Unter den Regencapes und Outdoorjacken, die sich langsam vollsaugen, kein einziges Holzfällerhemd. Beruhigend. Aber Cornell, Schlagzeuger Matt Cameron, Ben Shepherd am Bass und der finstere Kim Thayil an der Gitarre sind auch bestimmt nicht auf Bühnen wie die in der Spandauer Zitadelle zurückgekehrt, um einen Irrtum zu korrigieren. Nämlich den, dass Grunge ein Lebensstil ist. Das war er nie.

Was diese Musik Anfang der Neunziger groß und unwiderstehlich gemacht hat, zeigen Soundgarden zu Beginn mit „Spoonman“. Ein abwärts trudelndes E-Gitarren-Riff, das nie Tritt fasst, weil der Siebenviertelbeat die Musik stolpern und fortgesetzt um sich selbst rotieren lässt. Dazu Cornells immer noch phänomenale Rockstarstimme, die glaubhaft selbst da klingt, wo es darum geht, ein Niemand zu sein – „alive in the superunknown“. Als Meister der Indifferenz werden Soundgarden gejagt von düsteren Ahnungen, aber ihr Getöse wehrt sich gleichzeitig dagegen, Lärm schon für die Lösung zu halten.

Wie erholsam das ist. Rockmusik heute zielt in all seinen Facetten der Retroisierung oft auf die Überspitzung. Seht her, was wir können! Pointe, Pointe! Davon sind Soundgarden tatsächlich ein Facebook-Zeitalter entfernt. Was sie antreibt, so richtig ersichtlich wird es allerdings nicht. Cameron an den Drums wäre auch mit Pearl Jam genug beschäftigt, als dass er sich die alten Soundgarden-Gewitter antun müsste. Thayil, mit schwarzer Strickmütze und weißem Vollbart, blickt meistens missmutig drein und Shepherd hängt der Bass so schwer um den Hals, als würde er sein Schafott mit sich herumschleppen. Sie behandeln einander auf der Bühne nicht als Freunde. Warum also?

Mit vielem waren sie die ersten. Die erste EP auf dem Sub-Pop-Label, auf dem danach auch Nirvana ihr Debüt geben sollten. Den ersten Major-Deal für damals unfassbare 160 000 Dollar. Aber als sie 1994 endlich so weit waren, mit einem großartigen Album zur Nummer eins zu werden, war Kurt Cobain tot, alles vorbei. Diese Musik braucht es, dass man nicht an sie glaubt.

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